Im vergangenen Oktober setzte sich der – von Madrid seines Amtes enthobene – katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont nach Brüssel ab, um seiner Verhaftung zu entgehen. Er habe die belgische Metropole gewählt, weil diese die „Hauptstadt Europas“ sei, erklärte er damals. Es gehe darum, die Institutionen der EU dazu zu bewegen, sich in den Konflikt um die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens einzuschalten.
Knapp ein halbes Jahr später kann man feststellen, dass diese Rechnung nicht aufgegangen ist. Die EU-Kommission hält nach wie vor an der Auffassung fest, es handele sich um ein innerspanisches Problem, in das sie sich nicht einmischen wolle. Auch die deutsche Bundesregierung hat sich bislang auf diese Position zurückgezogen und gebetsmühlenartig ihr Vertrauen in den „spanischen Rechtsstaat“ bekräftigt.
Nun allerdings befindet sich Puigdemont wirklich im Herzen der Bestie – unfreiwillig. Kurz vor Ostern war er in Schleswig-Holstein festgenommen worden. Grundlage dafür war ein zweiter Europäischer Haftbefehl der spanischen Justiz. Ein erstes Festnahmeersuchen hatten die zuständigen Richter Ende vergangenen Jahres aufgehoben, nachdem klar geworden war, dass die belgische Justiz Puigdemont nicht wegen des Hauptvorwurfs der „Rebellion“ an Spanien ausliefern würde. Damit aber, so sehen es die in der EU geltenden Abkommen vor, hätte Puigdemont nach einer Überstellung aus Brüssel nicht mehr dafür verurteilt werden können, sondern höchstens noch wegen geringerer Delikte.
Das wollte der zuständige Richter vermeiden. Als sich Puigdemont am 23. März jedoch für einen Vortrag in Helsinki aufhielt, erließ Pablo Llarena einen neuen Haftbefehl – offenbar in der Hoffnung, dass die finnischen Behörden den katalanischen Politiker festnehmen und ohne Komplikationen ausliefern würden. Die Gelegenheit dafür wäre gewesen, wenn sich Puigdemont wie geplant am Flughafen der finnischen Hauptstadt eingefunden hätte, um den Rückflug nach Brüssel anzutreten. Er zog es jedoch vor, die Reise mit einem Auto auf dem Landweg anzutreten. Dabei war er offenbar ständig im Visier der spanischen Geheimdienste. Dänemark konnte er ungehindert passieren, doch in Norddeutschland griff die Polizei zu. Welche Tipps sie aus Madrid bekommen hatte, ist unklar. Aus Spanien verlautete unter der Hand, man habe von Deutschland eine zuvorkommendere Behandlung des Falls erwartet als von Dänemark.
Puigdemont wurde in Neumünster inhaftiert, und die Generalstaatsanwaltschaft beantragte die Auslieferung des Politikers nach Spanien. Er habe sich der „Durchführung eines verfassungswidrigen Referendums trotz zu erwartender gewaltsamer Ausschreitungen“ schuldig gemacht, beteten die deutschen Ankläger die Vorwürfe aus Madrid nach.
Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein kassierte diese Interpretation der Staatsanwälte jedoch. Am 4. April erließen die Richter zwar Auslieferungshaftbefehl gegen Puigdemont, setzten ihn jedoch sofort außer Vollzug. Den Vorwurf der „Rebellion“ verwarfen sie als „von vornherein unzulässig“, weil der Angeklagte nicht zur Gewalt gegriffen habe. Auch die Beschuldigung der Veruntreuung öffentlicher Mittel bezweifeln die deutschen Richter und forderten von ihren spanischen Kollegen „weitere Informationen“ an.
Puigdemont darf nach seiner Freilassung Deutschland nicht verlassen, muss den Behörden seinen Aufenthaltsort mitteilen und sich wöchentlich bei der Polizei melden. Als Wohnsitz in der Bundesrepublik gab er Berlin an. Dort stellte er sich am 7. April erstmals bei einer Pressekonferenz den internationalen Medien. Erneut rief er zum Dialog auf. „Weniger Richter, mehr Gespräche“, verlangte er von Madrid, der Konflikt müsse politisch gelöst werden. Dabei verneinte er auch die Frage eines Journalisten, ob am Ende solcher Verhandlungen zwingend die Unabhängigkeit Kataloniens stehen müsse. Er erinnerte an das Autonomiestatut von 2006, das vom spanischen Parlament und von den Katalanen in einem Referendum angenommen, dann aber auf Antrag der damals oppositionellen Volkspartei (PP) vom spanischen Verfassungsgericht in weiten Teilen aufgehoben worden war.
Bis auf Weiteres sitzt Carles Puigdemont also in Berlin. Damit hat der Katalonien-Konflikt die deutsche Politik erreicht und wird die bilateralen Kontakte zwischen Deutschland und Spanien beschäftigen. Das „innerspanische Problem“ ist auf der Tagesordnung der Bundespolitik gelandet.