Die Nummer 379 der „Kommunistischen Arbeiterzeitung“ (KAZ) erscheint in den kommenden Tagen. Mit freundlicher Genehmigung drucken wir vorab den Beitrag der „AG Öl und Gas“, der wichtige Hintergrundinformationen zum Wirtschaftskrieg der NATO gegen die Russische Föderation infolge der Eskalation des Krieges in der Ukraine liefert. In der UZ-Ausgabe vom 11. Februar beleuchtete Klaus Wagener bereits die Entwicklung des US-amerikanischen Öl- und Gaskartells; in der UZ vom 8. April stellte Rolf Jüngermann dar, dass es derzeit unmöglich ist, russische Gaslieferungen durch Flüssiggas zu ersetzen.
Je schriller die Show auf offener Bühne, desto mehr lohnt der Blick hinter die Kulissen. Der Öl- und Gasmarkt scheint völlig außer Kontrolle. Die Preise auf der Stromrechnung, bei der Heizkostenabrechnung, an der Tankstelle durch die Decke, für viele nicht mehr bezahlbar. Wer dem Trommelfeuer deutscher Hetzmedien folgt, soll endlich meinen: Da ist wieder „der Russe“ schuld, vorneweg der Lieblingsbösewicht, Wladimir Putin. Russland und seine Öl- und Gasunternehmen aber liefern – trotz unglaublicher Sanktionen, Pöbeleien und Drohungen vom höchsten Politpersonal der BRD bis hin-
unter zum kleinsten Kläffer. Russland liefert Öl und Gas gemäß den vertraglichen Verpflichtungen weiter – bis jetzt sogar in und durch die Ukraine und in den Mengen und zu den Preisen, wie sie langfristig vereinbart waren.
Mit dem Geschrei soll davon abgelenkt werden, dass die drückenden Preiserhöhungen zulasten der Masse der Bevölkerung vom Bundesumweltamt bereits im Frühjahr 2021 geplant waren. Warum? Aufgrund von Klimagesetzen der Groko (2019), die vorsehen, Sofortmaßnahmen einzuleiten bei Verfehlen der Klimaziele. Mindestens 40 Cent sollte das Benzin teurer werden (so das sicher der Putin-Freundschaft unverdächtige „Bayreuther Tagblatt“ vom 24. Oktober 2021 – da lag der Preis für Super bereits bei fast 1,70 Euro). Merke dennoch: Auch daran ist der Russe schuld! Da kann er machen, was er will. So jedenfalls agiert die Ampel unter Olaf Scholz gegen Russland wie gegen den Erzfeind, riskiert die Energieversorgung des ganzen Landes, fordert geradezu dazu heraus, dass die Versorgung mit Erdgas über Nord Stream 1 abgeschnitten wird, sogar ohne gesicherte Alternativen. Preis der Freiheit? Wer dem untätig zusieht, wird dann bald im Dunkeln zu Hause sitzen, aber immerhin mit dem so wahnsinnig sicheren Sondervermögen für die Rüstung im Rücken – alles nichts für Warmduscher.
Wer regiert den Öl- und Gasmarkt?
Der Öl- und Gasmarkt wird seit Langem von einer Handvoll Konzerne regiert, die Namen und Adressen haben. Die Säulen des bald mehr als 100 Jahre alten Ölkartells heißen ExxonMobil 1 und Chevron, Shell und BP 2. Das Kartell hat den Zweiten Weltkrieg überstanden, obwohl es auch noch während des Krieges weiterhin enge Beziehungen mit der IG Farben unterhielt, dem wohl wichtigsten wirtschaftlichen Zentrum für Aufrüstung und Kriegsplanung des deutschen Imperialismus im Faschismus. Die Völker sollen in den Krieg gehetzt werden und sich gegenseitig totschlagen, das bringt Umsatz, Maximalprofit.
Es spricht viel dafür, dass das Ölkartell bis heute existiert, auch wenn die schiere Größe jedes einzelnen Konzerns bereits einen Machtblock für sich darstellt.
So mächtig sie scheinen, sind sie doch nicht Herrscher der Welt, sondern sind selbst dem ökonomischen Gesetz, dem Gesetz der „Plusmacherei“ unterworfen. Beim Öl und Gas kommen die Besonderheiten der Grundrente hinzu. Die für unsere Zwecke relevante Erkenntnis daraus ist, dass bei allem, was mit Grund und Boden einschließlich Bergwerken, Ölquellen und so weiter zu tun hat, sich der Preis des Erzes, der Kohle oder eben des Erdöls nach der jeweils schlechtesten Quelle richten muss. Fällt der Preis darunter, wird Kapital abgezogen oder durch Pleite vernichtet. Liegt er darüber, strömt Kapital in die Branche, die Produktionskapazitäten werden ausgeweitet, die Produktion steigt.
Das war der Fall, als nach 2008/2009 der Gaspreis einen Höhepunkt erreicht hatte. Nicht nur die Kartellschwestern erweiterten, sondern alle großen Konzerne im Geschäft, auch Gazprom. Neu war, dass in den USA und Kanada vor allem massiv ins mit Gift und massiven Umweltschäden geförderte Fracking-Gas und -Öl investiert wurde – es machte zeitweise etwa 60 Prozent der gesamten US-Ölproduktion aus! Bis 2015 machten vor allem ExxonMobil und Chevron, aber auch viele kleinere Produzenten, zum Teil auch Neulinge, die USA mit Fracking nicht nur zum größten Gas- und Ölproduzenten der Welt. Die USA wurden so auch Nettoexporteur von Gas und Öl, das auf den Weltmarkt drängte. Mit der internationalen Wirtschaftskrise seit 2018 und dann verstärkt durch die Pandemie ab Anfang 2020 kam es zu massiver Überproduktion, Kapital war überakkumuliert worden. Da fiel der Preis so tief, dass bei den schlechtesten Quellen – und das waren vor allem Standorte, bei denen Öl/Gas mittels Fracking erschlossen und gefördert worden war – die Produktion nicht mehr verkäuflich war, sich nicht mehr rentierte, sondern Verluste einfuhr. Die Kosten der Ölförderung bei Fracking liegen bei bis zu 100 US-Dollar pro Barrel, während sie bei den besten Quellen im Irak unter 10 US-Dollar liegen. Es wurde günstiger, das Gas gleich zu verbrennen als es zu verflüssigen, zu verladen und über Lkw und/oder Schiff zum Abnehmer zu transportieren!
Unausweichlich war nun die Frage in diesem Markt, wie die Überproduktion heruntergefahren werden konnte – beziehungsweise wessen Überkapazitäten vernichtet werden sollten.
Warum gegen Russland?
Zur Begrenzung der Fördermenge sollten auf Druck des Kartells vor allem die Aramco (Saudi-Arabien) sowie Rosneft und Gazprom (Russische Föderation) herangezogen werden, eine Übereinkunft erzielen und das dann über den OPEC-Mechanismus gegenüber anderen Ölproduzenten durchsetzen. Die US-Konzerne sollten verschont bleiben. Als die russischen Konzerne (wegen der damit verstärkt wegbrechenden Umsatzeinnahmen) dem nicht zustimmten, Aramco und Rosneft/Gazprom sogar Produktionssteigerungen ankündigten, purzelten die Preise. Da wurde der Krieg, der heute tobt, bereits ausgelöst. Zwar wurde schließlich ein Abkommen zwischen Saudi-Arabien und der Russischen Föderation erzielt und die Fördermengen wurden reduziert. Es kam aber nur zustande, weil Trump 2020 zusicherte, dass die kleineren, unabhängigen Ölproduzenten in den USA nicht durch staatliche Subventionen gerettet und damit vom Markt verschwinden würden. Dies und die Wiederbelebung der Weltkonjunktur dank der Entwicklung vor allem in China führten zum Anstieg der Nachfrage. Da die Fördermengen nicht ausgeweitet wurden, stiegen die Preise – sofern sie nicht in langfristigen Lieferverträgen geregelt waren – seit Herbst 2020 auf den heutigen Stand (Februar 2022), der um etwa das Fünffache über dem Stand im April 2020 liegt. Hatte ExxonMobil ebenso wie Shell 2020 noch über 20 Milliarden US-Dollar an Verlust gemeldet und Chevron und BP rund fünf Milliarden, so lagen die Monopole 2021 durchschnittlich mit 20 Milliarden US-Dollar im Plus. Seitdem jagen sich die Rekordmeldungen für Preis und Profit – und bereits seit November 2021 hat der Börsen-Altspekulant Warren Buffett seine Aktienpakete von Pharma zu Öl umgeschichtet. Gesundheit ist out – Tod ist im Kommen.
Damit hätten ja alle Kartellschwestern, die OPEC und auch Russland mit Gazprom und Rosneft zufrieden sein können. Aber der Schock für das Kartell sitzt tief, dass sein Überleben von unabhängigen russischen Produzenten und ihrem Verhalten auf dem Markt und auch von einer widerborstigen russischen Regierung abhängen kann, die auch noch die sonst immer beflissenen Saudis hatte mitziehen können. Es ist der Kampf des Ölkartells gegen die russischen Kartellaußenseiter, der heute auch als Krieg in der Ukraine geführt wird.
Dabei hatten ja die vier Ölmonopole auch einen starken Fuß in der Russischen Föderation; die BP sogar eine fast 20-prozentige Beteiligung an Rosneft. Doch dank der staatlichen Beteiligung an Rosneft und Gazprom hatten sie nie einen dominierenden Einfluss. Der massivste Versuch, das Sagen im russischen Ölgeschäft zu übernehmen, war mit dem Namen Michail Chodorkowski verbunden. Dieser Versuch scheiterte Anfang der 2000er Jahre kläglich, unter anderem dank Putin. Deshalb ist Putin verhasst – nicht weil er einen Krieg führt.
Das Ölkartell kann es nicht dulden, dass unsichere Kantonisten in der Welt das Geschäft kaputt machen könnten. Es muss die Fördermenge und darüber die Preise kontrollieren können. Wenn die westliche „Wertegemeinschaft“ heute unisono kräht, man wolle Russland „ruinieren“, dann geht es nicht zuletzt um die Ruinierung der großen russischen Öl- und Gasindustrie, die 2020 an der zweiten Stelle in der Welt stand. Ruinieren muss man sich dabei nicht notwendig (aber auch) als Zerbomben vorstellen. Ruiniert werden soll die relative Unabhängigkeit von der Kon-trolle durchs Kartell, ruiniert werden soll die Macht, sich gegen das Diktat der Ölmonopole zur Wehr setzen zu können.
Das ganze Szenario wurde schon mehrfach durchgespielt – beispielsweise im Dritten Golfkrieg 2003. Spätestens als Saddam Hussein Ölkonzessionen an russische und chinesische Konzerne vergab und drohte, das irakische Öl nicht mehr in US-Dollar abzurechnen, wurde in den Chefetagen von Exxon und Co. sein Todesurteil unterzeichnet. Zu dessen Vollstreckung wurde dann die „Allianz der Willigen“ davon überzeugt, dass Saddam Hussein ein verrückter Diktator à la Hitler sei, der mit Massenvernichtungswaffen die Freiheit, die Demokratie und unseren Wohlstand bedrohe. Alles Lüge, wie sich post festum herausstellte. Völkerrecht? Menschenrecht? Einmal mehr im Irak 2003 von unserer vornehmen „Wertegemeinschaft“ zu Grabe getragen.
So funktioniert das Ölkartell
Im Kapitalismus der freien Konkurrenz war es keine Frage, wie Überproduktion und Überakkumulation auch im Ölgeschäft – vorübergehend und krisenhaft – beseitigt werden: Stillgelegt werden die schlechtesten Quellen, bis der Produktionspreis dem Marktpreis entspricht. Und das traf 2020 direkt viele kleinere Produzenten; auch stärkere Außenseiter wie die Brüder Koch (ultrarechte Milliardäre und Förderer von Trump) wurden in Mitleidenschaft gezogen. Im Fortgang der Krise aber wurden auch die Großen Vier bedroht – und mit ihnen so große Bankimperien wie JP Morgan, Wells Fargo oder Bank of America, welche die Ausweitung der Förderung finanziert hatten. Die scheinbar so unabhängige und übermächtige OPEC als „Organisation of Petroleum Exporting Countries“ (seit 1960) ist dabei kaum mehr als der Hebel des Ölkartells der Konzerne, um die Vorgaben auf der Ebene der erdölproduzierenden Länder mit staatlicher Macht durchzusetzen. Unabhängigkeitsbestrebungen werden dabei gnadenlos bestraft, wie die Beispiele Iran, Irak und Venezuela – immerhin Gründungsmitglieder der OPEC – zeigen.
Das alles ist ein Lehrstück in Sachen Monopolkapitalismus und Staatsmonopolistischer Kapitalismus: Die Konkurrenz wird – wenigstens vorübergehend – ausgeschaltet. Denn: Was ist die Aufgabe des Kartells? Was ist der Zweck des Monopols? Mit allen Mitteln das Überleben der Kartellschwestern, mit allen Mitteln den Monopolprofit zu sichern. Mit allen Mitteln heißt: Auch über die ökonomischen Mittel wie Preisabsprachen, Mengenbegrenzung, Änderungen der Produktionsquoten, Kampf gegen Kartell-
außenseiter und so weiter hinaus mit politischen und militärischen Mitteln und dazu ganze Staaten in Bewegung zu setzen – auch mit Krieg und Bürgerkrieg. Dafür haben die Ölmonopole in Riesenumfang das Kapital und damit die Macht.
Nord Stream als Schlüssel
Der Schlüssel zum Verständnis ist dabei Nord Stream. Seit 2011 liefert Nord Stream 1 per Pipeline zuverlässig Erdgas aus Russland in die BRD – unter anderem auch als Alternative zu den sehr teuren Durchleitungsgebühren durch die Ukraine und Polen. Dazu kamen Diebstahl und nicht bezahlte Rechnungen der ukrainischen Regierung für geliefertes Gas. Gegen Nord Stream 2 liefen seit Beginn der Planungen vor allem die USA Sturm und drohten schließlich mit massiven Sanktionen.
Darüber ist zwar viel geschrieben worden; kaum bekannt aber sind die Partner Gazproms auf der Abnehmer- und Finanzierungsseite in diesem Projekt, das jetzt (vorläufig?) gestoppt wurde.
Wintershall Dea:
Der angeblich größte Erdgasanbieter der Welt. Durch die 2019 endgültig vollzogene Fusion mit der ehemaligen RWE-Tochter DEA Deutsche Erdoel AG sei der führende Öl- und Gaskonzern Europas entstanden. Damit ist nun neben die russischen Konzerne und den langjährigen französischen Kartellaußenseiter Total ein weiterer Konkurrent des Ölkartells getreten. Wintershall Dea gehört der BASF zu über 70 Prozent und der LetterOne des russischen Milliardärs Michail Fridman, der sich immerhin schon einmal mit keinem geringeren Kartellmitglied wie BP angelegt hatte. Die DEA hatte er 2015 von RWE für 5,1 Milliarden Euro erworben. Im Zuge der jetzigen Sanktionen wurden seine Anteile bei LetterOne eingefroren.
Uniper:
Mit 33 Gigawatt Stromerzeugungskapazität ist Uniper nach eigenen Angaben einer der größten Stromerzeuger der Welt und einer der führenden Gaskonzerne in Europa. Ursprünglich als Tochtergesellschaft für die Kraftwerkssparte von E.ON 2016 abgespalten. Seit 2017 von der finnischen Fortum übernommen, nachdem E.ON zuvor seine russischen Beteiligungen an OMV verkauft hatte. Aufsichtsratsvorsitzender der Uniper ist derzeit der E.ON-Mann Bernhard Reutersberg. Fortum gilt als Platzhalter für E.ON. In Uniper war übrigens auch die berüchtigte Ruhrgas aufgegangen, die ursprünglich 1926 von den Kohle- und Stahlbaronen an der Ruhr als Gemeinschaftsunternehmen gegründet wurde.
Engie:
Bis 2015 hieß dieser Konzern G(az) D(e) F(rance) Suez. Die GDF (zusammen mit der EDF) wurde auf Initiative des Widerstandskämpfers und Kommunisten Marcel Paul 1946 geschaffen, um die Energieversorgung in Volkes Hand zu bekommen – es reichte aber nur zur Bündelung in der Hand des französischen Staates. Die riesige GDF wurde 2005 teilprivatisiert. Nach der Fusion mit der berühmt-berüchtigten Suez sank der Staatsanteil auf derzeit 24,1 Prozent. Engie ist der weltgrößte Konzern für Flüssiggas (LNG), hat aber auch starke Interessen im Kernkraftsektor.
OMV:
Das Kürzel steht für Österreichische Mineralölverwaltungs AG, gegründet 1956. Die AG zählt zu den weltweit 500 größten Unternehmen. Seit 1968 war OMV mit der UdSSR im Geschäft mit russischem Gas. Seit 1989 und Folgejahren ist die OMV auf Expansionskurs nach Ost- und Südosteuropa (Ungarn, Rumänien und andere) bis in die Türkei (Petrol Ofisi bis 2017). Verbindungen bestehen zu Abu Dhabi, aber auch nach Norwegen/Statoil. Mit 31,5 Prozent ist die österreichische Staatsholding größter Anteilseigner, gefolgt von Abu Dhabi mit 24,9 Prozent. Bei Rückbau des Gasgeschäfts will OMV stärker in Chemie (Borealis) investieren.
Royal Dutch Shell:
Shell ist ein Gründungsmitglied des Ölkartells von 1928. Groß wurde Shell als Hauptlieferant der englischen Armee im Ersten Weltkrieg. Der Konzern war Ende der 1920er Jahre der größte Ölproduzent der Welt. Heute steht Shell nach Exxon an zweiter Stelle im Ölkartell der sogenannten Supermajors. 2015 übernahm Shell die BG (British Gas) für 70 Milliarden US-Dollar. Die BG war seinerzeit der größte Lieferant der USA für Flüssiggas. Shell war in zahlreiche Korruptionsaffären verwickelt und wird für eine Vielzahl von Umweltkatastrophen (etwa in Nigeria) verantwortlich gemacht. Seit Anfang der 2000er Jahre ist Shell bei den „Erneuerbaren“ dabei und gilt als einer der größten Macher in Wasserstoff. Mehrfach wurde Shell des „Greenwashing“ überführt.
Der Schatten der IG Farben
Interessant bei Nord Stream ist neben der schieren Größe aller Beteiligten besonders die Rolle der beiden Größten, Shell und BASF. Die BASF ist eine Nachfolgerin der oben bereits erwähnten IG Farben. Die IG hatte schon vor dem Machtantritt des Hitlerregimes mit Exxon (damals noch Standard Oil of New Jersey) ein Abkommen getroffen, wonach – vereinfacht gesagt – die IG sich aus dem Ölgeschäft, Exxon sich aus der Chemie heraushalten werde. Es gibt bis zur „Zeitenwende“ von 1989 bis 1992 einige Hinweise auf Streitigkeiten um diesen Punkt – etwa das Erdgasröhren-Geschäft (siehe Kasten 1), an dem Wintershall bereits beteiligt war. Ronald Reagan wollte das damals unterbinden mit dem Angebot, stattdessen Gas aus Alaska zu liefern. Jetzt soll statt Gas aus der Ostsee-Pipeline Flüssiggas per Schiff aus den USA zu noch nicht vorhandenen Terminals in Wilhelmshaven oder Brunsbüttel transportiert werden. Da werden manche „Umwelt Heil!“ rufen!
Unklar ist die Rolle von Shell im Nord-Stream-Konsortium. Ausscheren aus dem Kartell oder sein verlängerter Arm und Aufpasser? Jedenfalls war Shell eher verspätet und auf Druck der britischen Regierung bereit, in der jetzigen Ukrainekrise den Rückzug aus Russland und das Einfrieren von Nord Stream 2 anzukündigen. Shell hat auch gegenüber Exxon und Chevron mehr dabei zu verlieren.
In dieser Konstellation mit der von der deutschen BASF dominierten Wintershall Dea und der französischen Engie im Zentrum und unter Einschluss der russischen Konzerne wäre dem Ölkartell ein mächtiger Konkurrent entstanden, der sich – immer natürlich in monopolkapitalistischer Konkurrenz – hätte unabhängig machen können. Die deutsch-französische Vorherrschaft in EU-Europa hätte ein Energiefundament besessen, mit dem sie dem Block aus USA und Britannien hätte entgegentreten können – natürlich, um selbst wieder nach unten treten zu können. Auf dieser Grundlage wäre der deutsche Imperialismus ein erhebliches Stück weitergekommen bei seinem dritten Anlauf zur Weltmacht und um die Neuaufteilung der Welt, um den „Platz an der Sonne“ im Kampf um Absatzmärkte, Rohstoffquellen und Einflusssphären. Mit Shell dazu wäre daraus ein veritables Gegengewicht entstanden gegen ExxonMobil, Chevron und BP. Wir betonen: nicht zum Wohl der Arbeiterklasse und der Völker, sondern zur Schwächung des einen imperialistischen Blocks durch den anderen. Dem (vorläufig) einen Riegel vorzuschieben – dazu kam die Ukrainekrise gerade recht, dazu wurde das Selenski-Regime angestachelt, um durch Provokationen „schlagkräftige“ Vorwände zu liefern.
Noch ist nichts endgültig. Wenn sich der Rauch des Krieges verzogen und die selbstinszenierte Hysterie abgeschwächt haben, wird sich zeigen, wie hoch der Preis nicht für die „Freiheit“, sondern für die Bedrohung und Erpressung Russlands war – und wer ihn zahlen wird. Es wird sich zeigen, ob der deutsche Imperialismus vor dem US-Imperialismus kuscht und den geforderten höheren Preis (mindestens also dauerhaft erhöhte Energiepreise und Lieferungen aus Menschenrechtsparadiesen wie Katar und Nigeria und anderen Staaten oder den verwüsteten Fracking-Landschaften Kanadas und der USA) zahlt oder ob er aus dem Windschatten heraustritt und wieder „in schimmernder Wehr“ nicht nur „gen Ostland“ auf eigene Rechnung und Gefahr zu reiten versucht. In welcher Verbrecherkonstellation auch immer – den Weg dahin verstellen kann nur die Arbeiterklasse.
Hoffnung aus China
Eine aufhellende Nachricht aus dem Öl- und Gasmarkt: PetroChina ist inzwischen das weltweit größte Unternehmen in diesem Sektor – aber weil aus dem sozialistischen China stammend, von den alteingesessenen fetten Monopolen nur vorübergehend gelitten.
Dabei hat China eine geringere Pro-Kopf-Ölproduktion als etwa Kuba oder auch das ebenfalls nicht für Ölreichtum bekannte Kroatien. Deswegen ist es noch auf eine umfangreiche Einfuhr von Gas und Öl angewiesen. Das ist eine solide Basis für die Zusammenarbeit und das Bündnis zwischen Russland und China – und eine Hoffnung für die Welt: statt Bevormundung durch Monopole und Imperialisten respektvolle Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil. Welch ein Dorn im Auge der „Wertegemeinschaft“!
1 Der Börsenwert am 15. März 1922 betrug 331 Milliarden US-Dollar. Seit vielen Jahrzehnten zählt Exxon, die direkt aus der berüchtigten Standard Oil des Rockefeller-Clans hervorgegangen ist, zu den weltgrößten Unternehmen. Beachtung fand, dass der erste Außenminister bei Trump der Vorstandsvorsitzende von ExxonMobil, Rex Tillerson, wurde. So offen wurde die Verquickung von Kapitalmacht und Staat selten zur Schau gestellt. Der stark an Rosneft interessierte Tillerson zog sich als Außenminister nach einem Jahr zurück, unter anderem weil er erkennen musste, dass die russische Regierung nicht bereit war, ExxonMobil weitere Konzessionen im Ölgeschäft zu machen. Von den ursprünglich „Sieben Schwestern“ (auch Majors genannt) hat Exxon „Mobil“ übernommen, Chevron „Texaco“ und „Gulf“.
2 Die Vereinbarung, die 1928 getroffen wurde, beginnt mit dem Satz: „Übertriebene Konkurrenz hat zu der Überproduktion von heute geführt“, so dass „die Parteien sich auf ihren gegenwärtigen Geschäftsumfang beschränken und bei künftiger Produktionssteigerung nicht mehr als ihren bisherigen Anteil an der Produktion beanspruchen“. (Sogenanntes Achnacarry- oder As-Is-Agreement) Das Abkommen wurde damals von den sieben größten Ölmonopolen der USA und Britanniens unterzeichnet. Von diesen sieben sind heute nach Fusionen noch die vier Genannten übrig.
Abhängigkeit? – Von wem?
Eine „Alldeutsch/Europäische“ Monopolfraktion gegen die „Transatlantiker“
Noch 2020 schrieb der Vorstandsvorsitzende von Wintershall Dea und Vertreter des „Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft“, Mario Mehren, zum Russlandgeschäft des Konzerns:
„In ‚guten wie in schlechten Zeiten‘ war Russland uns ein verlässlicher Energielieferant und das bereits ein halbes Jahrhundert lang. Ohne Russland gibt es für Deutschland und Europa auch heute keine Energiesicherheit, ob uns das passt oder nicht. Aber ich persönlich bin überzeugt: Das sollte uns passen! Denn, während die Amerikaner warnen, Europa mache sich allzu abhängig von russischer Energie, sehen wir Europäer hier gegenseitige Interessen und damit große Chancen. Europa braucht bezahlbare und saubere Energie, Russland braucht Verkaufserlöse. Politisch mag man das als gegenseitige Abhängigkeit betrachten. Aber aus wirtschaftlicher Sicht ist das ganz einfach die Basis für eine verlässliche Partnerschaft. Denn jede gute Partnerschaft basiert auf gegenseitigen Interessen und Bindungen.“
Und zum Erdgas-Röhrengeschäft mit der UdSSR:
„Bereits 1970 – die Amerikaner stehen mitten im Vietnamkrieg und im Kampf gegen den Kommunismus – erwägt Präsident Nixon Sanktionen gegen das Energieprojekt. Die Bundesregierung hält jedoch an ihrem Kurs fest. Das ist jedoch längst nicht das Ende der Auseinandersetzungen, sondern der Anfang einer langen Geschichte. Denn Deutschland und Westeuropa investieren in den folgenden Jahren weiter in die Energiepartnerschaft mit dem Osten. Die USA dagegen befürchten während dieser Zeit des Kalten Krieges in jeder Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und Russland einen Verrat am westlichen Bündnis und eine gefährliche Abhängigkeit – zugleich verbunden mit der Hoffnung, die russischen Lieferungen nach Europa durch eigenes, amerikanisches Gas ersetzen zu können.
1982 eskaliert dann der Streit. Die prominentesten Protagonisten: Helmut Schmidt und Ronald Reagan. Nach dem Erfolg der ersten Erdgas-Röhrengeschäfte soll mit einer Pipeline von Sibirien nach Westeuropa durch Polen eine weitere Verbindung geschaffen werden. Deutschland liefert Rohre und Kompressoren im Wert von 20 Milliarden D-Mark und die Sowjetunion liefert im Gegenzug jährlich 40 Milliarden Kubikmeter Gas. Die USA protestieren abermals vehement. Schließlich herrscht angesichts des Einmarsches der Russen in Afghanistan und des Kriegsrechts in Polen offene Feindschaft. Was dann geschah, zeigen etwa die Studie ‚Osthandel oder Wirtschaftskrieg?‘ der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung wie auch zahlreiche Zeitungen der damaligen Zeit. Die Ereignisse lesen sich wie ein Wirtschaftskrimi. (…)
Im Weißen Haus und im Pentagon dominieren die Hardliner und drohen der deutschen Regierung. Die Reagan-Administration untersagt amerikanischen Firmen, ihre Technologie beizusteuern. Der US-amerikanische Außenminister Alexander Haig tritt über diesen Pipeline-Streit zurück. Bundeskanzler Schmidt reagiert mit klarer Kante und ironischem Kommentar auf die US-Einmischung in die europäische Wirtschaft: Immerhin brauche die UdSSR doch westliche Devisen, um in den USA weiter Getreide zu kaufen. Ein Senator aus Alaska schlägt vor, dass die Europäer das russische Gas ersetzen sollten – und zwar durch Gas aus Alaska. Und er fordert, US-Truppen aus Deutschland abzuziehen, denn die Russen könnten dort jederzeit den Strom abdrehen.“
Quelle: www.ost-ausschuss.de/de/trotz-gegenwind-eine-historische-energiepartnerschaft
Im Jahr 1916 wusste Lenin schon:
Es ist lehrreich, wenigstens einen flüchtigen Blick auf die Liste der Mittel des gegenwärtigen, modernen, zivilisierten Kampfes um die „Organisation“ zu werfen, zu denen die Monopolverbände greifen:
- die Materialsperre (mit „die wichtigste Methode des Kartellzwanges“);
- Sperrung der Arbeitskräfte durch „Allianzen“ (das heißt Vereinbarungen zwischen Kapitalisten und Arbeiterverbänden derart, dass die Arbeiter nur in kartellierten Betrieben arbeiten dürfen);
- Sperre der Zufuhr;
- Sperre des Absatzes;
- Verträge mit den Abnehmern, wonach diese ausschließlich mit kartellierten Firmen Geschäftsverbindungen haben dürfen;
- planmäßige Preisunterbietung (um die „Außenseiter“, das heißt die Unternehmungen, die sich den Monopolinhabern nicht unterordnen, zu ruinieren; es werden Millionen ausgegeben, um eine Zeitlang unter dem Selbstkostenpreis zu verkaufen; so kam es beispielsweise in der Benzinindustrie vor, dass die Preise von 40 auf 22 Mark, das heißt fast auf die Hälfte, herabgesetzt wurden!);
- Sperrung des Kredits;
- Verrufserklärung. (…)
Das Monopol bricht sich überall und mit jeglichen Mitteln Bahn, angefangen von „bescheidenen“ Abstandszahlungen bis zur amerikanischen „Anwendung“ von Dynamit gegen den Konkurrenten.
(W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, 210 ff.)