Mein Opa hieß Karl. Und mein Großonkel Helmut.

Ein Jahr Evonik

Von Marcella Schön

Die anderen in der Kneipe heißen Kevin, Chris, Lena, Ayla oder Uli, und selbst Gartenbro zu heißen hat ja was. Aber Karl? Als Rehnagel hätten sie ihn gleich Otto nennen sollen. Aber warum in aller Welt nennen Eltern ihr Kind heute noch Karl? Wohl nach dem Marx, den er in seinem Zimmer an der Wand hat.

Jedenfalls mag ich ihn und irgendwie hatte er mich ja schon fast weichgekocht mit seinen Avancen, die zwar genauso durchschaubar sind wie die Angriffe des BVB in den letzten drei Monaten, aber die führten ja in der Nachspielzeit auch regelmäßig zum Sieg. Weiß eigentlich irgendwer, wie die Tabelle aussehen würde, wenn alle Spiele nach 87 Minuten abgepfiffen worden wären? Wir wären Sechster statt Zweiter. Darfst du aber in der Kneipe nicht thematisieren.

Egal, man muss Karl trotz allem eins lassen: Er ist hartnäckig. Sicher, einer dieser unverbesserlichen BVB-Fans, die zwar dem einzigen börsennotierten Fußballverein Deutschlands zujubeln, aber dauernd den Eindruck erwecken, Bayern und Leipzig seien böse Kapitalisten, während Reus & Co nach der Schicht am Hochofen dreimal die Woche verschwitzt zum Training kommen und vorher in der Dortmunder Jugend ausgebildet und nicht den Gegnern weggekauft wurden. Er glaubt sich das! Und dem BVB die „Echte Liebe“.

Diese Hartnäckigkeit müsste er halt mal bis zur Nachspielzeit durchziehen. Stattdessen belatschert er mich nach dem Gladbach-Spiel von wegen „Gefühle nicht beschreiben können“ und überlegt laut, von welchem Jürgen er das schon mal gehört hatte. Klopp wär’s zuzutrauen. Schon beim Freiburg-Spiel hatte er mich den ganzen Nachmittag betextet, von wegen nächster Gegner. Dass das ganz eng werden würde gegen Herne-West (unverzeihlich, er nennt sie beim Namen, also Sch… Von denen würde ja auch nie einer „Dortmund“ zu uns sagen, sondern Lüdenscheid). Nach der Pleite gegen Herne war für ihn die Saison jedenfalls gelaufen. Und zwar in jeder Hinsicht. Schon dumm, denn so nah wie am 34. Spieltag hatte ich ihn nie gelassen. Meine Mädels nahmen auftragsgemäß die Serben-Jungs ins Schlepp, und wir waren allein. Ein Kavalier, der mich ein Jahr nach Hause bringt und dann nicht merkt, wenn … Ohne Details jetzt, aber alles war möglich. Derweil hat er sich wohl überlegt, wie er seinen kommunistischen Freunden erklären würde, wie man alljährlich neun Punkte Vorsprung auf Bayern verbaselt – manche sagen, er ist zu verkopft. Ich sag’s mal so: Evonik statt Erotik.

PS: Er hat wohl geglaubt, dass ich diese Zeitung, in der er schreibt, niemals durch Zufall in die Finger kriegen könnte. Aber weil ich nun mal am Samstag in Hörde mit ihm Nazis blockieren war, bekam ich von einem seiner Kumpane so eine „UZ“ angedreht. Da lese ich ganz hinten doch tatsächlich was von der „schönen M.“ – der macht meinen Nachnamen zu seinem Programm? Leute, geht das schon länger so? Im Urlaub abonniere ich online und lese am Strand alles nach. Wenn die das da in Sachen Archiv draufhaben. Rechnung an Rehnagel.

Trotz allem – ich hätte ihm angeboten mitzufahren. Aber jetzt fahre ich allein und halte es wie Gerhard Delling, der Günter Netzer zuraunte: „Sie sind der Experte. Die Betonung liegt auf Ex.“

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"Ein Jahr Evonik", UZ vom 31. Mai 2019



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