Wie „Welt“ und „Spiegel“ übereinstimmend berichten, haben sich unter Federführung des CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz etwa 40 Abgeordnete von SPD, Union, Grünen und „Linken“ zusammengetan, um dem Bundestag einen Antrag auf Verbot der AfD zur Beschlussfassung vorzulegen.
Neben dem Parteiverbot in Artikel 21, Absatz 2 und dem Vereinsverbot in Artikel 9, Absatz 2 (die ihre Entsprechungen auch auf Länderebene haben) kennt das Grundgesetz (GG) noch weitere Wege, „verfassungsfeindlichen Parteien“ das Wasser abzugraben, entweder durch den Ausschluss von der staatlichen Finanzierung (Art. 21, Abs. 3 GG) oder den bisher nie vollzogenen Artikel 18 (Verwirkung von Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis und Eigentum). Das Ensemble der genannten Artikel wird gern unter dem Etikett der „wehrhaften Demokratie“ zusammengefasst, einem Begriff, der in der Weimarer Republik nur im militärischen Sinne (Verteidigung nach außen) verstanden wurde. Seit den 1970er Jahren nutzt ihn das Bundesverfassungsgericht gern, um sich vom Rechtssystem der Weimarer Republik abzuheben, das ohnmächtig gegen „Extremisten von rechts und links“ gewesen sei.
Für die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff ist das eine wohlfeile Legende, mit der „die Eliten der ersten Nachkriegsjahrzehnte sich selbst und die öffentliche Meinung davon zu überzeugen suchten, dass für das Vorausgegangene Andere und Anderes als sie selbst verantwortlich waren“. Tatsächlich brauchte die Weimarer Republik weder eine Verfassungsnorm noch ein Verfassungsgericht, um Parteiverbote zu erlassen. Ein einfaches Gesetz wie das „Republikschutzgesetz“ von 1920 sorgte am 9. November 1923 für das reichsweite Verbot der NSDAP. Die umging das Verbot durch ihre Neugründung am 27. Februar 1925.
Da nur Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung antragsberechtigt sind, muss die Verbotsinitiative von Wanderwitz zuerst einmal die Bundestagsmehrheit hinter sich bringen. Gelänge dies, würde sich das als Streit- und Beweiserhebungsverfahren ausgestaltete Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BverfG) anschließen. Dort liegen die juristischen Hürden hoch, nicht unbedingt aus juristischem Ethos, sondern weil der zuständige Senat versuchen wird, all die unschönen Dinge aus dem KPD-Verbotsverfahren von 1956 zu vermeiden: Damals tagten die Vertreter des Verfassungsschutzes, der Bundesregierung und des Bundesverfassungsgerichtes unter Ausschluss der KPD-Vertreter. Ein Sitzungsprotokoll wurde aus Geheimhaltungsgründen nicht erstellt.
Seit dem kläglichen Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2017 ist das zentrale Ausforschungsmittel des Verfassungsschutzes, der sämtliche Beweise für das verfassungsfeindlich erhebliche Agieren einer Partei beizubringen hat, nur bedingt verwertbar: „Beweismaterialien (…), deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist“, sind nicht nutzbar, so das Bundesverfassungsgericht. Auch als Zeugen scheiden die Geheimermittler aus.
In seiner 2017er-Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht ferner das neue Kriterium der Wirkmächtigkeit einer verfassungsfeindlich agierenden Partei auf. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Partei ihre Ziele auch erreichen kann. Bei Wähleranteilen von 20 Prozent im Bund und mehr als 30 Prozent in einzelnen Bundesländern ist dies auf den ersten Blick unproblematisch. Mit dem Anwachsen der Wirkmächtigkeit steigen jedoch auch die inhaltlichen Anforderungen an den Nachweis von Rassismus und Antisemitismus, den allein die – bis dato unbekannte – Materialsammlung des Verfassungsschutzes belegen kann. Hinweise auf Äußerungen Björn Höckes und anderer Einzelpersonen reichen hierzu nicht, sofern sie nicht zur Programmatik der AfD geworden sind.
Ein Scheitern des Verbotsantrages vor dem Bundesverfassungsgericht und noch viel mehr eine fehlende Bundestagsmehrheit für die Verbotsinitiative von Marco Wanderwitz würde der AfD eine für sie nützliche Opferrolle bescheren.