Der 8. und 9. Mai haben weltgeschichtliche Bedeutung. Daran kommt auch das offizielle Gedenken hierzulande nicht vorbei.
Neben dem 7. November 1917, dem Tag der Oktoberrevolution, ist der 8. Mai 1945 das bedeutendste Datum des 20. Jahrhunderts. Nicht nur für Kommunisten und Sozialisten, sondern für alle, die sich für Frieden zwischen den Völkern einsetzen. Lenins „Dekret über den Frieden“ 1917 dokumentierte eine weltgeschichtliche Zäsur. Gleiches gilt für die bedingungslose Kapitulation des deutschen Faschismus, die in der Nacht vom 8. zum 9. Mai in Berlin-Karlshorst unterzeichnet wurde. Beides weckte weltweit Begeisterung, beides ermutigte die Kämpfer gegen das Kolonialsystem und für Sozialismus, beides hatte ein Echo wie zuvor nur die Große Französische Revolution von 1789.
Immanuel Kant schrieb seinerzeit: „Die Revolution eines geistreichen Volks, die wir in unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, findet … in den Gemütern aller Zuschauer … eine Teilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasmus grenzt.“
Die russische Revolution war der Anfang vom Ende des mit zehn Millionen Toten bis dahin opferreichsten Kriegs der Geschichte. Mit ihr sollte zugleich die Kette imperialistischer Kriege zerrissen werden. Seitdem hatte die Welt eine Hoffnung.
Konterrevolution heißt Krieg. Als der deutsche Imperialismus Hitler die politische Macht übergab, formulierte die Kommunistische Internationale am klarsten, dass es im kommenden Weltkrieg um das Überleben der Menschheit gehe. Das erste faschistische Kriegsziel war, die Sowjetunion zu zerschlagen. Das schloss ein, die Bevölkerung Osteuropas zu versklaven und den Kontinent bis zum Ural zu kolonisieren. Bestandteil dieses imperialistischen Programms war es, Dutzende Millionen Menschen, darunter die europäischen Juden, zu vernichten. Allein in der Sowjetunion verloren mehr als 27 Millionen Menschen ihr Leben. Ungewiss blieb bis zum 8. Mai 1945, ob es eine deutsche Atombombe geben würde.
Haben die Hoffnungen von 1945 getrogen? Ja, insofern die Welt seither mit der imperialistischen Drohung atomarer Vernichtung lebt. Gegenwärtig versuchen die USA und ihre Verbündeten erneut, einen Atomkrieg „führbar“ zu machen. Dieselben Staaten demonstrierten mit der Absicht, rund um den 8. und 9. Mai dieses Jahres das Manöver „Defender 2020“ abzuhalten, was sie von diesem Festtag der Menschheit halten. Den „Fall Barbarossa“ nutzen sie spätestens seit der westdeutschen Wiederbewaffnung ohnehin als Blaupause.
Enttäuscht wurden die Hoffnungen, als der europäische Sozialismus unterging. Er hatte 1917 und 1945 zur Grundlage, also Frieden als Gesellschaftsziel. Letzteres leugnen NATO und EU seit jeher. Die vom EU-Parlament im September 2019 verabschiedete Erklärung, wonach Sowjetunion und Nazideutschland gleich schuld am Zweiten Weltkrieg seien, meint in Wirklichkeit: Revolution und Sozialismus sind die wahren Kriegsursachen.
Die triumphierenden Antikommunisten müssen aber gezwungenermaßen zur Kenntnis nehmen: In vieler Hinsicht haben die Hoffnungen von 1945 nicht getrogen. Weltweit und auch hier nicht, im geschichtsvergessenen Land von „Stunde Null“ und „Zusammenbruch“.
Das offizielle Nichtgedenken in der Bundesrepublik am 8. Mai war und ist von antirussischem Rassismus geleitet. An den Initiativen von Antifaschisten, etwa dem Verlangen, den 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag zu machen, kommen Medien und Regierende aber nicht vorbei. In Berlin ist das für 2020 durchgesetzt, es gibt sogar eine staatlich geförderte Gedenkseite im Internet (www.75jahrekriegsende.berlin), Gräber und Ehrenfriedhöfe sowjetischer Soldaten werden gepflegt (siehe dazu Frank Schumann in „Ossietzky“ Nr. 9/2020). Tausende, vielleicht Zehntausende werden dort am 8. und 9. Mai der Befreier gedenken und ihnen danken. Und mit ihnen Millionen Menschen überall auf der Welt.