Das Werk des Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase

Ein Meister des Filmdialogs

Seine „Firma“ hat der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase schon um gut fünfzehn Jahre überlebt: Die DEFA, der staatliche Filmbetrieb der DDR, ist nach einer höchst produktiven 75-jährigen Geschichte mit ihrem Staat untergegangen – am Erhalt eines so mächtigen Konkurrenten waren die Kohl-Regierung und ihre westdeutschen Abwickler zu keiner Zeit interessiert. Kohlhaase, zweifellos der DDR bedeutendster Drehbuchautor, konnte seine Arbeit auch nach 1989 erfolgreich fortsetzen und feierte kürzlich seinen 90. Geburtstag unter großer Anteilnahme auch westlicher Feuilletons. Und wenn der „rüstige Rentner“ sich im hohen Alter jungen Regisseuren für ein Filmprojekt zur Mitarbeit bereit erklärt, dürfen die sich glücklich schätzen; denn der Name öffnet Türen auch bei staatlichen Filmförderern.

Was macht seine Arbeit so besonders, so unverwechselbar? Wie schreibt man ein Drehbuch? „Das wollten auch Studenten von Kohlhaase wissen, die an der Filmhochschule „Konrad Wolf“ in Babelsberg studierten – der ältesten deutschen Filmhochschule. Sein erfolgreichster Schüler, der Regisseur Andreas Dresen, schildert eine solche Lektion im Vorwort der soeben erschienenen Neuausgabe von Kohlhaases Buch „Um die Ecke in die Welt – Über Filme und Freunde“ (Verlag Neues Berlin), in dem Herausgeber Günter Agde hochinteressante Kohlhaase-Texte „über Filme und Freunde“ gesammelt hat. „In den folgenden drei Tagen“, so zitiert ihn Dresen, „werde ich Ihnen erklären, wie man ein Drehbuch schreibt. Am vierten Tag bin ich weg, denn dann würden Sie merken, dass ich es selbst nicht weiß.“ Dresen fügt hinzu: „Das ist keine Koketterie, sondern die Klugheit eines Mannes, der weiß, auf welch rätselhaftem, unerklärlichem Gelände man sich von Zeit zu Zeit bewegt, wenn man Filme erfindet.“ Dass er diese selbstironische Aussage in der Praxis dutzendfach widerlegt hat, weiß jeder, der die mehr als dreißig vielfach ausgezeichneten Spielfilme Kohlhaases kennt.

Wer sie nicht kennt oder wiedersehen möchte, hat jetzt eine gute Chance dazu: Bei Icestorm ist zu Kohlhaases 90. eine Edition mit 12 Filmen aus seinem Schaffen erschienen, gedreht mit DEFA-Regisseuren wie Gerhard Klein, Konrad Wolf oder Frank Beyer und später Volker Schlöndorff, Bernhard Wicki und „natürlich“ Andreas Dresen. Ob mit klarer politischer Aussage (wie in „Der Fall Gleiwitz“ über die Nazi-Inszenierung als „Anlass“ des 2. Weltkriegs) oder mit der hintergründigen Leichtigkeit von Dorfszenen (in „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“), ob in Klassikern wie Konrad Wolfs „Ich war 19“ oder Dresens Kassenhit „Sommer vorm Balkon“, gemeinsam sind seinen Filmen Präzision und Lakonie in den Dialogen, genaue Beobachtung und bis ins Detail treffende Stimmungszeichnung und vor allem ein feiner, subtiler Humor, der nie in die Klamotte abgleitet.

Unverkennbar ist seine enge Beziehung zu seiner Heimatstadt Berlin, hier erreicht die Lakonie seiner Dialoge ihre wahre Meisterschaft. Unvergessen der zwischen der Titelfigur und ihrem „One-night-stand“ in Konrad Wolfs „Solo Sunny“, als der nach Frühstück fragt: „Is ohne Frühstück!“ „Aber ich …“ „Is auch ohne Meckern!“ Das ist nicht nur der Spaß an der Pointe. Da hat einer wirklich „dem Volk aufs Maul geschaut“, und dies mit voller Sympathie für seine Geschöpfe. Kohlhaases Figuren sind Sympathieträger nicht trotz, sondern wegen ihr Unvollkommenheit. Das gilt für den Bildhauer Kemmel und seine dörflichen Auftraggeber in „Der nackte Mann …“, deren Kulturverständnis noch tief in den Mühen der Ebene steckt, und ebenso für Sunnys selbstbewussten Weg einer jungen Frau im Sozialismusversuch DDR. Solche humanistische Haltung, solch genaues, subtiles Arbeiten – zuletzt in Matti Geschonnecks Eugen-Ruge-Verfilmung „In Zeiten abnehmenden Lichts“ – bleiben ein wertvolles Vermächtnis.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Ein Meister des Filmdialogs", UZ vom 14. Mai 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit