Der „Spiegel“ übt sich in Boulevardmarxismus

Ein guter Witz ist eine Lüge wert

Von Roman Stelzig

ein guter witz ist eine luege wert - Ein guter Witz ist eine Lüge wert - Marx, Politisches Buch - Theorie & Geschichte

DER SPIEGEL

EDITION GESCHICHTE 1/2018

Karl Marx

Broschüre

9,90 Euro

Wie der „Spiegel“ in einem 150 Seiten langen „Spiegel-Extra“ mit dem 200. Geburtstag von Karl Marx umgeht, erfährt man auf den ersten Zeilen: „Vor allem Marx […] feilte an jedem Satz, als ginge es darum, der Menschheit ewige Gesetze zu verkünden“, beginnt Uwe Klussmann seinen Beitrag über die Entstehung des Kommunistischen Manifests. Er selbst verfährt anders: Was man einem guten Wissenschaftler als Tugend anrechnet – genau darüber nachzudenken, was man schreibt – dient ihm als Projektionsfläche seiner dümmlichen Ironie.

Das hat Methode, und ein Beispiel für das Ganze sei hier betrachtet: In einem langen Artikel über „Das Kapital“ schreibt Barbara Supp: „Im Nachwort zur zweiten Auflage beklagt sich Marx: ‚Die gelehrten und ungelehrten Wortführer der deutschen Bourgeoisie haben ‚Das Kapital‘ zunächst totzuschweigen versucht […]. Dennoch will ich, zu Nutz und Freud dieser Herren, hier ein englisches und ein russisches Urteil zitieren …‘ Man ahnt es: Es fällt grandios aus.“

Karl Marx also ist nicht nur ein langsamer Schreiber, der ewige Gesetze verkündet, sondern auch ein Egozentriker, der sich über Kritik „beklagt“ und – „man ahnt es“ – nur Urteile gern zitiert, die „grandios“ ausfallen.

Unerwähnt bleibt: In der Fußnote, auf die sich Barbara Supp bezieht, zitiert Karl Marx tatsächlich das Urteil: „Die Darstellung […] zeichnet sich aus durch Allgemeinverständlichkeit, Klarheit und, trotz der wissenschaftlichen Höhe des Gegenstands, ungewöhnliche Lebendigkeit.“ Was ihm aber viel wichtiger war, steht im Text. Dort zitiert er I. I. Kaufman mit einer Rezension in einer Petersburger Zeitschrift: „Demzufolge bemüht sich Marx nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die Notwendigkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachzuweisen […]. Hierzu ist vollständig hinreichend, wenn er mit der Notwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andren Ordnung nachweist, worin die erste unvermeidlich übergehen muss, ganz gleichgültig, ob die Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewusst oder nicht bewusst sind. […] Aber, wird man sagen, die allgemeinen Gesetze des ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz gleichgültig, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet. Grade das leugnet Marx. Nach ihm existieren solche abstrakte Gesetze nicht … Nach seiner Meinung besitzt im Gegenteil jede historische Periode ihre eignen Gesetze … Sobald das Leben eine gegebene Entwicklungsperiode überlebt hat, aus einem gegebenen Stadium in ein andres übertritt, beginnt es auch durch andre Gesetze gelenkt zu werden.“

Dazu bemerkt Karl Marx: „Indem der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend […] schildert, was andres hat er geschildert als die dialektische Methode?“ Es ging ihm in seinem Nachwort zur zweiten Auflage des Kapitals darum, zu zeigen: „Die im ‚Kapital‘ angewandte Methode ist wenig verstanden worden“. Und dazu beruft er sich übrigens nicht auf ein „grandioses“ Urteil, denn I.  I. Kaufman nennt Karl Marx den „größten Idealphilosoph, und zwar im deutschen, d. h. schlechten Sinn des Wortes“. Aber anders als Uwe Klussmann mit seinem peinlichen Scherz über „ewige Gesetze“ hat dieser Kritiker ihn wenigstens annähernd verstanden.

Also – „man ahnt es“: Man liest in dem Heft viel Ergötzliches und Nebensächliches, das mit allerlei platter Ironie garniert und nach dem Prinzip präsentiert wird: Ein guter Witz ist eine Lüge wert. Dass dabei die wesentlichen Inhalte des marxistischen Denkens unerwähnt und unverstanden bleiben, versteht sich von selbst. Zotig gesagt: Über die Eiterbeulen zwischen den Beinen von Karl Marx, mit denen sich der „Spiegel“ ebenfalls eingehend beschäftigt, kommen seine Redakteure auch geistig nicht hinaus.

Sie werden es mir daher verzeihen, dass ich mir dieses Urteil bilde, obwohl ich das Heft schon nach 50 Seiten entnervt beiseite gelegt habe. Wie man sich geistiger Sorgfalt ohne Gewissen entledigt, dafür bieten die Damen und Herren des Revolverblatts selbst treffliche Vorbilder. Den Lesern der UZ aber möchte ich gestehen: Was über den Kommunismus im Fortgang des Heftes geschrieben wird, müssen andere bewerten. Ich vermag es gerade nicht zu ertragen.

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"Ein guter Witz ist eine Lüge wert", UZ vom 4. Mai 2018



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