Der Konflikt um die VW-Standorte reicht weit über den Konzern hinaus

Ein Kampf um die ganze Branche

Diese Zahlen muss man erst einmal auf sich wirken lassen: Der mit 120.000 Beschäftigten allein in Deutschland größte europäische Autokonzern, Volkswagen, will „mindestens“ drei seiner zehn Werke in Deutschland schließen, nach Angaben der Betriebsratsvorsitzenden Daniela Cavallo „Produkte, Stückzahlen, Schichten und ganze Montagelinien“ auch in den dann noch verbleibenden Standorten abbauen, die Entgelte quer durch alle Abteilungen und Hierarchien um 10 Prozent senken, 2025 und 2026 keine Lohnerhöhungen bewilligen und tarifliche Zulagen streichen.

Es ergäbe sich, so rechnet die IG Metall vor, ein Reallohnabbau von fast einem Fünftel für die Angehörigen der dann gerupften Belegschaft – die dafür die Arbeit der Entlassenen mitstemmen müssten. Käme es dazu, dann könnten rund um die Standorte der VW-Werke herum reihenweise Hauskredite nicht mehr bedient werden. Zulieferer würden ihre Leute massenhaft entlassen oder Standorte schließen. Ganze Regionen drohen dann zu veröden.

Die Stimmung bei der Verkündung dieses, wie es Cavallo formulierte, „Ausverkaufs des Standorts Deutschland“, war sowohl im Stammwerk Wolfsburg als auch in Zwickau, wo Tausende auf die Straße gingen, kämpferisch. Kämpfen, das wird auch bitter nötig sein. An diesem Kampf um VW entscheidet sich viel – nicht „nur“ wegen der Schicksale der Familien, die von den Löhnen von VW und von Zulieferbetrieben leben, der örtlichen Handwerker, Dienstleister und Kommunen.

Das Volkswagenwerk ist dem deutschen Kapital seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Dorn im Auge. Weil es im antifaschistischen Klima am Ende der 1940er Jahre gelungen war, eine volle Privatisierung des Konzerns zu verhindern und eine starke Stellung sowohl der Gewerkschaften als auch des Landes Niedersachsen zu etablieren, konnte sich die Belegschaft ein Entlohnungsniveau erkämpfen, das auch Orientierungspunkt für andere Unternehmen der ganzen metallverarbeitenden Industrie wurde. Nicht trotz, sondern wegen dieser starken Stellung der Beschäftigten mauserte sich das 1938 auf der grünen Wiese gegründete Werk zeitweise zum erfolgreichsten Autobauer der Welt. Diese Festung soll nun im Sturmangriff genommen und geschliffen werden. Das ist der Kern der jetzt bevorstehenden Auseinandersetzung. Der Kampf um VW ist ein Kampf um die ganze Branche.

Gelingt es dem Vorstand, gedeckt durch die Familie Porsche (53,3 Prozent der Aktien), dem von der SPD regierten Bundesland Niedersachsen (20 Prozent) und der Qatar Holding (17 Prozent), den Kahlschlag durchzusetzen, wäre das ein Stoß in den Rücken aller Kolleginnen und Kollegen der Metall- und Elektroindustrie, die jetzt um dringend notwendige Lohnerhöhungen kämpfen. Ratschläge zur Mäßigung und Kompromissbereitschaft, die jetzt von allen Seiten auf die Kolleginnen und Kollegen von VW einhageln, sind völlig fehl am Platz. Es sei daran erinnert, dass VW noch im Juni 4,5 Milliarden Euro an Dividenden für das Geschäftsjahr 2023 an seine Aktionäre ausgeschüttet hat. Die Strategie der deutschen Automobilindustrie ist und bleibt, möglichst viel Rendite einzufahren. Deshalb wurde auf die Entwicklung und Produktion vor allem großer und teurer Autos gesetzt – der Gewinn stieg, obwohl der Absatz sank.

Dieser Kurs darf von der Politik nicht weiter gestützt werden. Stattdessen müsste die Konfrontationspolitik mit Russland und China beendet werden, um die Rahmenbedingungen für die energieintensive und auf Kooperationen angewiesene Autoindustrie wiederherzustellen.

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"Ein Kampf um die ganze Branche", UZ vom 1. November 2024



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