Erste SiKo unter Leitung des neuen Chefs Christoph Heusgen

Ein Intrigant ohne Gewissen

Die grüne Uniform samt eichenlaubbekränztem Schützenhut legt Christoph Heusgen nur noch selten an. Zum Schützenkönig hat es in 50 Jahren Mitgliedschaft auch nicht gereicht. Aber beim alljährlichen Aufmarsch des von ihm im zarten Alter von 16 Jahren mitbegründeten Neusser „Schützenlustzugs“ hat er noch nie gefehlt. Zu den schmissigen Klängen des vom Tambourkorps „Blüh Auf 1919“ intonierten Schützenmarsches „Des Neussers Freud und Lust“ (Textpassage: „Waffen glänzen in der Sonn‘, wenn die Büchsen lustig knattern, schwellt des Neussers Herz vor Wonn‘“) ist er dann stets ganz vorne mit dabei.

Christoph Heusgen – seines Zeichens Apothekersohn, CDU-Mitglied, Student der Wirtschaftswissenschaften mit der Abschlussarbeit über „Ludwig Erhards Lehre von der sozialen Marktwirtschaft“, übernahm von seinem scheidenden Mentor Wolfgang Ischinger Ende 2021 den Vorsitz der Münchener Sicherheitskonferenz (SiKo). Seit 1980 war er im Auswärtigen Dienst, 1988 bis 1990 persönlicher Referent von Rainer Barzel (CDU), von 1993 bis 1997 Vizebüroleiter bei Außenminister Klaus Kinkel (FDP, 1936 bis 2019), bis Oktober 2005 Büroleiter bei Javier Solana (EU in Brüssel). Anschließend wirkte Heusgen von 2005 bis 2017 als engster Merkel-Vertrauter für heikle internationale Angelegenheiten und schließlich bis 2021 als Deutschlands Chef-Abgesandter bei den Vereinten Nationen. Er erscheint hinreichend weltgewandt, sprachbegabt, zugleich heimatverbunden und stets als ein treuer Adlat, ob im Kanzleramt oder der Führungsetage des Auswärtigen Amtes. Ein Diplomat – ganz so, wie man es in den Stellenbeschreibungen des Außenamtes lesen kann, „überdurchschnittliche Fremdsprachenkenntnisse, ausgeprägte soziale und interkulturelle Kompetenz und eine robuste Verfassung“.

Doch Heusgen ist anders – in keiner Weise „diplomatisch“, wie es uns die Synonymwörterbücher lehren wollen, weder ein Mann des vorsichtigen Ausdrucks, der behutsamen Vorgehensweise und erst recht keiner, der die Eskalation scheut. Im Gegenteil: Einer, der mit Freude konfrontiert, zündelt und nimmermüde provoziert. Beispiele? Gibt es genug. Sein größtes Verdienst? Der Eklat am Ende von Deutschlands zweijähriger Mitgliedschaft im Sicherheitsrat im Januar 2021. Jede Sitzung, jedes Ausschussmeeting nutzte Heusgen, die Vertreter Russlands und Chinas zu provozieren. Putin warf er die „Wiederherstellung des russischen Reiches“ und die „Vergiftung“ Nawalnys vor; unter dem Deckmantel bilateraler Gespräche versuchte er – wie er selbst in einem „Focus“-Beitrag schrieb – „afrikanische Staaten für eine Unterzeichnung einer China-kritischen Erklärung“ zu gewinnen. Sein Ziel, China zu isolieren, misslang kläglich, seine Hintertürchendiplomatie aber wurde bekannt.

Das intrigante Spiel war einer der Anlässe für eine mehr als frostige Verabschiedung Heusgens in der letzten Sitzung des Rates unter deutscher Beteiligung. Der UN-Botschafter Chinas, Yao Shaojun, gab Heusgen mit auf den Weg: „Deutschlands Auftreten im Sicherheitsrat hat nicht den Erwartungen der Welt und denen des Rates entsprochen (…) Gut, dass wir Sie los sind.“ Ähnlich der letzte Gruß des russischen Vertreters: „Wie schade, dass Sie endlich gehen.“ Heusgen hatte es geschafft, dass sein Herzenswunsch, eine Dauermitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, nun ein für alle Mal erledigt sein dürfte. Dass mit diesem Diplomaten im Wolfspelz nicht zu spaßen ist, musste auch der frühere Außenminister Guido Westerwelle (FDP, 1961 bis 2016) erfahren. Frisch im Amt, forderte Westerwelle im Oktober 2009 den „Abzug aller Nuklearwaffen“ aus Deutschland. Dem Kanzleramt missfiel das. Am 10. November 2009 traf Heusgen in Berlin mit US-Botschafter Philip Murphy zusammen, stellte klar, dass „die 20“ (Atomwaffen) bleiben müssen, denn Russland hätte „Tausende“. Die US-Botschaft kabelte diese Information vertraulich an das „National Security Council“ in den USA. Westerwelle war – ohne dass er etwas davon mitbekam – kaltgestellt worden. Erst ein Jahr später kam der Vorgang durch WikiLeaks (Document: 09BERLIN1433) ans Licht.

Die Übernahme des Vorsitzes der SiKo Ende 2021 geriet zur Frischzellenkur für den kalten Krieger. Wo die Reise hingeht, lässt sich an den Interviews der letzten Wochen ablesen: „Deutsche Waffen für die Ukraine“, „Deutschland (darf) sich nicht mehr verstecken und die Geschichte als Ausrede benutzen“. Gegen Russland und China: „Da müssen wir noch eine Schippe drauf legen.“

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"Ein Intrigant ohne Gewissen", UZ vom 25. Februar 2022



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