Schon der Titel „El buen patrón“ muss jedem als blanke Ironie erscheinen, der frühere Filme des spanischen Regisseurs Fernando Leon de Aranoa kennt, etwa sein Spielfilmdebüt „Montags in der Sonne“. Dem setzt seine Regie in einer der ersten Szenen des neuen Films noch eins drauf. Da sehen wir Julio Blanco, den „perfekten Chef“ eines führenden Herstellers von Industriewaagen, hoch über der versammelten Belegschaft – pardon, seiner „Familie“ – eine Rede halten, um sie auf den Besuch einer staatlichen Kommission einzustimmen. Von der hängt es ab, ob „Basculas Blanco“ den letzten ihr noch fehlenden Staatspreis bekommt, für den Julio daheim schon lange ein Plätzchen an seiner Trophäenwand reserviert hat.
Da wird aus dem guten Chef der „gute Hirte“ im religiösen Sinne, da hört man das ganze paternalistische Geschwafel von „alle in einem Boot“ und „einer für alle“ quasi vom Himmel herabregnen auf die Schäfchen und Julio macht auch keinen Hehl daraus, dass er sich auch für deren Privatleben nach eigenem Gutdünken zuständig fühlt. Dazu findet er reichlich Gelegenheit, denn hinter der kollegialen Fassade der Betriebshierarchie brodelt es nur so vor Affären, Ehebrüchen und Intrigen, von denen „Vater“ Julio keine Ahnung hat, obwohl auch er privat dabei mitmischt. Ob sein Produktionsleiter Miralles, seine Sekretärin oder der Vertriebsleiter Khaled, sein Faktotum Fortuna oder die Praktikantin Liliana, ja sogar seine eigene Frau – jede und jeder von ihnen hat seine eigene Agenda und verfolgt sie zielgerecht – bis zum recht überraschenden Schluss, in dem der perfekte Chef zwar immer noch Chef ist, aber sein Reich ein ganz anderes geworden ist.
Doch für Julio läuft zunächst alles prima und die Kommission könnte kommen, wäre da nicht der hartnäckige Rebell José, ein von Julio entlassener Familienvater. Der hat auf dem freien Gelände vor der Firma mit seinen Kindern ein lautes Protestcamp aufgezogen, von dem ihn nicht einmal die von Julio bemühte Staatsmacht vertreiben kann. Julio tobt, versucht José einzuschüchtern, verweigert ihm sogar den Zugang zur Firmentoilette, will ihn mit Geld bestechen. Als alles nichts hilft, kommt ihm ein Brand zu Hilfe, der Josés Camp in Schutt und Asche legt und bei dem ein Mensch stirbt. Zufall oder nicht?
Diese Spannung zwischen friedlicher Fassade und brodelndem Hintergrund ist die Quelle für eine große Zahl von Episoden, in denen Leon de Aranoa als Regisseur und Drehbuchautor dem brillanten Javier Bardem, seinem Stammdarsteller seit „Montags in der Sonne“, Szenen quasi auf den Leib geschrieben hat. Hier darf Bardem alle Register seines Könnens ziehen zwischen nostalgischem Traditionspfleger und hart regierendem Firmenboss, zwischen naivem Angeber und schlitzohrigem Taktierer. Allein Bardems Mimik, die unvermittelt die Stimmungen wechseln kann zwischen lauerndem Jagdinstinkt, väterlicher Anteilnahme, feigem Ausweichen und lüsterner Gier, sollte zum Unterrichtsstoff jeder Schauspielschule gehören.
Das ist – so viel sei zugegeben – über die Spieldauer von fast zwei Stunden nicht immer spannend und trägt dem Film ein paar spürbare Längen ein, weil der Regisseur jede einzelne der Handlungslinien ausführlich abarbeitet – einschließlich der ersten, zunächst unverständlichen Sequenz. Doch auf was könnte man für eine stringentere Fassung verzichten? Gewiss nicht auf die buchstäblich letzte Einstellung, die sicher ins Pantheon filmischer Juwele gehört: Mit Hilfe seines getreuen Fortuna hat Julio endlich die Lücke an seiner Trophäenwand schließen können, nun tritt er anbetungsvoll vor sein Schmuckstück in einer 90 Sekunden (!) dauernden Halbnah-Aufnahme, und in seinen Zügen läuft wie in einer Kurzchronik der ganze Film noch einmal ab!
Der perfekte Chef
Regie: Fernando León de Aranoa Unter anderem mit: Javier Bardem, Manolo Solo, Almudena Amor, Óscar de la Fuente, Sonia Almarcha
Im Kino