Christoph Hein und sein Verleger Elmar Faber

Ein Briefwechsel über 35 Jahre

Von Rüdiger Bernhardt

Christoph Hein, Elmar Faber

Ich habe einen Anschlag vor. Der Briefwechsel

hrsg. von Michael Faber

Leipzig, Faber & Faber Verlag 2019

157 S., 22,- Euro

Niveauvolle Bücher, dazu die Traditionen politischer Literatur pflegend, waren die Merkmale des Leipziger Verlages Faber & Faber, der sich zudem der DDR-Literatur verpflichtet sah. Doch zog sich Elmar Faber, gestorben am 3. Dezember 2017, im Jahr 2011 vom Verlag zurück, sein engster Mitarbeiter, der Sohn Michael Faber, war als Kulturbürgermeister von Leipzig ausgelastet. Nun hat Michael Faber 2019 den Verlag wiedererweckt und mit dem ersten Buch die programmatische Orientierung wieder aufgenommen: Es ist der fast 35 Jahre dauernde Briefwechsel zwischen Christoph Hein, dem bedeutenden Autor der deutschen Gegenwartsliteratur, und Elmar Faber, der 1983 den Ost-Berliner Aufbau-Verlag übernommen hatte; es ist der am längsten kontinuierlich geführte Briefwechsel Fabers mit einem Schriftsteller. Der Titel des Buches „Ich habe einen Anschlag auf Sie vor“ weist auf ein Merkmal des Briefwechsels hin, nachdem er voller Zurückhaltung auf beiden Seiten begonnen hatte: Man begnügte sich nicht mit dem Gedankenaustausch über aktuelle literarische Ereignisse, sondern suchte nach unüblicher Gestaltung des Buchvertriebs. Dazu gehört zum Beispiel Christoph Heins Roman „Horns Ende“, der ohne Druckgenehmigung erschien und von dem es Exemplare gab, die unter dem Karl-May-Titel „Der Geist des Llano Estacado“ veröffentlicht wurden. In Heins „Gegenlauschangriff“ ist dieser Coup nachzulesen. Das Buch ist ein Jubiläumsgeschenk: Es erscheint nach dem 75. Geburtstag Heins und umfasst einen Zeitraum von fast 35 Jahren; es ist ein unbequemer, weil wahrhaftiger Beitrag im dreißigsten Jahr der Wende und zur entstandenen Einheit, die sich als Nicht-Einheit erweist und als „Zeit der Denunzianten“ und „Intrigen“, aber auch der scheinheiligen Anerkennung – wie Heins Bestellung zum Intendanten des Deutschen Theaters in Berlin, die dann durch Schmähungen und Etatkürzungen hintertrieben wurde. Sensibel registrierte Hein faschistoide Züge der Presse, die ihn 2009 von einer „großdeutschen Presse“ sprechen ließen. Zwei namhafte Vertreter der deutschen Literatur weisen am eigenen Beispiel nach, wie die Einheit eine Übernahme war, wie Ostdeutsche als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden, mit Ausnahme jener wie Erich Loest, die immer „wieder ganz genau (wissen), was falsch und was richtig ist“, und wie Menschen wie Faber ihre Biografie und Lebensleistung abgesprochen oder durch Lügen, Verdächtigungen, Verleumdungen und „Unverschämtheiten und Versuche von Denunziationen“ in Frage gestellt wurde.

Der Briefwechsel begann im Jahr, in dem Heins großer Erfolgstitel „Der fremde Freund“ – im Westen unter dem Titel „Drachenblut“ und bis 1990 in 23 Sprachen erschienen – im Aufbau-Verlag veröffentlicht worden war. Der Leser bekommt Einblick in tatsächliche kulturpolitische Verhältnisse, die nichts zu tun haben mit den Schauerbeschreibungen westdeutscher Journalisten. So spricht man durchgehend über „zeitgenössische schöngeistige Literatur“, nicht aber über Zwänge eines sozialistischen Realismus. Faber ist besorgt, gute Autoren „nicht kennenzulernen“, weil sie weder von ihm noch den Lesern als solche erkannt wurden. Dass man gute Autoren totschweigen würde, wie es nach der Wende und bis heute mit Autoren der DDR geschah, konnte Faber damals nicht ahnen.

Die Briefpartner führten ihren Gedankenaustausch mit einer Heiterkeit, die ihnen geistige Überlegenheit sicherte; bei Hein war sie mit Ironie und Sarkasmus verquickt. Dabei benannten sie wesentliche Ursachen für wirtschaftliche Fehlentwicklungen wie die viel zu niedrigen Mieten in der DDR, die Investitionen verhindern und vieles mehr. Auffällig ist das Verantwortungsbewusstsein, das beide für andere Autoren empfinden: Hein setzte sich für vernachlässigte Autoren ein, die „Opfer des Faschismus“ wurden, und noch nicht wieder dem Vergessen entrissen wurden. Faber dagegen suchte die Schuld beim Leser, der sich verweigerte, wenn es um fremde Denkwelten wie die Gustav Landauers oder Ortega y Gassets ging. Auch um Zensur drehte sich der Diskurs: Hein hatte 1987 auf dem X. Schriftstellerkongress in einer Rede gegen die Zensur polemisiert. Faber erinnerte aber daran, dass sie ursprünglich zur „Lenkung der Literaturpolitik“ und einem „geregelten Neubeginn nach den puren Aufräumungsarbeiten“ nach 1945 diente. Auch nach 1989 behielt man diese Offenheit bei: Kurz nach der Amtsübernahme der Treuhand durch Frau Breuel schrieb Hein, dass von „dieser Frau Thatcher … das Schlimmste zu erwarten“ sei und sagte bereits damals das, was heute verschämt in Fernsehdokumentationen angedeutet wird. Was die Briefpartner auszeichnet, ist ihre unbedingte Wahrheitsliebe und Offenheit: Man sagt sich die Meinung, die gegensätzlich sein kann. Man buhlte nicht um die Gunst der Mächtigen, weder in Ost noch in West. Das brachte die Gegner Heins, der mehr in der Öffentlichkeit steht als seine Verleger, auf die Barrikaden, ließ ihn aber umso unangreifbarer werden.

Folgerichtig schließen zwei Reden Christoph Heins den Band ab: die Grabrede Heins für Elmar Faber und die Rede Heins zu „20 Jahre Faber & Faber“, in der er nicht nur „das große Staatsziel“ nach 1990 benennt – „Delegitimierung des anderen deutschen Staates“ – sondern die dabei verwendeten Begriffe in der LTI – der Sprache des 3. Reiches – nachweist und damit den Charakter des geeinten Deutschland umreißt. – Nach diesem Buch der „Wahrheit“ können Dutzende der Jubelbücher von 1989 bis zum 30. Jahrestag von 2019 getrost vergessen werden.

Ein Druckfehler ist sinnentstellend: Heins Roman „Horns Ende“ erschien nicht 1995, so steht es auf Seite 13, sondern 1985. Wünschenswert wären detailliertere Angaben zu den in den Briefen besprochenen Werken Heins: So war zum Beispiel Heins „Sloterdijk-Artikel“ bereits 1984 eine kritische Auseinandersetzung mit einem „Linken Kolonialismus“ – wie der Aufsatz hieß –, die heute noch beispielhaft ist.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Ein Briefwechsel über 35 Jahre", UZ vom 23. August 2019



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit