Nachdem die griechische Regierung den Bedingungen der Gläubiger zugestimmt und das neue Memorandum akzeptiert hatte, musste sie dieser Entscheidung in ihren Erklärungen auch eine gute Seite abgewinnen. Alexis Tsipras erklärte, es sei seiner Regierung „in diesem erbitterten Kampf gelungen“, sich mit den europäischen „Partnern“ auf „die Umstrukturierung der Schulden“ zu einigen. Der Euro-Gipfel vom 12. Juli hatte der griechischen Regierung zumindest versprochen, „erforderlichenfalls mögliche zusätzliche Maßnahmen zu erwägen“, um die griechischen Staatsschulden umzustrukturieren, wie es in der Erklärung der Regierungschefs heißt. Insbesondere die Bundesregierung hatte jedes weitere Zugeständnis, das auch nur den Eindruck eines Schuldennachlasses erwecken könnte und über solche vagen Versprechungen hinausgeht, blockiert.
Nun, während die Parteien der Großen Koalition über das neue „Hilfsprogramm“ streiten, fordert der Internationale Währungsfonds (IWF) aber genau das. Er werde sich nur dann an weiteren Krediten für Griechenland beteiligen, wenn gleichzeitig ein neuer Umgang mit den Schulden gefunden werde. Der verbreitete Eindruck: Dem irrationalen neoliberalen Hardliner Schäuble, der mit dem Grexit drohte und einen Schuldenschnitt ablehnt, stehe der realistische IWF gegenüber.
Tatsächlich hat der IWF in den letzten Wochen gesagt, was jeder weiß: Die griechischen Staatsschulden sind nicht tragfähig – also: Griechenland wird sie nicht zurückzahlen können. Nötig seien, so der IWF in einem Update zu seiner Schuldenanalyse von Mitte Juli, Maßnahmen, „die weit über das hinausgehen, was Europa bisher in Erwägung zu ziehen bereit war.“ Der IWF schlägt vor, die Fälligkeit aller Kredite um 30 Jahre zu verschieben oder einen direkten, weitreichenden Schuldenschnitt durchzuführen – so könnte die „Umstrukturierung“ aussehen.
Einig waren sich IWF und Bundesregierung natürlich immer darüber, dass die breite Bevölkerung in Griechenland mit weiterer Verelendung für die Krise des Kapitalismus und die daraus entstandenen Staatsschulden bezahlen soll. In den Verhandlungen zwischen griechischer Regierung und ihren Gläubigern war es gerade der IWF, der besonders scharf auf der Anhebung der Mehrwertsteuer und der Kürzung der Renten bestanden hatte – unter anderem deshalb wollen Merkel und Schäuble, dass sich der IWF auch an dem neuen „Hilfsprogramm“ beteiligt.
Uneinig sind sie sich darüber, wie, mit welchen Mitteln und auf welche Weise die Politik der Verelendung weiter durchgesetzt werden soll: Der IWF setzt darauf, die Schulden Griechenlands tragfähig zu machen und mit den „Reformen“ den Kreislauf der Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. In dem Streit geht es darum, wie die Krise des Kapitalismus reguliert werden kann, auf welche Weise die Ausbeutung möglichst günstig verwaltet werden kann und welche Kapitalgruppen bei der Jagd nach maximalen Profiten einen kleinen Vorsprung erhalten. In den Konflikten zwischen IWF und Bundesregierung und auch zwischen Deutschland und Frankreich oder zwischen Bundeskanzlerin und Abweichlern in der Unionsfraktion wird ausgehandelt, auf welchen gemeinsamen Weg sich die unterschiedlichen Fraktionen des Kapitals einigen können. Die griechische Regierung hat darauf gesetzt, dass diese Widersprüche ihr erlauben, im Spiel der Großen einen kleinen Vorteil zu gewinnen. Vielleicht bringt ihr das neben dem weiteren Ausbluten der Menschen auch eine Art Schuldenschnitt ein.
Die deutsche Regierung und die maßgeblichen Kreise der größten deutschen Unternehmen setzen dagegen darauf, den riesigen Berg der Schulden auch weiterhin zu benutzen, um unter dem Schlagwort der „Haushaltsdisziplin“ Einfluss auf die Politik anderer Länder zu nehmen und um die Währungsunion auch weiterhin als Spielfeld zu erhalten, auf dem deutsche Unternehmen ihre schwächeren Konkurrenten ins Abseits drängen können – ganz egal, ob die griechischen Schulden tragfähig sind oder nicht.