Das Verbot einer halben Parole stiftet Verwirrung und soll einschüchtern. Gerichte urteilen unterschiedlich

Ein Fluss, ein Meer, eine unklare Rechtslage

Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung weiß Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) genau, was sie tut. Gerade dann, wenn es um Verbote geht. Zusammen mit dem Verbot der Hamas erging am 2. November des vergangenen Jahres auch ein Erlass, der die Verwendung von Symbolen und Kennzeichen dieser Organisation unter staatliche Verfolgung stellt. Bei der optischen Darstellung der 19 Symbole sparte das Innenministerium nicht an der detaillierten Beschreibung. Ganz am Ende der Verbotsliste – unter Nummer 20 – findet sich kein Symbol, sondern ein Halbsatz „… sowie die Parole ‚Vom Fluss bis zum Meer‘ (auf Deutsch und anderen Sprachen)“.

Der politisch wache Bürger ahnt natürlich, dass damit die Losung „From the river to the sea – Palestine will be free“ gemeint sein muss. Ist die Auslassung also nur ein „Redaktionsversehen“ der ministeriellen Schreibstube? Mit Sicherheit nicht. Die Auflistung der Parole, die etwas Halbes sagt, aber etwas Ganzes meint, gehorcht dem Grundsatz, dass sich mit Unklarheiten, die Unsicherheit beim Adressaten erzeugen, das Meinungsklima am besten beherrschen lässt. Acht Monate nach dem Verbot lässt sich nun besichtigen, welche Verwirrung gestiftet worden ist. Und zwar nicht nur bei jenen, die wegen der Verwendung der Losung auf den Fahndungslisten stehen, sondern auch in der Justiz, die landauf, landab ihre liebe Mühe hat, die vermeintliche strafrechtliche oder versammlungsrechtliche Bedeutung der Parole in praktikable Urteile umzusetzen.

Die Rechtsprechung der Straf- und Verwaltungsgerichte gleicht einem juristischen Flickenteppich. Die Meinungsvielfalt im Justizapparat zeigt dabei mehrerlei. Zum einen lässt sie erkennen, dass es – immerhin, aber nur vereinzelt – noch Richter gibt, die sich ein kritisches Verständnis erhalten haben. Zum anderen kann man sich bei einer Gesamtschau der Entscheidungen des Eindrucks der Zufälligkeit nicht erwehren. Auf der Ebene unterhalb der Gerichte, bei den Staatsanwaltschaften und Ämtern für öffentliche Sicherheit und Ordnung, ist die Lage nicht anders: Wer die Losung in München, Saarbrücken, Jena oder Dresden aufs Papier oder in Facebook bringt, bekommt es je nach Gusto wegen der Paragrafen 86a (Verbotene Kennzeichen), 140 (Billigung von Straftaten) oder 130 des Strafgesetzbuches (Volksverhetzung) mit den dortigen Staatsanwaltschaften zu tun. In Sachsen-Anhalt wird man laut Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg eher verschont.

Auch in der jüngsten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (BayVGH) vom 26. Juni, die sich gegen ein Pauschalverbot der Parole ausspricht, sollte die Warnung am Ende des Beschlusses nicht überlesen werden. Den Strafverfolgungsbehörden bleibe es unbenommen, im Einzelfall strafrechtlich relevantes Verhalten als solches zu verfolgen. Solche Einzelfälle sollen vorliegen, wenn die Losung im Kontext mit der Hamas, mit dem 7. Oktober 2023 oder dem bewaffneten Kampf der Palästinenser genannt wird. Wird sie im Sinne eines gedeihlichen demokratischen und friedlichen Zusammenlebens aller Völker in Nahost verstanden, dürfte die strafrechtliche Verfolgung ausbleiben. Der Einschüchterungseffekt bleibt.

Im UZ-Blog ordnet der Jurist Ralf Hohmann die wichtigsten Gerichtsurteile zur Parole „From the river to the sea …“ ein.

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"Ein Fluss, ein Meer, eine unklare Rechtslage", UZ vom 5. Juli 2024



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