„Meine Brüder und Schwestern im Norden“
Ein Heimatfilm, Spieldauer: 109 Minuten
Ihren Film über Nordkorea bezeichnet Regisseurin Cho Sung-Hyung als „Heimatfilm“. Damit ist die Linie bereits vollständig erklärt: Cho will Nordkorea nicht erklären, sie will sich annähern. Damit teilt sie die wichtigste Schwäche der meisten bekannten „Dokumentationen“ über Nordkorea nicht, die wie überambitionierte Urlaubsfilmchen daherkommen, die das zu Sehende (und Unverstandene) ständig kommentieren müssen, um es ja nicht sacken zu lassen.
Eine weitere Stärke ihres Films ergibt sich dadurch, dass Cho in Korea aufgewachsen ist – und zwar im Süden. Das hat ihr den Zugang zu ihren Interviewpartnern, darunter eine Näherin, ein Bauer, eine alte Dame aus der Elite des Landes, sichtbar erleichtert – allein schon deshalb, weil keine Übersetzung nötig ist. Cho hat allerdings ihre koreanische Staatsangehörigkeit aufgeben müssen, um diesen Film machen zu können. Da sie ohne Erlaubnis der südkoreanischen Regierung in den Norden reiste, hätte ihr im Süden bei Rückreise Verhaftung gedroht.
Cho Sung-Hyung bringt für einen Film über Nordkorea die richtige Mischung aus Neugier und Respekt mit. Sie wirkt dabei anfangs allerdings so naiv-jugendlich, dass sie von einer deutlich jüngeren Museumsführerin denn auch gleich den fast mütterlichen Rat erhält, sich doch bald Kinder anzuschaffen – Cho ist über 50 und Professorin in Saarbrücken.
Dieses Verhältnis zu den Interviewpartnern ändert sich im Laufe des Films. Am Schluss wird sie zur großen Schwester einer jungen Näherin, die sie am Strand nach ihren Träumen für die Zukunft fragt. Die weiteren Begegnungen – vom Ingenieur Ri Ju Hyok, der im modernen Wasservergnügungspark Munsu in Pjöngjang arbeitet, bis zur Bäuerin Kim Chun Hwang, mit der sie über Essen und Liebe redet – sind keine Zufallsbegegnungen, wie die Regisseurin Cho selbst klarstellt. Dennoch sind sie interessant, weil Cho einfach Zeit mit ihnen verbringt und ständig Fragen hat – nach Bikiniverbot und Energieversorgung im Schwimmbad, warum die Arbeiterin in der Textilfabrik Näherin geworden ist und wie sich Partner in Nordkorea kennenlernen.
Ihre Methode der Annäherung und Darstellung unterschiedet sich nicht wesentlich von ihrem früheren Dokumentarfilm über das schleswig-holsteinische Dorf Wacken, „Full Metal Village“, aus dem Jahr 2006. Auch hier geht es nicht um das Bekannte oder vermeintlich Offensichtliche – die Bands und die erste Reihe der Organisatoren des Wacken-Open-Airs. Es geht um den Bauern, der den Acker bereitstellt und den Dorfladen – beide verdienen sich einmal im Jahr eine unterschiedlich große goldene Nase –, um Müllsammler, Ordner und um den inzwischen verstorbenen Milchbauern Plähn, der Cho geduldig den Unterschied zwischen einer Kuh und einem Kalb erklärt. Nicht, dass sie diesen nicht kennt, aber höflich nickend und lächelnd nimmt sie auch hier die Rolle der Schülerin ein.
Als beste Vorbereitung auf den Dreh in Nordkorea bezeichnet Cho im Promo-Interview allerdings ihren Film über das deutsche Fußballnationalteam „11 Freundinnen“: „(D)ie äußerst schwierigen Drehsituationen und extrem unerfreulichen Erfahrungen mit dem DFB, die ich beim Dreh für den Film ‚11 Freundinnen‘ erlebt habe, haben mir sehr viel geholfen zu verstehen, wie ein totalitäres System funktioniert und wie eine Kultur der Angst auf die Menschen auswirkt.“