In einer Situation militärischer Eskalation und Weltkriegsgefahr gibt sich ein Teil der Menschen nicht mit dem medialen Einheitsbrei zufrieden. Die DKP Karlsruhe lud im Vorfeld des Kampftags der Arbeiterklasse ein, die richtigen Fragen zu stellen. Alte Bekannte und neue Interessierte aller Generationen kamen und verschafften sich mehr Orientierung in schwierigen Zeiten. Wir dokumentieren in redaktioneller Bearbeitung Auszüge aus dem Referat von Hans-Peter Brenner.
Im März 1947 verkündete US-Präsident Harry Truman eine neue außenpolitische Leitlinie des US-Imperialismus. Die „Truman-Doktrin“ sah vor, mit massiven politisch-militärischen und ideologischen Maßnahmen den Kommunismus zurückzudrängen.
Eine zentrale Strategie entwickelte der Nationale Sicherheitsrat der USA in seiner Direktive 58 vom 14. September 1949: „Unser Endziel muss natürlich das Entstehen nicht-totalitärer Regierungen in Osteuropa sein, die gewillt sind, sich der Gemeinschaft der freien Welt anzupassen und an ihr mitzuwirken.“ Aktuell ließe sich dieses Ziel aber nicht realisieren. „Wenn wir jedoch beabsichtigen, dass in einem ersten Schritt abtrünnige kommunistische Regimes die gegenwärtigen stalinistischen Regierungen verdrängen, haben wir sehr viel größere Erfolgschancen.“ Im nachfolgenden Punkt wurde dieses Vorgehen so konkretisiert: „Das gegenwärtige Verfahren ist demnach, einen häretischen (ketzerischen – UZ) Ablösungsprozess in den Satellitenstaaten zu begünstigen. So gering sie auch erscheinen mögen, Gründe für ketzerische Abspaltungen existieren bereits. Wir können zur Vertiefung dieser Risse beitragen, ohne Verantwortung auf uns zu nehmen. (…) Der Streit würde zwischen dem Kreml und der kommunistischen Reformbewegung ausgetragen.“
Der Hauptstoß galt dem Teil der Kader innerhalb der kommunistischen Parteien, die am entschiedensten gegen den Imperialismus eingestellt waren und die deshalb zunächst in den eigenen Reihen als „Stalinisten“ denunziert und isoliert werden sollten.
Das schwierigste Problem aus Sicht des Nationalen Sicherheitsrats bestand darin, „diesen Totalitarismus einer Übergangszeit endgültig durch freiheitliche Lebensformen zu ersetzen, die der westlichen Welt geistesverwandt sind“. Die verantwortlichen US-Strategen waren den sowjetischen Politikern, die Josef Stalin nach seinem Tod in der Partei- und Staatsführung folgten, ganz offenkundig hinsichtlich der Entschiedenheit und Konsequenz bei der Verfolgung ihrer Langzeitziele haushoch überlegen.
Die Rolle der Ukraine
Was machte und macht dabei die Ukraine so bedeutsam für den Imperialismus und die NATO? Es geht den imperialistischen Staaten – wie schon im Ersten und im Zweiten Weltkrieg – um „Kohle“ im doppelten Sinne. Es geht um die Eroberung der Rohstoffe, der Kohlelager des Donbass, der riesigen Anbauflächen für Getreide und der bereits zu sowjetischen Zeiten hochmodernen Industriepotenziale der Ukraine. Mehr noch geht es um die geopolitische Bedeutung der Ukraine im Kampf um die Vorherrschaft in Europa. Diese Grundidee ist in den strategischen Langzeitplanungen der imperialistischen Staaten schon vor dem Ersten Weltkrieg nachzulesen. Der deutsche Imperialismus hatte bereits zur Zarenzeit die „Zerstückelung des russischen Kolosses“ und die Schaffung eines „großeuropäischen Wirtschaftsraums“ unter deutscher Führung auf sein Panier geschrieben. Dazu wurden schon damals in den Randzonen Russlands „nationale Revolutionen“ und Aufstände geschürt, um das Zarenreich zu schwächen und vom kaiserlichen Deutschland abhängige Satellitenstaaten zu schaffen.
So entstand dann 1918 die erste – antibolschewistische – „Volksrepublik Ukraine“ unter deutscher Vorherrschaft. Das Schüren von Nationalismus galt erst recht als antisowjetischer Hebel für die sieben Jahrzehnte der Existenz der Sowjetunion, die den Eroberungsplänen des deutschen und internationalen Großkapitals entgegenstand.
Vom antisowjetischen …
In dem bereits im August 1948 verabschiedeten Memorandum 20/1 des Nationalen Sicherheitsrats der USA wurden die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland beim und nach dem Zerfall der Sowjetunion definiert. Die US-Strategen verwiesen zuerst auf die engen ökonomischen und kulturellen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine und warnten vor einem überstürzten ukrainischen Separatismus. Es gebe gar keine klar erkennbare territoriale Trennungslinie „und es wäre unmöglich, eine solche zu errichten. Die Städte auf ukrainischem Gebiet sind seit jeher vorherrschend russische und jüdische Siedlungen.“
Der damals von ukrainischen Separatisten- und Emigrantenorganisationen an Washington herangetragene Wunsch nach öffentlicher Unterstützung wurde deshalb abgelehnt. Der Sicherheitsrat riet dazu, „eine äußere Neutralität zu bewahren, solange nicht unsere eigenen Interessen – militärische oder andere – unmittelbar berührt wären“.
Generell empfahl er, nach dem Zerfall der Sowjetunion „entschlossene Anstrengungen“ zu unternehmen, „um zu vermeiden, die Verantwortung für die Entscheidung zu übernehmen, wer in Russland nach einem Zerfall des sowjetischen Regimes regieren soll. (…) Möglicherweise wird zwischen diesen Gruppen ein gewaltsamer Kampf entbrennen. Selbst dann sollten wir uns nicht einmischen, solange unsere militärischen Interessen unangetastet bleiben.“
… zum antirussischen Nationalismus
Nach dem Erfolg der Strategie des US-Imperialismus gegen die Sowjetunion brauchte es einen umfassenden geostrategischen Neuansatz. Zbigniew Brzezin´ ski entwickelte in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ das Konzept für eine auf Jahrzehnte vorausgeplante Weltherrschaft der USA.
Er ging aus vom Anfang des 20. Jahrhunderts formulierten Grundsatz des geopolitischen Theoretikers und Vordenkers Halford Mackinder: „Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland. Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel. Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.“ Mackinders „Herzland“ war das Territorium des Russischen Reiches, der späteren Sowjetunion, unter „Weltinsel“ verstand er Eurasien unter Hinzunahme des afrikanischen Kontinents.
Laut Brzezin´ ski sei der einzige echte Konkurrent für die USA das postsowjetische Russland. Es sei zwar im Moment (Ende der 1990er Jahre) noch zerrüttet und geschwächt, habe aber das Potenzial zur ernsthaften Konkurrenz behalten. Dazu müsse es aber die Ukraine unter seinen Einfluss bekommen. Das müsse unbedingt verhindert werden. Die geopolitische Frage laute deshalb heute nicht mehr, „von welchem Teil Eurasiens der ganze Kontinent beherrscht werden kann, und auch nicht, ob Landmacht wichtiger als Seemacht ist. (…) Aber das weltweit wichtigste Spielfeld – Eurasien – ist der Ort, auf dem Amerika irgendwann ein politischer Nebenbuhler um die Weltmacht erwachsen könnte.“
China war zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt von einer echten Herausforderung, es besäße aber bereits den Status eines „Hauptakteurs“, das sei „unstrittig“. Es strebe künftig „aufgrund seiner Geschichte als Großmacht und seiner Überzeugung, dass der chinesische Staat der Mittelpunkt der Welt sei, wahrscheinlich nach höheren Zielen“.
Großes Schachspiel
In diesem geopolitischen Schachspiel habe die Ukraine zwar nicht als potenzielle Großmacht Bedeutung, aber als Pufferstaat, der über das Schicksal Russlands als Weltmacht mitentscheide: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr. Es kann trotzdem nach einem imperialen Status streben, würde aber dann ein vorwiegend asiatisches Reich werden, das aller Wahrscheinlichkeit nach in lähmende Konflikte mit aufbegehrenden Zentralasiaten hineingezogen würde, die den Verlust ihrer erst kürzlich erlangten Eigenstaatlichkeit nicht hinnehmen und von den anderen islamischen Staaten im Süden Unterstützung erhalten würden. (…) Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatisch die Mittel, ein mächtiges, Europa und Asien umspannendes Reich zu werden. Verlöre die Ukraine ihre Unabhängigkeit, so hätte das unmittelbare Folgen für Mitteleuropa und würde Polen zu einem politischen Angelpunkt an der Ostgrenze eines vereinten Europas werden lassen.“
Was bedeutet das für die weitere formale Einbindung der Ukraine in das imperialistische Bündnissystem? Brzezin´ski fragte: „Sollte die Ostgrenze der EU zugleich die östliche Frontlinie der NATO sein? Ersteres ist mehr eine europäische Entscheidung, wird sich aber unmittelbar auf eine NATO-Entscheidung auswirken. Diese allerdings betrifft auch die Vereinigten Staaten – und die Stimme der USA ist in der NATO noch immer maßgebend.“
Europa sei „Amerikas unverzichtbarer geopolitischer Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent“. Und „wenn dieses neue Europa geopolitisch ein Teil des ‚euro-atlantischen‘ Raums bleiben soll, ist die Erweiterung der NATO von entscheidender Bedeutung. Sollte die von den Vereinigten Staaten in die Wege geleitete NATO-Erweiterung ins Stocken geraten, wäre das das Ende einer umfassenden amerikanischen Politik für ganz Eurasien.“
Und weiter: „Irgendwann zwischen 2005 und 2010 sollte die Ukraine für ernsthafte Verhandlungen sowohl mit der EU als auch mit der NATO bereit sein, insbesondere wenn das Land in der Zwischenzeit bedeutende Fortschritte bei seinen innenpolitischen Reformen vorzuweisen und sich deutlicher als ein mitteleuropäischer Staat ausgewiesen hat.“
Der Krieg in der Ukraine
Darum geht es in diesem angeblichen „Putin-Krieg“. Es geht um die Ukraine als Aufmarschgebiet gegen Moskau und als Teil des NATO-Blocks – mit der Weltmacht Nummer 1 an der Spitze – zum Zwecke der Eindämmung und der dauerhaften Schwächung und Niederhaltung des neuen Russland.
Der Krieg begann mit einer der für den Imperialismus gängigen Lüge. Er wird nicht für Demokratie und Souveränität der Ukraine geführt, sondern für das Recht auf Selbstbestimmung gegenüber einem reaktionären, unterdrückerischen Regime. Das war der Grund für die Bitte der beiden Donbass-Republiken um russische Hilfe.
Es geht um die geopolitischen Interessen der Hauptmacht des imperialistischen Westens, der USA, die damit auch ihre Vorherrschaft gegenüber Europa zementieren wollen. Es ist ein Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland und zielt gegen das mit Russland verbündete China. Die europäischen Staaten werden dafür als Hilfstruppen und Vasallen eingesetzt.
Dieser vom Imperialismus geschürte Krieg ist ein Teil des aggressiven Ringens der USA um die globale Vorherrschaft. Er wird auf Kosten der Europäer geführt. Es besteht die Gefahr der schnellen Ausweitung in bedrohlichste Situationen für den gesamten Kontinent oder gar darüber hinaus.
Der Marxismus-Leninismus über den Charakter von Kriegen
Lenin hat in seiner Arbeit „Sozialismus und Krieg“ gleich im ersten Satz klar und deutlich formuliert: „Die Sozialisten haben die Kriege unter den Völkern stets als eine barbarische und bestialische Sache verurteilt.“
Der Charakter eines Krieges wird in erster Linie von den politischen Ereignissen und Zielen bestimmt, die mit ihm verbunden sind. Kriege verändern oft im Verlauf der Kampfhandlungen ihren Charakter – ein Verteidigungskrieg kann in einen Angriffskrieg umschlagen. Ein von Marx und Engels genanntes Beispiel war der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71. Von preußisch-deutscher Seite war er zunächst ein Verteidigungskrieg, nach der Schlacht von Sedan und dem sich anschließenden weiteren Vormarsch auf Paris wurde er ein Angriffskrieg.
Lenin unterschied aber nicht nur zwischen „Angriffs- und Verteidigungskriegen“, das machen traditionell auch christliche Theologen. Der entscheidende Punkt, auf den es bei der politischen und moralischen Bewertung eines Krieges ankommt, ist nicht in erster Linie die Frage, wer ihn wann verursacht oder erklärt hat. Es geht auch noch nicht einmal darum, ob es sich formal um einen „Angriffskrieg“ oder um einen „Verteidigungskrieg“ handelt. Denn hier sind die Grenzen fließend.
Dazu sagte Lenin: „Wenn zum Beispiel morgen Marokko an Frankreich, Indien an England, Persien oder China an Russland den Krieg erklärten, so wären das gerechte Kriege, Verteidigungskriege, unabhängig davon, wer als erster angegriffen hat, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber – über die ‚Groß‘mächte – sympathisieren.“