Den Streikenden geht es um die Gesundheit, dem Klinikvorstand ums Geld • Rede von Alexandra Willer

Ein echtes Kräftemessen

Der Klinikvorstand der Essener Uniklinik versucht, die Kollegen mürbe zu machen, die für mehr Personal in allen Berufsgruppen streiken. Am Dienstag vergangener Woche nahm Alexandra Willer, Mitglied des gewählten Streikkomitees, an den Gesprächen zwischen Gewerkschaft, Klinikvorständen und Tarifgemeinschaft deutscher Länder in Berlin teil. Am folgenden Morgen hielt sie im Streikzelt eine Rede, in der sie deutlich machte: Der Kampf um Entlastung ist keine normale Tarifrunde, die Belegschaft muss sich auf eine harte Auseinandersetzung einstellen. UZ dokumentiert die vollständige Rede:

Alexandra Willer ist Mitglied der Streikleitung am Uniklinikum Essen

Alexandra Willer ist Mitglied der Streikleitung am Uniklinikum Essen

Schon als wir am Montag ihr sogenanntes Konsequenzenmanagement bekommen haben, ahnten wir ja, dass bei den Gesprächen gestern nicht viel rauskommen kann. Wir sind also in das Gespräch gegangen und haben schon wenig oder nichts erwartet. Doch die Arbeitgeber haben es geschafft, selbst das noch zu toppen.

Das Gespräch gestern in Berlin hat eine knappe halbe Stunde gedauert. Tatsächlich hatten die Arbeitgeber mindestens schon seit gestern morgen geplant, die Gespräche platzen zu lassen. Die Vorstandserklärung war schon in der Presse, kaum waren die Verhandlungen vorbei. Das heißt, sie hatten sich vorher darauf vorbereitet.

Sie haben uns ihren Vorschlag in die Hand gedrückt – mit denselben schlechten „Angeboten“ wie immer. Also dieselben Angebote, zu denen wir schon am Montag gesagt haben: „Dafür haben wir nicht gestreikt – das wollen wir nicht.“ Aber diesmal haben sie obendrein überall das Wort „Tarifvertrag“ gestrichen und es durch das Wort „Dienstvereinbarung“ ersetzt.

„Sie wollen, dass wir immer wieder hoffen

und wieder enttäuscht werden.“

Eine Dienstvereinbarung ist etwas, das der Vorstand mit dem Personalrat abschließt – ohne ver.di, also auch ohne uns Streikende. 21 Personalratsmitglieder entscheiden dann über das, für das wir alle zusammen gerade streiken. Diese Dienstvereinbarung können sie nach sechs Monaten kündigen – ohne Nachwirkung. Das heißt in sechs Monaten, wenn der Streik vorbei ist, und wir alle wieder in unseren Bereichen sind, ist die Dienstvereinbarung außer Kraft, wenn die Arbeitgeber das wollen. Da muss man kein Pessimist sein, um zu befürchten, dass das dann auch passiert. Und wenn sie sich an diese Dienstvereinbarung währenddessen nicht halten, kann der Personalrat vor dem Verwaltungsgericht dagegen klagen. In der Regel bekommt er dann den ersten Verhandlungstermin nach ungefähr einem Jahr! Währenddessen können sie sich einfach weiter nicht daran halten und wir können höchstens wie Rumpelstilzchen vor Wut aufstampfen. Und auch die Beschäftigten selber haben kein Druckmittel, um eine Verbesserung, Verlängerung oder auch nur Einhaltung der Dienstvereinbarung durchzusetzen. Denn für eine Dienstvereinbarung darf man nicht streiken.

10 Minuten, nachdem sie uns den Vorschlag in die Hand gedrückt hatten, haben sie dann gesagt, man müsse das hier ja auch nicht unnötig in die Länge ziehen, und wollten gehen.

Das Ganze war ein abgekartetes Spiel. Sie haben uns nach Berlin eingeladen – um dort bewusst etwas vorzuschlagen, von dem sie wussten, dass ver.di es ablehnen muss. Um dann als Erste in der Presse verkünden zu können, dass ver.di die Bösen sind.

Wir sollten also zukünftig unsere Entscheidungen nicht zu sehr davon abhängig machen, was die Arbeitgeber uns androhen zu tun, wenn wir nicht gehorchen. Denn egal was wir machen, die Arbeitgeber sagen immer, wir sind schuld. Sie werden immer versuchen, die Öffentlichkeit gegen uns aufzubringen – und sie haben dabei die Regierung und Teile der Presse zu ihrer Unterstützung.

„Was wir hier machen,

ist kein Ritual einer normalen Tarifrunde.“

Aber obwohl sie viel mächtigere Mittel zur Verfügung haben und uns seit dem ersten Streiktag verleumden, haben sie es bislang nicht geschafft, die Öffentlichkeit gegen uns aufzubringen. Im Gegenteil! Und das aus zwei Gründen:

Der Hauptgrund ist, dass das, was wir fordern, vielen Menschen aus der Seele spricht. Weil sie selber als Patienten viele schlechte Erfahrungen im Krankenhaus gemacht haben. Und weil sie selber als Beschäftigte erleben, wie die Überlastung immer unerträglicher wird. Noch am Montag haben uns Kolleginnen aus dem Reinigungsdienst und dem Handel erzählt, dass unser Kampf wegweisend für sie ist, weil sie dieselben Probleme haben!

Und der zweite Grund ist, weil wir von Anfang an so oft und offensiv auf unsere Kollegen im Klinikum, in anderen Krankenhäusern, anderen Betrieben und in der Stadt und auch auf die Patienten zugegangen sind und unseren Streik bekannt gemacht haben.

Und ich denke, das sollten wir verstärkt wieder machen. Denn diese Aktivitäten sind der wahre Gradmesser. Bei diesen Aktivitäten spüren wir, ob der Arbeitgeber es schafft, die Öffentlichkeit gegen uns zu beeinflussen – oder ob all ihren Presseerklärungen zum Trotz viele Menschen weiter hinter uns stehen. Und ich vermute, die meisten stehen weiter hinter uns.

Aber den Arbeitgebern ging es nicht nur darum, in der Presse gut dazustehen. Der Hauptgrund für diese Inszenierung war ein anderer. Sie wollen uns – wie eine Kollegin am Montag so treffend sagte – mürbe machen.

Sie haben von Verhandlungen „notfalls bis in die Nacht“ gesprochen und den Eindruck erzeugt, als wollten sie wirklich zu einer Einigung kommen. Sie haben gehofft, dadurch bei uns allen ein bisschen die Hoffnung zu erzeugen, sie würden bei den Gesprächen ein besseres Angebot vorlegen. Und dann legen sie uns ein Angebot vor, das noch schlechter ist als das, das sie letzte Woche gemacht haben.

Es ist dasselbe Spiel wie seit mehreren Wochen. Sie wollen, dass wir immer hoffen und wieder enttäuscht werden, und dann wieder hoffen und wieder enttäuscht werden. Sie hoffen, dass wir dadurch irgendwann die Kraft und die Zuversicht verlieren und dass wir aufgeben.

Ich hoffe, dass sie das nicht geschafft haben!

Aber damit es ihnen nicht gelingt, muss uns allen wirklich bewusst sein: Was wir hier machen, ist kein Ritual einer normalen Tarifrunde. Das läuft nicht so, dass man sich ein paar Mal am Verhandlungstisch trifft und eigentlich jeder eigentlich schon vorher weiß: Am Ende trifft man sich irgendwo in der Mitte. Und dazwischen gibt es ein bisschen Gezerre in die eine Richtung und dann wieder in die andere Richtung. Und dann weiß man vorher schon, dass sie sich spätestens in ein paar Tagen wieder bewegen. So funktioniert das Spiel hier nicht.

Was wir haben, ist ein echtes Kräftemessen, wo die Entschlossenheit und Größe unseres Streiks auf der einen Seite zieht und die Entschlossenheit des Vorstands, seine Politik der „Wirtschaftlichkeit“ beizubehalten, auf der anderen Seite.

Was wir hier machen, ist Neuland. Weil wir zum ersten Mal seit vielen Jahren sagen: Wir wollen nicht zusehen, dass alles immer schlechter wird. Wir wollen offensiv eine Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen erkämpfen.

Und gerade deshalb sind viele aus ganz Deutschland auch so begeistert. Wir haben auf der Solidaritätsdemonstration aus zig Betrieben immer und immer wieder gehört: „Ihr betretet Neuland, ihr seid Vorreiter und Vorbild für uns alle!“

Von Anfang an haben wir hier im Streikzelt immer wieder darüber diskutiert, dass wir eine sehr harte Auseinandersetzung vor uns haben.

Weil das, was wir fordern, an ihre Substanz geht. Wir wollen die Verschlechterungen der letzten Jahre zurückdrehen – Verschlechterungen, die Regierungen und Vorstand ganz gezielt eingeführt haben.

Wir fordern mehr Geld für mehr Personal – während sie seit Jahren am Personal sparen und sparen und das auch weiter tun wollen.

Und wir fordern, dass Betten geschlossen werden, wenn zu wenig Personal da ist. Das aber ist für sie ein rotes Tuch: Denn Betten schließen bedeutet weniger Einnahmen! Das ist die Logik im Krankenhaus geworden. Eine Logik des Geldes, der Wirtschaftlichkeit – statt einer, in der es um das Wohl des Patienten geht.

Wir haben hier also ein Kräftemessen mit dem Arbeitgeber, bei denen es uns wie ihnen um das geht, was uns am Wichtigsten ist. Uns um unsere Gesundheit und die der Patienten – und ihnen ums Geld.

„Noch haben wir

Energie, Kraft und viel Zorn.“

Irgendwann wird wahrscheinlich der Moment kommen, in dem wir sagen: Mehr schaffen wir in diesem Tauziehen nicht. Aber zumindest am Montag war mein Gefühl: Da sind wir noch nicht. Noch haben wir Energie, Kraft und viel Zorn, um alles zu versuchen, um bei den Arbeitgebern mehr herauszuholen. Und ich hoffe, das ist auch heute noch so!

Wenn wir weiter für mehr Entlastung kämpfen wollen, dann müssen die Arbeitgeber spüren, dass sie uns nicht entmutigt haben mit ihren Spielchen – sondern dass wir weiter genauso entschlossen sind zu kämpfen.

Und vor allem müssen wir ganz aktiv und massiv auf unsere Kollegen zugehen:

Wir müssen heute noch anfangen mit ganz vielen zu reden, die im Moment drinnen arbeiten. Wir müssen unsere Kollegen aufklären über die Lügen des Vorstands. Wir müssen ihnen klar machen, dass wir sie gerade jetzt brauchen und versuchen, sie zu überzeugen, mit zu streiken.

Denn wenn wir nicht weniger werden oder sogar mehr, dann ist dies ein großes Zeichen an den Vorstand, dass er mit seiner Taktik so einfach nicht durchkommen wird.

Wir müssen dann auch noch offensiver als bisher auf die Patienten zugehen. Mit einem neuen Flugblatt, in dem wir ihnen die Verdrehungen des Vorstands erklären und erneut erklären, dass wir auch für sie streiken!

Und wir müssen die Energie finden, um auch weiter in Stadtteile, in andere Krankenhäuser, andere Betriebe usw. zu gehen. Um dort aufzuklären, zu werben – und auch Soli-Buttons zu verkaufen. Denn all das sind Dinge, die unseren Streik stärker machen.

Wie weit der Vorstand dann bereit ist, unseren Forderungen entgegenzukommen, kann niemand wissen. Aber zumindest in einem bin ich mir sicher: Wenn wir uns wieder weniger mit dem Vorstand, dessen miserablen Angeboten und dessen Versuchen, uns mürbe zu machen beschäftigten – und dafür wieder mehr mit unseren Kollegen, Patienten, Kollegen in anderen Krankenhäusern und Betrieben und auf der Straße unterhalten, werden wir wieder das erleben, was zumindest ich letzte Woche gespürt habe. Nach den Berichten von den Besuchen in den anderen Essener Krankenhäusern, nach dem Andrang am Waffeltag und nach der tollen Soli-Demo letzten Donnerstag haben wir gemerkt, wie unser Streik getragen wird. Und dass wir das Richtige tun!

Wir haben 1 500 Euro auf einer einzigen Solidaritätsdemonstration gesammelt, tausende Unterschriften in wenigen Tagen. All das macht unseren Streik stark – einen Streik, der schon jetzt dazu geführt hat, dass wir hier mit hunderten Kollegen selbstbewusster geworden sind und viel mehr zusammenhalten.

Und daher denke ich, dass es sich lohnt, alles zu versuchen und weiterzumachen.

Aber das ist meine Meinung und die des Streikkomitees. Es ist wichtig, dass alle ehrlich ihre Meinung sagen. Ehrlich sagen, auch wenn sie Zweifel haben und nicht mehr sicher sind, ob sie weiter machen wollen und können. Denn nur, wenn wir hier ganz ehrlich zueinander sind und gemeinsam entscheiden, ob wir die Kraft haben weiterzumachen, dann werden wir hier die richtige Entscheidung für uns alle fällen.

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"Ein echtes Kräftemessen", UZ vom 24. August 2018



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