Ein Porträt des Revolutionärs, aber noch nicht das einzig wahre

Ein Marx für unsere Tage

Von Hans-Günther Dicks

Die Berlinale scheint in diesem Jahr geprägt von „biopics“, also filmischen Biografien prominenter oder weniger bekannter Figuren der Zeitgeschichte. Gleich zur Eröffnung gab‘s einen Film über den Gypsy-Jazzer Django Reinhardt, der dann mit Filmen über Joseph Beuys, Alberto Giacometti und Jan Masaryk um die Bären konkurriert. In der Sektion Panorama stellt der aus Haiti stammende Regisseur Raoul Peck mit „I Am Not Your Negro“ den berühmten afroamerikanischen Schriftsteller James Baldwin vor. Für Pecks Spielfilm „Der junge Karl Marx“ setzt Berlinale-Chef Dieter Kosslick sogar ein Berlinale-Special an – und macht in seinem Katalog-Vorwort auch gleich Anleihen bei dessen berühmten ersten Satz aus dem „Kommunistischen Manifest“.

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Unterdrückung, Flucht und Exil sind biografische Stationen, die nicht nur das Leben von Marx prägen, sondern ebenso das seines Filmbiographen Peck.   1953 im Haiti des damaligen Diktators „Papa Doc“ Duvalier geboren, kam er schon als Kind mit seinem Vater in den Kongo und erlebte in seiner Jugend die Kämpfe um Zaires Befreiung vom belgischen Kolonialismus, die er später in zwei Filmen über Patrice Lumumba thematisierte. Er wuchs auf in den USA und Frankreich, studierte in Westberlin Wirtschaftsingenieurwesen und danach Filmregie an der Filmakademie DFFB; seit 2004 leitet er die Nationale Filmhochschule La Fémis in Paris.

Karl Marx habe für ihn schon früh im Leben eine große Rolle gespielt, sagt Peck in der Pressekonferenz, und natürlich habe er während seiner Berliner Studienjahre Vorlesungen über „Das Kapital“ gehört, das sei damals „quasi Pflichtprogramm“ gewesen. 2001 legte er einen Dokumentarfilm mit dem bezeichnenden Titel „Profit und nichts sonst“ vor. Dass in Zeiten der  großen Finanzkrisen Marx wieder „in“ geworden ist und sein Porträt die Titelseiten der großen Magazine  zierte, wird Pecks Film zusätzlich Aufmerksamkeit sichern, wenn er ab März in die deutschen Kinos kommt.

In den aktuellen Diskurs um die einzig wahre Interpretation des Marxschen Hauptwerks will Peck sich allerdings nicht einbringen, wie schon der Filmtitel „Der junge Karl Marx“ andeutet. Der Film beginnt mit der Verfolgung von Holzdieben durch die preußische Polizei 1843, zu der ein Marx-Text aus der „Rheinischen Zeitung“ zitiert wird, und die Handlung endet im Jahr 1848 mit eben jenem Manifest, mit dem Marx und Engels die Umwandlung des „Bundes der Gerechten“ zum „Bund der Kommunisten“ krönten. Wir erleben also nicht den forschenden alten Rauschebart, sondern einen jungen, trinkfreudigen und frisch verlobten Karl Marx als Identifikationsfigur für das junge, von marxistischem Denken unbeleckte Kinopublikum, auf das Pecks Inszenierung erkennbar zielt. Die von Kolja Brandts Kamera brillant eingefangene Jagd auf die Holzsammler und die Bilder der Flucht von Marx und Engels vor einer Passkontrolle bedienen nicht zuletzt dessen Bedürfnis nach Actionkino.

Wo der Titel noch allein von Marx spricht, gibt das Drehbuch raffiniert auch den übrigen Figuren Gewicht, auch die Besetzung zielt deutlich auf ein junges Publikum. Das beginnt schon mit dem ausgezeichneten August Diehl, der den wortgewaltigen, aufbrausenden Marx ebenso überzeugend gibt wie den um sein Honorar  bettelnden oder den am Strand von Ostende fast resignierenden Revolutionär. Stefan Konarske lässt hinter dem Äußeren des eleganten Fabrikantensohns Engels den Gerechtigkeitssinn des Humanisten und Kämpfers aufscheinen, den Marx erst als „Amateur mit Goldknöpfen“ abtut, dann aber als Freund und verlässlichen Partner im Streit mit den diversen sozialistischen Strömungen jener Zeit akzeptiert. Einen beinahe feministischen Ton erhält Pecks Film mit Vicky Krieps als selbstbewusster, aber ihrer Klasse entflohener Adelstochter Jenny von Westphalen und der quirligen Hannah Steele als rebellischer Partnerin von Engels. Die vier sind ein perfektes Quartett, das Leben und Frische in den oft drögen politischen Diskurs bringt.

Dennoch trägt Pecks Film schwer an dem Gewicht all der kühnen Ideen für eine neue Gesellschaftsordnung, all der großen Namen unter Marxens Zeitgenossen, die einem heutigen Publikum kaum noch vertraut sind und ohne die doch sein späteres Werk kaum zu verstehen ist: Pierre Proudhon, Michael Bakunin, Wilhelm Weitling, Arnold Ruge, sie alle sind im Film mehr oder weniger Randfiguren, Stichwortgeber für den genialen Marx, dessen brillante Repliken wie in Stein gehauene Zitate die Handlung markieren. Der übergangslose Wechsel zwischen drei Sprachen, damals in diesen Kreisen ganz geläufig, verlangt zusätzliche Aufmerksamkeit. Fazit: „Der junge Karl Marx“ beweist einmal mehr die Aktualität seiner Theorien und könnte zu deren weiterer Verbreitung einen guten Anschub liefern, wird aber in seiner recht konventionellen filmischen Machart dem Revolutionär Marx kaum gerecht. Der Nachspann mit den recht gemischten Porträts bekannter Politiker (Lumumba neben Reagan?) wirkt da fast wie ein Eingeständnis des Scheiterns. Auf den wirklich revolutionären Marx-Film muss man wohl weiter warten.

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"Ein Marx für unsere Tage", UZ vom 17. Februar 2017



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