Drei Wahlniederlagen in Folge, deutliche Zugewinne der CDU, Umfrageverluste, Chaos im Wahlkampf, frustrierte Mitglieder, denen wieder Mut zugesprochen werden muss, verärgerte Wählerinnen und Wähler, die endlich Konkretes über die Wahlziele der Partei erfahren wollen und vor allem darüber, was Schulz denn mit „mehr Gerechtigkeit“ meint, sind eine schwere Last für die SPD. Dennoch will sie immer noch im September stärkste Partei werden.
Nach der Wahlniederlage seiner Partei in NRW versprach SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, nun endlich loszulegen. Doch womit? Mit dem am Montag in Berlin – nach chaotischem Hin und Her – vorgestellten präzisierten Leitantrag für ein Regierungsprogramm unter dem Titel „Mehr Zeit für Gerechtigkeit“? Für Fraktionschef Oppermann ist es jedenfalls das vielleicht „beste seit Willy Brandt“. Die Vorschläge seien ein „klares Kontrastprogramm“ zu den Ideen von CDU und CSU.
Zunächst einmal: In diesem sehr allgemein gehaltenen „Kontrastprogramm“ wird viel versprochen. Doch es gibt gravierende Lücken: Ein Rentenkonzept fehlt. Es müsse zunächst klar sein, welches Rentenniveau und welchen Beitragssatz man anstrebe, wurde am Montag erklärt. Kein Wort zu den Forderungen der Gewerkschaften sowie der Sozialverbände. Auch ein Steuerkonzept ist nicht enthalten. Der Begriff „Vermögensteuer“ kommt übrigens im Entwurf schon gar nicht vor und eine generelle Vermögensteuer ist nicht geplant. Man will aber – so SPD-Generalsekretärin Barley am Montag – die Erbschaftsteuer reformieren und dafür sorgen, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst bei einem höheren Einkommen als heute gilt. Das Rentenkonzept soll wie das Steuerkonzept „nachgereicht“ werden. Wahrscheinlich erst zum 25. Juni. An diesem Tag findet der SPD-Wahlparteitag statt.
Schon der zuvor online gestellte, vorhergehende Entwurf des Regierungsprogramms war sehr aufschlussreich. Das ist kein Programm für einen Politikwechsel im Interesse der Mehrheit der Menschen im Land, sondern eines zur Bewahrung des Bestehenden sowie des „inneren Friedens“. Und es ist kein „Kontrastprogramm“. Man lobt sich im Entwurf zunächst indirekt selbst und die angebliche „soziale Marktwirtschaft“: „Unser Land ist heute demokratischer, offener, moderner, und freier als jemals zuvor … Hier arbeiten motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ebenso wie selbstbewusste Gewerkschaften und erfolgreiche Unternehmen in einer starken sozialen Marktwirtschaft zusammen.“ Und so weiter. Man will wie die Union die „innere Sicherheit“ verbessern und mit dem Ruf nach mehr Polizisten und verschärften Gesetzen Härte zeigen. Man steht zu „Europa“ wie zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, auch wenn Verhandeln natürlich „besser“ ist und Abrüstung nötig sei.
Festgestellt wird aber vor allem, dass es nicht überall im Lande – sozial – gerecht zugehe. Was für eine Überraschung. Nach neuesten Berichten lebten z. B. Ende 2016 mindestens 1,6 Millionen Kinder im Land in Familien, die Hartz IV beziehen. Jeder Fünfte über 55 ist heute von Armut bedroht. Die SPD will nun Einkommen und Chancen „gerecht“ gestalten, untere und mittlere Einkommen entlasten, Familien unterstützen, mehr Kita-Plätze einrichten, die Schulausbildung verbessern, Schulbauten modernisieren, Ganztagsschulen einrichten, Bildung unentgeltlich anbieten, auch in die Forschung investieren. Sie will vor allem auch „Arbeitnehmer“rechte stärken, einige Hemmnisse für Arbeitslose abbauen und Fortbildungsmöglichkeiten ausweiten (als hätte man die nicht unter der Schröder-Fischer-Regierung selbst eingeschränkt). Mieten sollen bezahlbar bleiben.
„Die Botschaft hör’ ich wohl“, allein … Denn dass die SPD mit ihrer Agenda 2010, durch Zustimmung zur Privatisierung öffentlichen Eigentums in vielen Städten und Gemeinden zur Vertiefung der sozialen Spaltung der Gesellschaft, zur Armut beigetragen hat, ist ihren Programmmachern nicht der Erwähnung wert. Und die Agenda 2010 sowie Hartz IV? Die bleiben. Nur einige kosmetische Korrekturen sind vorgesehen. Und dass die SPD so manches von dem, was jetzt im Entwurf des Regierungsprogramms steht, in der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung in den letzten vier Jahren mit Hilfe der Opposition im Bundestag hätte durchsetzen können, bleibt wohlweislich auch „unter dem Tisch“.