Syrien: Die USA verhandeln – und nutzen die neuen Kämpfe für ihre eigenen Zwecke

Ein bisschen Waffenruhe

Von Manfred Ziegler

Terrorgruppen führen eine Offensive, um die Armee aus der nordsyrischen Stadt Aleppo zu vertreiben. Die neuen Kämpfe hatten begonnen, nachdem der von Saudi-Arabien gesteuerte Teil der syrischen Opposition die Genfer Friedensverhandlungen blockiert hatte.

Aleppo ist seit dem Sommer 2012 heftig umkämpft. Vieles ist zerstört. Terroristische Gruppen oder „gemäßigte“ Rebellen unterbrechen die Strom- und Wasserversorgung der Gebiete, die die Regierung kontrolliert, wann immer sie die Möglichkeit dazu haben. „Willkommen in der Hölle“, so beschrieb die syrische Zeitung al-Watan in einer Karikatur die Situation in Aleppo. Die geographische Lage der Stadt begünstigt die Angriffe: Aleppo liegt im Norden Syriens, nicht weit von der Grenze zur Türkei entfernt. Von dort aus nimmt der Nachschub an Waffen und Kämpfern kein Ende. Und als „zweite Hauptstadt“ Syriens und ehemals im ständigen Wettstreit mit Damaskus um wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Vorrang ist Aleppo ein „Primärziel“.

Ende Januar hat eine neue Runde der Genfer Verhandlungen unter Vermittlung der UNO begonnen. Seitdem ließen die Kämpfe um die Stadt nach. Doch schon Ende April brachen sie wieder voll aus – vielleicht auch eine Antwort darauf, dass Russland einen großen Teil seiner Kampfflugzeuge abgezogen hatte. Es gab viele zivile Opfer durch Angriffe auf ein Krankenhaus (die reflexartig der syrischen Regierung angelastet wurden) und durch Raketen- und Mörserangriffe auf sichere Wohngebiete im Einflussbereich der Regierung. Dabei feuerten terroristische Organisationen hunderte Raketen ab – es war eine neue Krise in der Krise.

Diese erneute Krise begann Ende April mit dem „Teilabzug“ des Hohen Verhandlungskomitees von den Genfer Verhandlungen. Das „Hohe Verhandlungskomitee“, oder besser die „Riad-Opposition“, hatte sich im Dezember 2015 auf einer Konferenz in Riad gebildet – eingeladen hatte die Regierung von Saudi-Arabien.

Zu dieser Konferenz kamen nicht nur die Vertreter von bewaffneten islamistischen Gruppen wie Jaysh al-Islam oder Ahrar al-Scham, sondern auch die Spitzen der politischen Opposition Syriens. Für sie galt lange das Credo des dreifachen „Nein!“: „Nein zur ausländischen Intervention, nein zur Gewalt, nein zur religiösen Spaltung“. Nun also ging es gemeinsam mit der Regierung von Saudi-Arabien und mit Vertretern terroristischer Organisationen gegen Assad. Für einen Platz am Verhandlungstisch gaben diese Kräfte alle drei „Nein“ auf.

Die Riad-Opposition blockierte und verschleppte die Verhandlungen in Genf von Beginn an. Schließlich erklärte sie – vorgeblich aus Protest gegen Angriffe der syrischen Armee – ihren Rückzug. Tatsächlich wurden Gespräche mit dem Sondergesandten der UN für Syrien, de Mistura, „inoffiziell“ weitergeführt, nicht zuletzt um zu verhindern, dass andere oppositionelle Gruppen den Platz der Riad-Opposition einnehmen.

Diese Obstruktionspolitik war endlich für einen Teil der politischen Opposition, für die Gruppe „Den syrischen Staat aufbauen!“, zu viel. Auf ihrer Facebook-Seite kündigte sie die Zusammenarbeit auf und erklärte, die Riad-Opposition arbeite nicht für die Interessen des syrischen Volkes, sondern für die Interessen regionaler Mächte.

Die aktuelle Offensive von Jaysh al-Islam, al-Nusra und anderen gegen Aleppo war die konsequente Fortsetzung des Rückzugs der Riad-Opposition von den Verhandlungen. Und wie in einem Spiel mit verteilten Rollen griff US-Außenminister Kerry die Vorlage auf: Am 3. Mai erklärte er, Assad solle sich hüten, den Waffenstillstand einhalten und den Übergangsprozess vorantreiben. Wenn nicht, müsste er mit Konsequenzen rechnen, einem Wiederaufflammen des Krieges und womöglich Schlimmerem. Noch ist es nicht soweit und so genügte buchstäblich ein Telefonanruf zwischen dem russischen und dem US-Militär, um einen Waffenstillstand in Kraft zu setzen.

Ein Waffenstillstand gilt nicht gegenüber al-Nusra, IS und allen Gruppen, die mit ihnen zusammenarbeiten – das verlangen die UN-Resolutionen zu Syrien. Die USA weigern sich aber nicht nur, Jaysh al-Islam oder Ahrar al-Scham als terroristische Gruppen zu bezeichnen. Sie weigern sich auch, sogenannte „gemäßigte Rebellen“ dazu zu drängen, sich von Jabhat al-Nusra und IS zu distanzieren, wie die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Zakharova am 6. Mai erklärte.

Solange das nicht geschieht, kann jeder Angriff Syriens auf terroristische Gruppen als Angriff auf angeblich gemäßigte Rebellen gewertet werden. Und umgekehrt kann durch die Obstruktionspolitik der Riad-Opposition jede Verhandlung beliebig verzögert werden.

Seit der Wiederaufnahme der Verhandlungen gab es Telefonate, Besuche und eine auffallende Zusammenarbeit zwischen dem russischen Außenminister und seinem westlichen „Partner“ Kerry. Diese Zusammenarbeit findet ihre Grenze in der Frage, wo Syrien zukünftig im Macht- und Interessengeflecht der Region eingeordnet wird. „Assad“ ist dafür nur ein Symbol.

Am 3. Mai wiederholte Außenminister Kerry: Die USA werden keine Übergangslösung dulden, die Assad einschließt. An den Zielen der USA hat sich seit Beginn des Krieges gegen Syrien nichts geändert. Sie nutzen die Zeit, ihre Position im Norden Syriens weiter auszubauen und schicken 250 weitere Soldaten.

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"Ein bisschen Waffenruhe", UZ vom 13. Mai 2016



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