Zur #ZeroCovid-Diskussion

Ein fader Geschmack

Gerald Schwember, Berlin

Im März, vielleicht auch noch Ende Oktober 2020 hätte ich den Aufruf #ZeroCovid möglicherweise mit wenigen Bedenken und oberflächlich gelesen, unterschrieben. Sicher unter dem Eindruck, den das Agieren anderer Staaten in Zeiten der Pandemie, nicht zuletzt China oder Vietnam, bei mir hervorgerufen hatte. So ein Hauch von „von China lernen, heißt siegen lernen!“ hat mich durchaus beeindruckt.

Andererseits begleiteten uns nun in den vergangenen Monaten allerlei verschiedene inzidenzbewehrte Vorschläge unterschiedlicher Corona-Exorzisten – mal aus sonst gut beleumundeten Instituten, mal aus kräftig beweihräucherten Gruften bayrischer Sakristeien.
Zugleich reihten sich in den täglichen unisono-Nachrichten zuweilen widersprechenden Verkündigungen der politischen und virologischen Inzidenzwert-Apostel aneinander; eher verwirrend, denn erhellend. So entwickelt ich eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der dargebotenen Allerlei und las dementsprechend den#ZeroCovid-Aufruf.

Das Papier strotzt vor Aufrufen zur Solidarität. Gewünscht wird eine „solidarische Pause“; eine „solidarische ZeroCovid-Strategie; „alle Maßnahmen“ sollen „gesellschaftlich solidarisch gestaltet werden.“ Die Gewerkschaften (sic.) sollen eine „solidarische Pause von einigen Wochen organisieren“; Und schließlich noch die „solidarische Finanzierung… usw., usf.

Wer aber soll mit wem solidarisch sein? Der Millionär mir der Verkäuferin; der Stahlgießer mit dem Milliardär? Der Kurzarbeiter mit dem Boni-gemästeten Manager? Und sollen Kolleginnen und Kollegen ihre eigene Kurzarbeit organisieren? Das ganze „Gemeinsam gegen Covid“ hat den faden Geschmack von „Gemeinsam gegen die Hunnen aus dem Osten“ und stinkt somit nach so etwas wie „Volksgemeinschaft im gemeinsamen Kampf!“

Da helfen auch die Hinweise auf ein wieder zu kommunalisierendes Gesundheitswesen ebenso wenig, wie der Wunsch, daß Impfstoffe globales Gemeingut zu sein hätten. Der Aufruf verweist zwar hier und da auf die kapitalistischen Verhältnisse; um sie aber dennoch im Wesentlichen unbeachtet zu lassen. Die „solidarische ZeroCovid-Strategie“ des Aufrufs möchte gerne, dass „das Volk“ – und hier gar das „europäische“ – gemeinsam mit dem „geschäftsführenden Ausschüssen“ des herrschenden Kapitals – sprich Regierungen der europäischen Staaten – das „pandemische Ding“ aus der Welt schaffen.

Doch es bleibt dabei: Die ganze Gesellschaft ist in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen gespalten: Bourgeoisie und Proletariat, auch in Zeiten der Pandemie, was ja nicht zu übersehen ist. Einerseits Millionen für die Lufthansa einerseits; keine Luftfilteranlagen für die Schulen und, und , und…

Doch der Aufruf hält sich nicht bei den unterschiedlichen Interessenlagen auf und serviert den geneigten Lesern und Leserinnen schließlich die Weisheit, dass „Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch“ seien und „Gesundheitsschutz ohne Demokratie … in den autoritären Staat“ führen würde. Was soll das? Eine kleine Anspielung (und damit Distanzierung), auf China?

Damit alles dann doch demokratischer wird, empfiehlt der Aufruf ja, dass Prolet und Bourgeois gemeinsam solidarisch dieses oder jenes Grundrecht mal außer Kraft setzen, und – sobald das Virus geschlagen am Boden liegt – wieder in Kraft setzen. Das würde spannend werden.
Ich fürchte, unter den konkret herrschenden Bedingungen und Kräfteverhältnissen werden wir eine erfolgreiche, „solidarische Volksimpfung“ abwarten – und uns dann wieder den großen und kleinen Klassenkämpfen widmen müssen; z.B. mit den Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen. Das wird dann nicht so fade!

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