Über die Pflichtmitgliedschaft von Fachkräften in der Pflegekammer NRW

Ein neuer Spaltpilz

In den vergangen zwanzig Jahren haben Pflegekräfte genau eine Erfahrung gemacht: Ihre Belastungssituation wird völlig ignoriert. Im Bundestagswahlkampf versprechen ihnen alle regierungstragenden Parteien nun, was nach der Wahl aber wirklich besser werden wird. Gleichzeitig teilen ihnen ihre Arbeitgeber in NRW mit, dass sie ihre Daten an den Errichtungsausschuss der Pflegekammer übermittelt haben, in der sie künftig Pflichtmitglied sind. Kein Wunder, dass die Pflegebeschäftigte auf den nächsten Akt der Bevormundung wütend reagieren.

In der Pflegekammer NRW werden die 200.000 Fachkräfte zukünftig Beiträge dafür zahlen, dass ihnen eine Berufsordnung auferlegt wird, ihre Weiterbildung professionalisiert und die Qualität der Pflege sichergestellt werden soll. Kurzum, sie zahlen Geld dafür, dass der Staat seinen Job nicht mehr macht und sich noch weniger um die Daseinsfürsorge kümmert. Am Ende des Weges wird die Kammer festlegen, unter welchen Umständen eine Pflegekraft ihren Beruf nicht mehr ausüben darf. Das Ganze läuft unter dem schönen Begriff „Selbstverwaltung der Pflegenden“. Dabei ist jedem klar: Selbstverwaltung in einem Beruf, in dem über 90 Prozent abhängig beschäftigt sind, ist eine reine Illusion.

Die Befürworter der Pflegekammer, wie die Landesregierung, setzen auf die Hoffnung vieler Pflegekräfte auf bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen und Entlastung im beruflichen Alltag. Aber das wird die Pflegekammer nicht leisten und es ist auch nicht ihre Aufgabe.

Mit überwältigender Mehrheit haben sich die Pflegekräfte in Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Abstimmungen gegen Pflegekammern entschieden. Sicherlich haben die angekündigten Zwangsbeiträge dazu beigetragen. Die NRW-Landesregierung greift nun auf einen Taschenspielertrick zurück. Mit einer „Anschubfinanzierung“ in Höhe von 5 Millionen Euro will sie den zu erwartenden Protest eindämmen. Das schiebt aber den Einzug von Zwangsbeiträgen lediglich auf.

Eine wesentliche Ursache des Pflegenotstands ist die politisch gewollte Kommerzialisierung der Pflege. In der Altenpflege sacken sich die „Investoren“ in den Seniorenzentren Renditen von 10 bis 15 Prozent ein. Die lassen sich in erster Linie mit einer miserablen Bezahlung des Pflegepersonals erzielen. In den Krankenhäusern hat sich das System der Fallpauschalen als Profitquelle erwiesen und dazu beigetragen, dass Konzerne auch das Gesundheitswesen als sichere Rendite-Objekte betrachten können.

Das hat gemeinsamen Widerstand der in der Pflege und vieler weiterer im Gesundheitswesen Beschäftigten erzeugt. In den vergangenen Jahren konnten sich Kolleginnen und Kollegen in einer Reihe großer Kliniken Entlastungstarifverträge erkämpfen. In der aktuellen Auseinandersetzung in Berlin bei der Charité und Vivantes spielen beispielsweise Kolleginnen und Kollegen in Kantinen und anderen Tochterunternehmen eine wichtige Rolle in den Streiks.

In den Wohnbereichen der Seniorenzentren wird die Pflege durch etwa 50 Prozent an- und ungelernter Pflegehilfskräfte geleistet, dazu kommen noch andere Beschäftigte wie die der Hauswirtschaft. Die Pflegekammer, die sich ja nur als Standesvertretung der Fachkräfte versteht, wäre ein zusätzlicher Spaltpilz, der den gemeinsamen Kampf erschwert. Bessere Bedingungen im Gesundheitswesen und in der Altenpflege wird uns niemand schenken. Für eine bessere Pflege müssen die Belegschaften gemeinsam kämpfen, gemeinsam mit starken Gewerkschaften und der Bevölkerung, um deren Versorgung es geht.

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"Ein neuer Spaltpilz", UZ vom 24. September 2021



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