Am Sonntag wählt die Bundesversammlung Frank-Walter Steinmeier als gemeinsamen Kandidaten der Großen Koalition zum zwölften Bundespräsidenten. Damit wird der Mann Staatsoberhaupt, der am 27. Januar als Außenminister Platz machte für Sigmar Gabriel, der wiederum als Wirtschaftsminister zugunsten von Brigitte Zypries zurücktrat und als SPD-Vorsitzender zum Vorteil von Martin Schulz die Segel strich. Ein Personalkarussell mit machtpolitischen Implikationen.
Dank des partiellen politischen Gedächtnisschwundes der auf eine einmalige Wahl fixierten Bundesversammlung ist nicht mit der geringsten Überraschung zu rechnen. Steinmeier ist als Kandidat des staatsmonopolistischen Kapitalismus genau der richtige Mann. Er verfügt über Erfahrung. Er ist in der Lage, politische Interessen gegen die Mehrheit des Volkes zur Geltung zu bringen und wie bei der Agenda 2010 und der „Hartz-IV-Reform“ durchzusetzen. Damit waren entscheidende wirtschafts- und sozialpolitische Weichen gestellt. Auch die Veränderung des Renten- und des Gesundheitssystems tragen seine Handschrift. Die katastrophalen Auswirkungen zeigen sich nicht nur in den Wartezimmern der Ärzte, bei den Zuzahlungen in den Apotheken oder beim Zulauf zu den Suppenküchen.
Diese Verhältnisse mussten innen- und außenpolitisch abgesichert werden. Steinmeier war als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt verantwortlich für die Arbeit hinter den Kulissen. Er gehörte zu Schröders Krisenstab. Im Hinblick auf die Weitergabe von erspähten und bestellten Daten gibt es bis heute keine Aufklärung.
Von Krisen und Sicherheit hat er seine eigene Vorstellung. So kümmerte er sich nicht um die Freilassung von Murat Kurnaz aus dem US-Lager Guantánamo. Zwar lehnte die Regierung Schröder den Irak-Krieg ab, er aber ließ es zu, dass der BND mitmachte. Die Zusammenarbeit von NSA und BND fällt ebenfalls in seinen Verantwortungsbereich. Schließlich lehnte er es ab, den Völkermord an den Armeniern als solchen zu bezeichnen, da damit der Holocaust relativiert werde.
Mit ihren Kandidaten, die die SPD selbst fesch „Stones“ nannte, hatte sie kein Glück. Beide von neoliberalem Holz, beide vom Volk nicht wirklich akzeptiert. Peer Steinbrück holte 2005 in NRW das schlechteste Landtagswahlergebnis seit 1954. 2009 wurde die SPD – mit Kanzlerkandidat Steinmeier – bei der Bundestagswahl mit 23 Prozent der Zweitstimmen abgestraft. Nach der Bundestagwahl 2013 ging die SPD in Berlin die Große Koalition mit der CDU ein. Sie degradierte sich zum Juniorpartner. Steinbrück bestach danach durch famose Haupt- und Nebeneinkünfte. Steinmeier wurde Außenminister.
In dieser Funktion, die gemeinhin vielfach mit dem Wohlwollen der Wähler verbunden wird, konnte Steinmeier punkten. Bei der Sonntagsfrage hängte er bald die Konkurrenz aus der CDU ab. Auch aus der SPD: Parteichef und Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel hatte keine Chance gegen ihn. Steinmeier kletterte auf mehr als 75 Prozent Zustimmung, weit mehr als Wolfgang Schäuble und Merkel.
Steinmeier steht für ein entschiedenes „Weiter so!“ Interventionen zu einem Umbau der Gesellschaft, zu einer Entlastung der ärmeren Bevölkerung, zu einer Belastung der Reichen sind von ihm nicht wirklich zu erwarten. Wie sollte gerade er sich überzeugend von der Agenda 2010 distanzieren?
Ein anderes Bild gibt ein anderer Bewerber für das Amt des Bundespräsidenten ab: Prof. Dr. Christoph Butterwegge, aufgestellt von der Linkspartei. Er ist chancenlos, aber symbolträchtig. CDU/CSU und SPD kommen in der Bundesversammlung für Steinmeier zusammen auf rund 950 Stimmen, die Partei Die Linke auf knapp 100. Butterwegge kennt als Armutsforscher die Verhältnisse in diesem Land und er kennt und benennt die Folgen der „erfolgreichen“ Politik der Steinmeiers.