Zum 130. Geburtstag Antonio Gramscis (Teil 1)

Ein Leninist klassischen Typs

In diesen Tagen ist an drei historisch bedeutende Ereignisse zu erinnern: am 21. Januar an den 100. Gründungstag der Kommunistischen Partei Italiens (IKP), einen Tag später an den 130. Geburtstag Antonio Gramscis. Schließlich an den 95. Jahrestag des illegalen Parteitages der IKP am 23. Januar 1926 in Lyon. Er bestätigte die von Gramsci ausgearbeitete Konzeption des antifaschistischen Kampfes und wählte ihn zum Generalsekretär. Der zweite Teil des Beitrags erscheint in der kommenden Woche.

Nach ihrer Niederlage ist die Arbeiterbewegung auf der Suche nach dem Weg zu einem neuen sozialistischen Anlauf. Dafür kann es kaum einen besseren Ratgeber als Antonio Gramsci geben. Nach der Niederlage der Linken in den revolutionären Nachkriegskämpfen 1919/20 und der Errichtung der faschistischen Diktatur unter Mussolini im Oktober 1922 leistete Gramsci einen gewaltigen Beitrag zur Verbreitung und Anwendung des Marxismus-Leninismus.

Gramsci gehörte zu den führenden Köpfen der revolutionären Linken in der Italienischen Sozialistischen Partei. Während des Ersten Weltkrieges setzten sie durch, dass diese als einzige westeuropäische Sektion der II. Internationale Antikriegspositionen bezog. Im August 1917 trat er als einer der Organisatoren an die Spitze des Aufstandes der Turiner Arbeiter gegen Hungersnot und für Frieden. Der reformistisch beherrschte ISP-Vorstand wurde abgesetzt und eine neue Leitung mit ihm an der Spitze gewählt. Erst nach viertägigen Barrikadenkämpfen gelang es der Armee, die Erhebung niederzuschlagen. Hunderte Arbeiter zahlten mit ihrem Leben, noch viel mehr wurden verwundet oder verhaftet.

Da die linke Fraktion in der Anfangsphase der revolutionären Nachkriegskämpfe zunächst noch die ISP dominierte, versuchte Gramsci in der Partei den Bruch mit dem Opportunismus durchzusetzen. Auf dem XVII. Parteitag der ISP, der am 15. Januar 1921 in Livorno zusammentrat, forderten die Ordinuovisten den Ausschluss der Reformisten aus der Partei. Als die Zentristen das ablehnten, verließen sie den Parteitag und konstituierten sich am 21. Januar zur Kommunistischen Partei.

Ende 1923 kehrte Gramsci aus Moskau zurück, wo er seit März 1922 Vertreter der IKP im Exekutivkomitee der Komintern war. Lange vor deren VII. Weltkongress erarbeitete er als Erster Grundsätze einer Analyse des Faschismus und die für seinen Sturz erforderliche Bündniskonzeption.

Gramsci zeigte die Widersprüche innerhalb der herrschenden Kreise auf und definierte den „Faschismus als Instrument einer Industrie-Agraroligarchie“, die in ihren Händen „die Kontrolle des gesamten Reichtums des Landes“ konzentriert. Die herrschende Klasse besitze „in den kapitalistisch hochentwickelten Ländern politische und organisatorische Reserven, die sie zum Beispiel in Russland nicht hatte“. Das bedeute, dass „auch schwerste Wirtschaftskrisen keine unmittelbare Rückwirkung auf das politische Leben haben, sondern die Politik immer eine Verspätung, eine große Verspätung gegenüber der ökonomischen Entwicklung aufweist“. Diese Situation erfordere „von der revolutionären Partei eine sehr viel komplexere Strategie und Taktik, die weit von der entfernt ist, die für die Bolschewiki zwischen März und November 1917 notwendig war“.

Den entscheidenden Anstoß dazu hatte die Matteotti-Krise gegeben. So benannt nach dem Führer der Einheitssozialisten (SEP). Matteotti prangerte die von Mussolini begangenen Verbrechen während der Parlamentswahlen von 1924 in der Öffentlichkeit an. Er forderte, diese für ungültig zu erklären. Am 10. Juni überfiel ein Mordkommando Matteotti auf offener Straße, verschleppte und ermordete ihn. Der Mord steigerte den Widerstand auf der Straße und im Parlament. Die IKP schlug ISP und SEP sowie den Gewerkschaften einen Generalstreik vor und forderte: Weg mit der Regierung der Mörder! Entwaffnung der faschistischen Garden! Bildung einer Arbeiter-und-Bauern-Regierung! Die Forderung einer Arbeiter-und-Bauern-Regierung schloss die bürgerliche Opposition faktisch aus. Der Vorschlag wurde zurückgewiesen.

Gramsci verarbeitete diesen Misserfolg in seiner antifaschistischen Konzeption. Nach der Machtergreifung des Faschismus stehe die proletarische Revolution zunächst nicht mehr auf der Tagesordnung.

Teil 2: Revolutionäre Strategie (UZ vom 29. Januar 2021)


Ordinuovisten

Fraktion innerhalb der ISP. Benannt nach der Zeitung „L‘Ordine Nuovo“ (Neue Ordnung), die von Gramsci und Palmiro Togliatti in Turin herausgegeben wurde. Togliatti war führend bei der Ausarbeitung der antifaschistischen Strategie des 7. Weltkongress der KI beteiligt. Von 1947 bis 1964 war er Generalsekretär der IKP.


Gramsci im faschistischen Kerker

Unter Bruch seiner Immunität als Abgeordneter wurde Antonio Gramsci 1926 verhaftet und im Juni 1928 zu 20 Jahren Kerker verurteilt. Im Gefängnis erarbeitete er ein ungeheures Pensum an theoretischen Erkenntnissen.

Gramsci, der einen Buckel hatte und von zwergenhafter Gestalt war, litt von früher Kindheit an unter einer schwachen Gesundheit. Mit welch geradezu übermenschlicher Willenskraft er arbeitete, hat der Historiker Giuseppe Fiori in „Das Leben des Antonio Gramsci“ (Berlin 2013) geschildert. Gramsci befand sich schon seit 1933 „in einem Prozess des langsamen Sterbens“, schreibt Fiori. „Seine Zähne waren ausgefallen und er hatte ein schmerzhaftes Magenleiden. Fortschreitende Lungentuberkulose, Arteriosklerose und eine tuberkulöse Wirbelsäulenentzündung verursachten unerträgliche Schmerzen.“ Mit der Ablehnung medizinischer Betreuung und der Weigerung, ihn in ein Gefängniskrankenhaus zu verlegen, betrieb das Mussolini-Regime systematisch die Ermordung Gramscis. Ohne ärztliche Hilfe „starb er unter schrecklichen Qualen einen langsamen Tod“. Versuche, ihn zu einem Gnadengesuch zu bewegen, die nicht nur von Mussolini, sondern auch von seiner Familie und Freunden ausgingen, lehnte Gramsci entschieden ab. Er sah darin eine Distanzierung vom antifaschistischen Widerstand und befürchtete Auswirkungen auf dessen Kampfkraft.

Entgegen gängigen Meinungen, Moskau habe nichts zur Rettung Gramscis getan, führt Fiore an, dass von der UdSSR ein Austausch Gramscis versucht wurde, was Mussolini „schroff abgelehnt“ habe.

Fiori geht auch auf die problematische Ehe Gramscis mit Giulia Schucht ein, die er während seines Aufenthaltes als Delegierter bei der Komintern 1922/23 kennenlernte, heiratete und mit der er zwei Söhne hatte. „Er war 31 Jahre alt und zum ersten Mal verliebt“, schreibt Fiori. In den letzten und schwersten Jahren seines Lebens stand Giulia ihm nicht bei. Vergeblich wartete Gramsci auf einen Besuch von ihr im Gefängnis, ja oft erhielt er monatelang nicht einmal Post von ihr.

Der Haltung Giulias stellt Fiore die entgegengesetzte ihrer Schwester Tanja gegenüber, die in Italien blieb und Gramsci aufopferungsvoll zur Seite stand, ihn im Gefängnis besuchte, Literatur besorgte und alles tat, um sein schweres Los etwas zu erleichtern.

Anfang April 1937 wurde der bereits vom Tod gezeichnete Gramsci im Ergebnis einer internationalen Protestbewegung aus dem Gefängnis entlassen. Er starb am 27. April 1937.

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"Ein Leninist klassischen Typs", UZ vom 22. Januar 2021



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