Tolle Typen, schöne Worte: Martin Schulz beginnt seinen Wahlkampf

Ein klassischer Sozi, findet „Die Zeit“

Von Nina Hager

Martin Schulz ist nun auch offiziell Kanzlerkandidat der SPD. Der 61-Jährige soll für die SPD in die Bundestagswahl ziehen und natürlich Bundeskanzler werden. Zudem wird er Sigmar Gabriel als SPD-Vorsitzenden ablösen. Die Nominierung des langjährigen EU-Politikers weckt Begeisterung bei vielen Jusos, Mitgliedern der SPD und Sympathisantinnen wie Sympathisanten. Sie alle hoffen auf einen Aufbruch.

So weit, so gut? Schulz gibt sich tatsächlich anders als der bisherige Parteivorsitzende und jetzige Außenminister. „Lasst uns anpacken und unser Land gerechter machen und das mutlose ‚Weiter-so’ beenden“, sagte er in seiner ersten offiziellen Rede, die er am vergangenen Sonntag im Berliner Willy-Brandt-Haus der SPD hielt. Und er betont immer wieder seine Herkunft sowie seine Nähe zu den „einfachen Leuten“. Ebenso seine EU-Kompetenz: Die SPD hofft, mit  ihm als Kanzlerkandidaten und Vorsitzenden vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter wieder besser zu erreichen. Und Schulz scheint diese Hoffnung zu erfüllen: 1 000 neue Mitglieder konnte die SPD bis zum vergangenen Sonntag bereits begrüßen. Und auch die Umfragewerte der Partei steigen wieder. Leicht.

„Viele werden mich kennen. Ich bin ein Sohn einfacher Leute“, sagte Schulz. Martin Schulz ging vor dem Abitur von der Schule ab, absolvierte eine Ausbildung zum Buchhändler, hatte als junger Mann Alkoholprobleme, die er überwand. Mit 19 Jahren trat er in die SPD ein und engagierte sich bei den Jusos, später bei der SPD. Von 1996 bis 2010 war er Vorsitzender der SPD im Kreis Aachen. Im Jahr 1984 wurde Schulz für die SPD in den Würselener Stadtrat gewählt, dem er bis 1998 angehörte. 1987 wurde er Bürgermeister von Würselen, damals der jüngste in NRW, und hat damit auch Verwaltungserfahrung. Bürgermeister blieb er – obgleich seit 1994 Mitglied des Europaparlaments – bis 1998. Von 2004 bis zum Januar 2012 war er Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament, von 2012 bis Anfang 2017 Präsident des Europaparlaments. Seit 1999 ist er Mitglied des Parteivorstandes und des Präsidiums der SPD. Zum linken Flügel der SPD gehört er nicht.

Doch mit welchem Programm tritt Schulz an? Von ihm selbst konnte man bei seinem jetzigen Auftritt Genaueres nicht erfahren. Nur, dass die SPD will, „dass es in unserem Land gerechter zugeht. Dass die Menschen sicher und gut leben können. Dass unsere Kinder eine Perspektive haben. Dass Deutschland ein Stabilitätsfaktor in Europa und in der Welt ist.“ Dafür brauche Deutschland eine starke Sozialdemokratie. Er dankte Gabriel, nannte ihn „Freund“ und einen „tollen Typ“, lobte die Arbeit seiner Partei in der Großen Koalition. „Der verlässliche Partner in der Bundesregierung ist die SPD.“ Und er behauptete, dass die SPD in der Regierung bereits „große Erfolge“ wie den Mindestlohn erreicht habe.

Trotzdem will Martin Schulz nun gemeinsam mit der SPD endlich für mehr Gerechtigkeit im Land sorgen, Vertrauen aufbauen und das Land voranbringen. In welcher Koalition auch immer – aber in einer unter Führung der SPD. Den „einfachen Leuten“ soll es besser gehen, u. a. Steuerflucht bekämpft werden. Es dürfe keine Steuersenkungen – wie von Finanzminister Schäuble beabsichtigt – geben, von denen die Reichen „am meisten profitieren“. Schulz äußerte sich auch zu Löhnen und Renten, zur Unterstützung von Familien, zu bezahlbaren Mieten, zu gleichen Bildungschancen. Er versprach mehr Investitionen.

„Vieles ist aus dem Lot geraten“, mahnte er. Allen Menschen, die sich in unserem Land nicht sicher fühlen und Ängste haben, sei die SPD ein verlässlicher Anwalt. Er versprach in diesem Zusammenhang auch mehr Sicherheit, forderte eine „harte Hand“ im Kampf gegen die Mörder und Terroristen des IS, wandte sich aber gegen jene, die das Land abschotten wollen und gegen „blinden Nationalismus“. Auch den „Rassisten, Extremisten und Populisten sage ich, sagt die gesamte SPD den Kampf an!“

„Die Zeit“ nannte ihn nach seiner Rede am Sonntag einen „klassischen Sozi“ und stellte fest: „In seiner ersten Rede hat sich der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz als Mann der Mitte präsentiert und kaum inhaltliche Akzente gesetzt.“

Das ist so nicht ganz korrekt. Am Montag sprach er sich – sehr allgemein – für ein Steuerkonzept aus, das eine „Entlastung von Arbeit“ und eine „stärkere Besteuerung von Riesenvermögen“ ins Auge fasse. Große Vermögen müssten stärker herangezogen werden als kleinere und mittlere Einkommen. Nur, ob er seine Versprechen umsetzt? Jedes Mal vor Bundestagswahlen hat die SPD viel versprochen.

Zur Kanzlerkandidatur von Martin Schulz erklärten die Vorsitzenden der Partei „Die Linke“, Katja Kipping und Bernd Riexinger, am 24. Januar: „Wir werden erst einmal abwarten, ob diese Personalentscheidung (…) auch einen politischen Neuanfang der SPD hin zu einem Politikwechsel  für soziale Gerechtigkeit und weg von der Großen Koalition und ihrer verfehlten Politik bedeutet. Daran haben wir unsere Zweifel. Bisher ist Martin Schulz nicht als Kritiker der Agenda 2010 und der unsozialen EU-Politik aufgefallen.

Die SPD und ihr Kanzlerkandidat müssen liefern, wir werden sie an ihren Taten messen. Sind sie wirklich bereit die Reichen zu besteuern, die solidarische Mitte zu stärken, Kinder- und Altersarmut wirksam zu bekämpfen, Rüstungsexporte zu beenden und eine Militarisierung Europas zu verhindern?“

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"Ein klassischer Sozi, findet „Die Zeit“", UZ vom 3. Februar 2017



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