Endlich Werbung für die EU auf Papier und auf der Straße

Ein Faltblatt und der Puls Europas

Von Lucas Zeise

„Chaos? Frust? Krise?“ Wenn man das Deckblatt halb aufklappt, wird daraus „Chance Frieden Kraft“. Das ist doch mal ein famose Idee. Oben im Eck steht verschämt ganz klein neben dem bekannten Adler „Die Bundesregierung“. Sie informiert mit dem Faltblatt im DIN-A4-Format und in den Farben der FDP, Gelb und Blau, über das schöne Europa, genauer gesagt: die EU. „Wir haben fünf Menschen gefragt, was ihnen die EU bedeutet.“ Mit „wir“ ist wahrscheinlich die Bundesregierung gemeint, vielleicht aber auch die Werbeagentur Scholz & Friends Berlin GmbH, die für die Gestaltung verantwortlich zeichnet und überhaupt viele Aufträge der Regierung abgreift, weil sie eben so kreativ ist und so nette Einfälle hat.

Die letzte der fünf befragten Personen ist der Oberleutnant zur See Thilo H., 26. Er ist Fernmeldeoffizier an Bord des Tenders (was das ist, wird nicht erklärt) „Main“ und seit Oktober im Mittelmeer im Einsatz. „Wir sichern die Seewege und gehen gegen Schleuser vor“, berichtet uns der blonde junge Mann. Aber was Europa da im Mittelmeer tut, erklärt nicht er, sondern die Autoren und Gestalter des Faltblatts: „Europa hilft, damit Menschen nicht flüchten und ihr Leben riskieren müssen.“ und „Europa verbessert den Schutz seiner Außengrenzen“. Eine kleine Karte von Nordafrika kann man auch erkennen. Senegal, Mali, Niger und Nigeria sind dunkelblau gefärbt. Mit ihnen hat „die EU Migrationspartnerschaften beschlossen“, steht in der Legende. Die nordafrikanischen Staaten am Mittelmeer, Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten, sind nur blassblau eingefärbt, weil sie nur „mögliche Partner einer intensivierten migrationspolitischen Zusammenarbeit“ sind.

Besonders informativ ist die Rückseite des Faltblattes. Was macht Europa aus, werden wir gefragt und erhalten treffende, nachdenklich machende Antworten: „Frieden und Freiheit“, „26000 Naturschutzgebiete“, „Arbeiten, wo man will“, „Geburtsort der Demokratie“ und schließlich „Wiege der klassischen Musik“.

Das hübsche Faltblatt habe ich der FAZ entnommen. Ich bin sicher, dass es aus Gründen der Fairness auch anderen Erzeugnissen der Qualitätspresse beigelegt war. Die UZ wurde nicht bedacht. Sie hätte das Geld gut brauchen können.

Vielleicht liegt die Zurückhaltung der UZ gegenüber daran, dass wir über eine neue Blüte der „Zivilgesellschaft“ noch nicht berichtet haben. „Pulse of Europe“ heißt die Blüte und hat am vergangenen Wochenende viele Demos für die EU organisiert. 4 000 Teilnehmer in Frankfurt, 350 in Wiesbaden, berichten die Organisatoren. In der „Zeit“ ist zu lesen, dass am Wochenende sogar 20000 Menschen in 58 Städten in der EU und für die EU völlig überparteilich demonstriert hätten. Wir gratulieren den Initiatoren zu dieser schnell aus dem Boden gestampften, erfolgreichen Initiative. Beim Faltblatt stand drauf, wer Idee und Gestaltung hatte (Scholz & Friends) und wer bezahlt hat (die Bundesregierung). Beim „Puls Europas“ tippen wir auf Bertelsmann (Idee und Gestaltung) und EU-Kommission (Finanzierung). So wird die EU-Krise bestimmt bald zur EU-Kraft werden.

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"Ein Faltblatt und der Puls Europas", UZ vom 24. März 2017



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