Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist relativ niedrig, und es zeigen sich die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Ökonomie in einer solchen Situation: entweder Nachgeben der Unternehmer oder gesteigerte Streiktätigkeit.
Dass Ersteres sich von den diesjährigen Abschlüssen in der Chemie- und in der Metallbranche sagen lasse, werden manche bestreiten. Der Verteilungsspielraum sei nicht genügend ausgeschöpft. Aber bei schwächerer Konjunkturlage wäre noch niedriger abgeschlossen worden.
Erhöhte Streikaktivität beobachten wir bei der Post, bei Amazon, bei den Lokführern und in den Kindertagesstätten. In drei dieser vier Fälle handelt es sich im Kern um Abwehrkämpfe. Durch Outsourcing will die Deutsche Post AG die Kampffähigkeit der Belegschaften schwächen. Amazon präsentiert sich als übermächtiger Konzern, der seine Beschäftigten am liebsten tariflos halten oder, wo das nicht geht, ganz unten einstufen möchte. Im Hintergrund lauert die Drohung, bald imstande zu sein, viele Arbeitsgänge in diesem Bereich vollautomatisieren zu können. Die Bahn AG spekuliert in ihrer Auseinandersetzung mit der Gewerkschaft Deutscher Lokführer auf das so genannte Tarifeinheitsgesetz.
Einen anderen Charakter hat die Auseinandersetzung zwischen GEW sowie ver.di einerseits und den kommunalen Arbeitgebern um die Arbeits- und Entgeltbedingungen in den Kindertagesstätten andererseits. Hier geht es nicht in erster Linie um Lohn- und Gehaltserhöhung, sondern um eine höhere Einstufung der Arbeit, die in den Kitas geleistet wird (wenngleich in deren Folge auch die Einkommen der dort Beschäftigten steigen müssen). Damit rückt der Reproduktionssektor in das Zentrum eines Tarifkampfs. Da werden keine Güter und da wird kein Mehrwert erzeugt, aber es wird an den Voraussetzungen und am Ziel allen Wirtschaftens gearbeitet: an lebenden Menschen, ohne die keine Produktion möglich und sinnvoll ist. Auch an der Bewertung von Kranken- und Altenpflege zeigt sich, wie human eine Gesellschaft ist (oder eben auch nicht ist).
Tarifgegner der Gewerkschaften sind beim Kitastreik die Kommunen. Sie sind bekanntlich finanziell in der Klemme, insbesondere seit der Schuldenbremse. In der Flüchtlingsfrage spüren hier kommunale Mandatsträger(innen) ebenso wie die Kita-Beschäftigten, dass eine grundlegende Wende in der Steuerpolitik notwendig ist. Dies gibt diesem Streik eine zusätzliche Bedeutung.