Dem Schriftsteller Brendan Behan zum 100. Geburtstag

Ein irischer Rebell

Brendan Behan ist wohl einer der jüngsten Schriftsteller, die aus der irischen literarischen Erneuerungsbewegung hervorgingen. Mit William Butler Yeats und John Millington Synge in den 1880er Jahren in der hegemonialen protestantischen Schicht entstanden, breitete sich die Bewegung mit Autoren wie Sean O’Casey, Máirtín Ó Cadhain und Liam O’Flaherty auf die irische Arbeiterklasse aus. Sie fällt mit dem Wachstum des irischen Nationalismus im 19. Jahrhundert zusammen, der sich zum Sozialismus von James Connolly entwickelte. Viele englisch- und irischsprachige Schriftsteller wurden Teil dieser Bewegung.

Behan wurde nach der Gründung des irischen Freistaats, am 9. Februar 1923, als Sohn eines Anstreichers geboren. Der irische Bürgerkrieg tobte und Behans Familie kämpfte für die Republik. Sie waren sehr kultur- und kunstbegeistert. Einer von Behans Onkeln, Peadar Kearney, schrieb 1910 „A Soldier’s Song“ (Irisch „Amhrán na bhFiann“, dt. „Soldatenlied“), das schnell von der Befreiungsbewegung übernommen wurde und dessen Refrain seit 1926 die irische Nationalhymne ist. In seinem autobiografischen Roman „Borstal Boy“ erinnert sich Behan unter anderem an seinen Vater:

„(Er) war ein großartiger Geiger, ebenso wie mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, der von den Gefangenen im Internierungslager Ballykinlar eine Geige geschenkt bekam, weil er die Nationalhymne geschrieben hatte. Meine Mutter war eine gute Sängerin, und die Tanten meines Stiefbruders spielten Klavier, und wir hatten tolle Abende in ihrem großen Haus an der North Circular Road.“

Ein weiterer Onkel, P. J. Bourke, war in der irischen Theaterbewegung aktiv. Die Familie Behan ist ein Beispiel dafür, wie sehr die nationale Befreiungsbewegung mit der literarischen Erneuerung verwoben war. Wie die meisten seiner Generation (Jahrzehnte vor der kostenlosen Sekundarschulbildung) verließ Behan dreizehnjährig die Schule und erlernte den Beruf seines Vaters und Großvaters.

Behans Vater hatte im Unabhängigkeitskrieg gekämpft und seine Liebe zur Literatur und zum Lesen an seine Kinder weitergegeben. Seine Mutter, ein Mitglied des Cumann na mBan („Gesellschaft der Frauen“, irisch-republikanische bewaffneten Organisation von Frauen, die an der Seite der Irish Volunteers und später der Irish Republican Army kämpfte) war ebenso belesen und kultiviert, verfügte über einen großen Fundus an Liedern und war ihr Leben lang politisch aktiv. Behans Oma verband problemlos ihren katholischen Glauben mit ihren kommunistischen Sympathien und Behan beschäftigte sich von klein auf mit marxistischem Gedankengut, ebenso wie seine Brüder Dominic und Brian. Seine Mutter und Dominic waren Mitglieder der Kommunistischen Partei. Obwohl selbst nie Parteimitglied, bemerkte Behan scherzhaft: „Ich bin tagsüber Kommunist und Katholik, sobald es dunkel wird!“

Die katholische Kirche fand es jedoch nicht ganz so einfach, Kommunismus und Religion zu vereinen. In einer seiner berühmten Anekdoten erzählt Behan, wie ihn in der Schule ein Priester schlug, als er die Frage „Kann Irland ein kommunistisches Land werden?“ bejahte.

1932 trat Behan der Jugendbewegung Na Fianna Éireann bei. Bald wurde das Schreiben für ihn zum festen Bestandteil seines politischen Kampfes. Bereits mit zwölf Jahren begann er, Beiträge für die Zeitschrift der Jugendorganisation zu schreiben. Mit sechzehn Jahren trat er 1939 in die IRA ein. Hier avancierte Behan zum Boten für den Stabschef Sean Russell. In der IRA gab es eine bedeutende linke Gruppierung, die die innere Verbindung zwischen dem Kampf für nationale Befreiung und dem Kampf der Arbeiterklasse widerspiegelte.

Als die IRA 1939 ihre bewaffnete Kampagne in Britannien startete, schloss sich Behan an. Die Angriffe der IRA zielten zunächst auf militärische und strategische Ziele, später auch auf zivile. Behan und andere handelten in der Überzeugung, als Patrioten gegen den britischen Imperialismus in Irland zu kämpfen.

Einen guten Eindruck jener Zeit vermittelt Behans „Borstal Boy“, in dem er beschreibt, wie er Ende 1939 mit Sprengstoff im Gepäck nach Liverpool reiste und gefangen genommen wurde. Im Gefängnis wurde er brutal behandelt und die britische Staatsanwaltschaft drängte ihn, gegen die IRA auszusagen. Er weigerte sich und wurde aufgrund seiner Jugend zu drei Jahren Erziehungsanstalt verurteilt. Als er 1941 nach Irland zurückkehrte, wurde er bereits als verdächtiger Kommunist eingestuft.

1942 wurde Behan verhaftet und wegen Verschwörung zum Mord an zwei Polizeibeamten vor Gericht gestellt. Die IRA hatte ein Attentat geplant, das mit einer Gedenkfeier für Wolfe Tone, einen Vorkämpfer der irischen Unabhängigkeit, zusammenfallen sollte. Behan wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt, die er im Mountjoy Gaol und im Curragh Camp verbüßte, wo auch andere IRA-Männer saßen. Diese Erfahrungen sind in seinen Memoiren „Bekenntnisse eines irischen Rebellen“ festgehalten. Behan, 1945 im Rahmen einer allgemeinen Amnestie freigelassen und 1947 an einem Fluchtversuch von Gefangenen in Nordengland beteiligt, wurde erneut inhaftiert. Nach Irland zurückgekehrt, arbeitete er zunächst als Anstreicher, bevor er seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben bestritt.

Während seiner Gefangenschaft in irischen Gefängnissen begann Behan Irisch zu lernen, was er auch nach seiner Entlassung in den Gaeltacht-Gebieten von Kerry und Galway in den späten 1940er Jahren fortsetzte. Er erlernte es so fließend, dass er Gedichte sowie sein Theaterstück „An Giall“ (The Hostage, Die Geisel) auf Irisch schrieb. Er verbrachte viel Zeit auf der Great-Blasket-Insel vor der Küste von Dingle, wo die Einheimischen bis zur Evakuierung der Insel 1953 den Reichtum der irischen Poesie und des irischen Liedguts lebendig hielten. Für Behan war dies ein natürlicher kultureller Lebensraum, seine besten Gedichte sind in Irisch verfasst. In diesen Gedichten wendet sich Behan gegen den Konservatismus der bürgerlichen Bürokraten, die eine künstliche „Überlegenheit“ gegenüber der lebendigen Sprache der Mittellosen in den Gaeltacht-Gebieten unterstellten. Auch andere irischsprachige Schriftsteller wie sein Zeitgenosse Máirtín Ó Cadhain oder später Tomás Mac Síomóin thematisierten diesen administrativen Würgegriff auf die Sprache. Behans Vision einer Wiederbelebung der irischen Sprache stand im Gegensatz zur Vereinnahmung der Sprache durch die bürgerliche Bürokratie.

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(Foto: privat)

In den späten 1940er und frühen 1950er Jahren, als Behan auch einige Zeit in Paris verbrachte, widmete er sich ganz dem Schreiben. Sein Durchbruch von 1954, „The Quare Fellow“ (Der Mann von morgen früh/Der Todeskandidat), spielt im Dubliner Gefängnis Mountjoy Gaol. Der Titelheld des Stücks tritt nie auf – sein Todesurteil wegen Brudermordes soll am nächsten Tag vollstreckt werden, es gibt gewisse Anklänge an Oscar Wildes „Ballade vom Zuchthaus zu Reading“. Das Schicksal des Verurteilten wird aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt – sowohl aus der Sicht der Häftlinge, die das Grab ausheben, als auch aus der Sicht der Gefängniswärter. Unter den Figuren befindet sich ein Schwuler, zu einer Zeit, als Homosexualität illegal war. Wie später „Die Geisel“ kommentiert auch „The Quare Fellow“ die Kluft zwischen der bestehenden irischen Republik und den Idealen, für die die Republikaner gekämpft hatten: Die Fahne ist eine andere geworden, aber die gleichen Leute haben weiterhin das Sagen.

Behans enge Freundschaft mit seinem Cousin Cathal Goulding hatte immer auch eine politische Komponente. Mitte der 1950er Jahre war klar geworden, dass die Kampagne zur Beseitigung der inneririschen Grenze keinen Erfolg brachte. Zwischen dieser Zeit und den frühen 1960er Jahren hatte Goulding, der in den 1950er Jahren ein führender Aktivist und Mitglied der IRA-Führung und in den 1960er Jahren Stabschef war, seine politische Einschätzung und seine Politik überdacht. Er erkannte, dass die Wiedervereinigung des Landes nur ein Ziel war, dass es aber noch eine weitere Dimension der irischen Unabhängigkeit gab: den Umgang mit den verschiedenen neokolonialen Besatzern, die in den Süden Irlands kamen. Das Konzept der irischen Republik musste mit Blick auf die Menschen, die in ihr leben, neu definiert werden. Thomas Whitaker, Leiter des irischen Finanzministeriums (1956 bis 1969) und späterer Vorstand der irischen Zentralbank (1969 bis 1976), gab jedes Bestreben nach Unabhängigkeit auf, indem er ausländische Direktinvestitionen einlud. Dies führte schließlich zum Beitritt Irlands zur EWG. Innerhalb der republikanischen Bewegung fanden also Diskussionen über die Art von Republik statt, die sie sich für Irland vorstellten – eine Republik, die dem Volk zugute käme und in der die gemeinsamen Interessen Vorrang vor den individuellen Interessen hätten. Behans Werk zeigt, dass er mit diesem Konzept einer irischen Republik voll und ganz übereinstimmte.

„Borstal Boy“ fiktionalisiert die Zeit, die Behan in Gefängnissen verbrachte. Das Buch beginnt mit seiner Verhaftung und führt bald darauf in die Jugendstrafanstalt Hollesley Bay Borstal, eine fortschrittliche, offene Einrichtung im ländlichen Suffolk. Behan beschreibt die Landschaft und die landwirtschaftliche Arbeit sowie die Gefangenen und Wärter in einfühlsamen Schilderungen. Charlie, ein Matrose der Royal Navy und kleiner Cockney-Dieb, wird ein enger Freund. Ein irischer Wärter hingegen ist ihm gegenüber ziemlich feindselig. Und ein katholischer Priester ermutigt gar protestantische Wärter, Behan zu verprügeln. Durch die Handlung, aber interessanterweise auch durch seine Sprache, zeigt Behan, wie viele Gemeinsamkeiten es zwischen katholisch-irischen und protestantisch-englischen Arbeitern gibt, wobei er verschiedene Dialekte des Englischen verwendet, wie sie von der britischen Arbeiterklasse in diversen Regionen gesprochen werden. Darüber hinaus verwendet er Lieder und Gedichte, bezieht sich aber auch auf die irische Sprache. Das 1958 erschienene Buch beschreibt Behans wachsende Distanzierung von der Gewalt, während er irischer Patriot bleibt.

Behans berühmtes Stück „Die Geisel“ spielt in einem schäbigen Dubliner Mietshaus, das zum Zufluchtsort für Seeleute, Huren, Stricher und allerlei obskure Gestalten geworden ist und ein bizarres Spiegelbild der irischen Gesellschaft um 1960 darstellt. Pat, ein Veteran des irischen Befreiungs-kampfes, hat nicht nur ein Bein, sondern auch seine Illusionen verloren. Er hat resigniert und versucht vergeblich, sich nicht politisch zu engagieren. Ein IRA-Offizier bringt Leslie Williams zu ihm ins Haus, einen jungen englischen Wehrpflichtigen, der als Geisel für einen 18-jährigen IRA-Gefangenen gehalten wird, den in Belfast die Todesstrafe erwartet. Ähnlich wie in „Borstal Boy“ wird dem Publikum ein sympathischer englischer Soldat aus der Arbeiterklasse gezeigt, der versehentlich in sinnlosem Kreuzfeuer erschossen wird. Erneut wird Behans Haltung gegenüber der englischen Arbeiterklasse unterstrichen. Er bewertet nicht nach irisch oder englisch, nicht nach protestantisch oder katholisch, sondern nach oben und unten. Seine Sympathie gilt in erster Linie den Menschen, die leiden, niemals den Nutznießern der Geschichte, und er prüft den politischen Zweck von Handlungen immer genau in diesem Licht.

Behan identifizierte sich sowohl als Republikaner als auch als Sozialist, wie seine Schriften verdeutlichen. Sein Verhältnis zur Kommunistischen Partei war freundschaftlich. So unterzeichnete Behan 1954 die Nominierungsunterlagen von Michael O’Riordan, einem Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs und Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Irlands, als dieser bei den Parlamentswahlen kandidierte. Kleriker in ganz Irland hatten den Kandidaten verteufelt. Als O’Riordan knapp 300 Stimmen erhielt, sagte ihm Behan: „Das haben die 295 Todsünder aber gut gemacht!“

Als Behan Anfang der 1960er Jahre zu einem international bekannten Autor geworden war, verbrachte er viel Zeit in den USA. Hier traf er sich mit Bob Dylan, Allen Ginsberg, Jackie Gleason, Norman Mailer, Harpo Marx, Arthur Miller, Tennessee Williams und anderen. Sein Ruhm verschlimmerte jedoch seinen Alkoholismus, der, verbunden mit Diabetes und Gelbsucht, letztlich zu seinem frühen Tod am 20. März 1964 im Alter von nur 41 Jahren beitrug.

Brendan Behan war für seinen Witz bekannt und so wollen wir mit einer seiner Beobachtungen schließen: „Es ist leicht, den Terroristen zu erkennen. Er ist der mit der kleinen Bombe.“

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"Ein irischer Rebell", UZ vom 10. Februar 2023



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