Erster Versuch einer biographischen Annäherung an den Mitautor der „Thälmann“- Filme, Michael Tschesno-Hell (1902–1980).

Ein Mann mit vielen Gesichtern

Von Cristina Fischer

Ralph Hammerthaler: Der Bolschewist. Michael Tschesno-Hell und seine DEFA-Filme. (Schriftenreihe der DEFA-Stiftung) Bertz & Fischer Verlag, Berlin 2016. Br., 176 S., 32 Fotos, 12,90 Euro.

„Der war für mich ein alter Bolschewik. Der wirkte so, der sprach auch so …“, erinnert sich Erhard Scherner an den Drehbuchautor Michael Tschesno-Hell, dem er in den 50er Jahren begegnete.

Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der mit ihm in der Schweizer Emigration die Zeitschrift „Über die Grenzen“ herausgegeben hatte, meinte, „Mischa“ sei „ein Schwieriger“ gewesen. Zugleich habe er Charme ausgestrahlt – „in der Wortbedeutung von ‚Verzauberung‘. Erstaunlich viele Register: zärtliche und drohende …“

Erwin Strittmatter notierte, Tschesno-Hell habe stets viele Ideen, benutze für deren Umsetzung andere, werde unfreundlich und aggressiv, wenn man ihm widerspreche, höre nicht zu, sei ungeduldig und ungerecht: „Ein Mensch also, der schwer zu ertragen ist. Ein Mensch, der deshalb keine Freunde hat.“

„Unglaublich charmant, in jeder Beziehung anspruchsvoll, ein Wahrheitsfanatiker, umfassend gebildet. Er liebte seine Tochter abgöttisch, und er war stets streitsüchtig.“ So fasst es die Schauspielerin Irma Münch zusammen.

Michael Tschesno, der später unter dem Pseudonym „Hell“ bzw. „Swetly“ publizierte, war in Wilna (heute Vilnius/Litauen) in einer jüdischen Familie als Sohn eines Kaufmanns zur Welt gekommen.

Über seine Kindheit und Jugend ist praktisch nichts bekannt. In den 20er Jahren studierte er in Jena und Leipzig Jura und Ökonomie, trat in die KPD ein und schrieb nebenbei für die kommunistische Presse.

Seit 1930 in Berlin, wurde er zunächst Redakteur der KPD-Zeitung „Welt am Abend“ und dann Pressechef in der Filmabteilung der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin, bevor er als Lektor und Übersetzer aus dem Russischen, seiner Muttersprache, u. a. für den Malik-Verlag, arbeitete. 1932/33 betrieb er ein „Feuilletonbüro“ für den Vertrieb sowjetischer Pressebeiträge.

In dieser Zeit soll er auch vom sowjetischen Militär-Nachrichtendienst GRU angeworben worden sein. 1933 floh er nach einem halben Jahr illegaler Arbeit nach Paris, wo er die KP-Gruppe der deutschen Schriftsteller leitete und für die „Rote Hilfe“ als Agitprop­leiter fungierte – so organisierte er u. a. die Kampagne für die Befreiung von Etkar André.

Nach Kriegsbeginn interniert, floh er 1942 mit seiner Frau und der 1938 geborenen kleinen Tochter in die Schweiz, betätigte sich dort für die KPD-Abschnittsleitung und gab mit Hans Mayer und Stephan Hermlin die bereits erwähnte Zeitschrift heraus.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland gehörte Tschesno-Hell 1947 zu den Mitbegründern des Verlags Volk und Welt in Berlin, den er bis 1950 leitete und für den er viele Autoren beschaffte.

Anschließend trat er vorwiegend als Szenarist für die DEFA und das Fernsehen der DDR in Erscheinung.

Daneben hatte er hohe Funktionen inne und erhielt viele Auszeichnungen. Er war Mitglied der Bezirksleitung der SED in Berlin und im Vorstand des DSV, einige Jahre Vizepräsident des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden und seit 1969 Mitglied der Akademie der Künste.

Dreimal erhielt er den Nationalpreis der DDR, darunter für seine Mitarbeit an den „Thälmann“- Filmen.

Zudem war er wohl der höchstbezahlte Autor der DEFA überhaupt – allein für den ersten Teil seiner Liebknecht-Biographie („Solange Leben in mir ist“, 1965) kassierte er mehr als 200000 Mark.

In seinen Filmen, auf die der Autor des vorliegenden Bandes ausführlich eingeht, befasste er sich vorwiegend mit der deutschen Geschichte bis 1945. „Der Maler mit dem Stern“ (1969) war dem von den Nazis in Dresden hingerichteten Künstler Alfred Frank gewidmet. In der Bundesrepublik spielt die Satire „Der Hauptmann von Köln“ (1956) mit Rolf Ludwig in der Hauptrolle.

Tschesno-Hell war dreimal verheiratet, darunter mit der DDR-Kinderbuchautorin Ingeborg Meyer-Rey, und er hatte eine kurze, heftige Affäre mit der Schauspielerin Inge Keller. Zehn Jahre lang lieferte er dem MfS Berichte über Kollegen, darunter ziemlich negative über Stefan Heym und seinen ehemaligen Freund Hermlin. In den letzten Jahren wurde es zunehmend einsam um ihn. Seine Unverträglichkeit stieß viele ab, und sein schlichtes revolutionäres Pathos erschien altmodisch.

Der im „Westen“ aufgewachsene Schriftsteller und promovierte Soziologe Ralph Hammerthaler hat es unternommen, sich diesem bewegten Leben eines umstrittenen Kommunisten essayistisch zu nähern, ohne sich dabei von den vorhandenen Schwierigkeiten und offenen Fragen einschüchtern zu lassen. Er stützt sich vor allem auf den Nachlass im Bundesarchiv und in der Akademie der Künste, in dem allerdings nur wenig Privates zu finden ist. Hinweise auf die Geheimdienstaktivitäten gaben Akten des Bundesarchivs Bern und der BStU. Außerdem hat der Autor Interviews mit Zeitzeugen wie Wolfgang Kohlhaase, Erhard Scherner, Irma Münch und Horst Schulze sowie auch mit der Tochter Andrée Tschesno geführt.

Hammerthaler umspielt seinen faszinierenden Protagonisten lieber nonchalant und zuweilen spöttisch mit Deutungen und Fragezeichen, als ihn „festzunageln“. In seiner informativen, spannenden und gut lesbaren Abhandlung stellt er Widersprüche in den Raum, lässt sie effektvoll schillern und hält sich mit Urteilen zurück, obwohl sie nicht selten nahezuliegen scheinen. Damit weckt er Interesse, ja Neugier – und den Wunsch, dass eines Tages doch noch eine umfassende Biographie erscheinen möge, in der Tschesno-Hell auch selbst ausführlich zu Wort kommt.

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"Ein Mann mit vielen Gesichtern", UZ vom 3. Juni 2016



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