Am 3. Dezember starb Rolf Berthold im Alter von 80 Jahren. Er war der letzte Botschafter der DDR in der Volksrepublik China. Während seiner Amtszeit von 1982 bis 1990 verbesserten sich die Beziehungen zwischen der VR und der DDR. Die DDR setzte in dieser Zeit eigene Akzente, die sich in Einzelfragen von den diplomatischen Bemühungen der Sowjetunion unterschieden.
Nach 1990 warb Berthold dafür, sich mit den Positionen der KP Chinas auseinanderzusetzen, anstatt von außen über sie zu urteilen. Dem diente auch die Veröffentlichung seines Buches „Chinas Weg“, das 2009 beim Verlag Wiljo Heinen erschien. Es enthält Übersetzungen von Parteidokumenten und Artikeln, die die Position der KP Chinas darlegen. Wir veröffentlichen an dieser Stelle einleitende Bemerkungen Bertholds aus „Chinas Weg“.
Zumeist findet man in den zahlreichen Publikationen über China Eindrücke, Meinungen und Reflexionen der Beobachter von außen. Darin widerspiegeln sich insbesondere die persönlichen und politischen Positionen der tatsächlichen oder vermeintlichen Chinakenner.
Der Herausgeber dieses Bandes verschweigt nicht seine eigenen politischen Positionen, aber er hält es für erforderlich, die Positionen der KP Chinas, der führenden Kraft der Entwicklungsprozesse in der VR China, deutlich zu machen. Dies betrifft insbesondere die Darstellung der Geschichte der chinesischen Revolution und der gesellschaftlichen Entwicklung der VR China.
Die hier wiedergegebene offizielle Sicht der KP Chinas von ihrer Geschichte legt Zeugnis ab von dem komplizierten Prozess der Entwicklung der Partei sowie ihrer Strategie und Taktik, des revolutionären Kampfes des Volkes unter schwierigen inneren und äußeren Bedingungen. Die KP Chinas hat bewiesen, dass prinzipienfeste marxistisch-leninistische Positionen und konsequente Beachtung der konkreten nationalen Bedingungen Voraussetzung für einen erfolgreichen Weg der Revolution sind. Immer dann, wenn das Eine oder das Andere nicht beachtet wurde, führte das zu ernsten Niederlagen. Es ist das Verdienst der KP Chinas, diese Auseinandersetzungen letztendlich mit aller Konsequenz geführt zu haben. Nur so war es möglich, die heute für alle sichtbaren Ergebnisse zu erzielen.
Die direkte und offene Darstellung der Geschichte der KP Chinas in dem in wesentlichen Teilen wiedergegebenen Material des Instituts für Parteigeschichte beim Zentralkomitee der KP Chinas zeigt die komplizierten Auseinandersetzungen innerhalb der Partei und besonders in der Kommunistischen Internationale. Darin sind auch Fragen enthalten, die die Problematik der Ursachen der Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und den europäischen sozialistischen Ländern berühren, auch wenn sie im Konkreten die Situation des damals halbfeudalen, halbkolonialen China und den sozialistischen Weg dieses vormals und teilweise noch heute rückständigen und armen Landes betreffen.
Die KP Chinas hat die Ursachen der konterrevolutionären Prozesse in Europa sehr gründlich studiert und eigene Schlussfolgerungen daraus gezogen. Das wird in den politischen Strategien der KP Chinas Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts deutlich. (…)
Die erfolgreiche Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der VR China sollte nicht nur, aber nicht zuletzt angesichts der gegenwärtigen Systemkrise des Kapitalismus Anlass sein, die Entwicklung in der VR China und die Erfahrungen der KP Chinas zu studieren. (…)
Es ist das Verdienst der KP Chinas, die eigenen Fehler erkannt und sich daraus herausgewunden, sich den Angriffen des Gegners gestellt und ihnen standgehalten zu haben sowie grundsätzliche Lehren aus der Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und den anderen ehemals sozialistischen Ländern Europas gezogen zu haben.
Heute ist die VR China ein Staat mit großer internationaler Autorität, ein bedeutendes Entwicklungsland mit dem mehr und mehr anerkannten Anspruch, ein alternatives Entwicklungsmodell zu dem heutigen krisengeschüttelten Kapitalismus zu verkörpern. Der Sozialismus chinesischer Prägung wird mehr und mehr zu einer allgemein anerkannten Realität. Sozialismus ist nicht totgesagte Vergangenheit, sondern wird zunehmend als Ausweg aus der aktuellen Krise des Spätkapitalismus begriffen.
Die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse verlaufen in der heutigen Zeit anders als oft angenommen. Sozialismus existiert und entwickelt sich trotz seiner Zerstörung in der UdSSR und den anderen ehemals sozialistischen Ländern Europas. Dafür steht vor allem die erfolgreiche sozialistische Entwicklung Chinas, die zunehmend beispielgebend für gesellschaftliche Prozesse in den Entwicklungsländern wirkt. Dafür steht das heroische Vietnam und das dem Sozialismus entgegenstrebende Lateinamerika mit dem mutigen, wegbereitenden Kuba Fidel Castros.
Ende Dezember 1978 hat die 3. Tagung des XI. Zentralkomitees der KP Chinas einen grundsätzlichen Beschluss über den weiteren Weg der gesellschaftlichen Entwicklung in China gefasst. Die Formel „Reformen und Öffnung nach außen“ beinhaltet vor allem Konzentration auf die Entwicklung der sozialistischen Produktivkräfte, allseitige Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft unter strikter Beachtung der konkreten Lage in China, Festhalten am sozialistischen Weg, am sozialistischen Staat, der führenden Rolle der Kommunistischen Partei sowie am Marxismus-Leninismus, den Mao-Zedong-Ideen und der Theorie Deng Xiaopings als strategische Leitideologie. Architekt dieser Politik ist Deng Xiaoping, der den Weg des Sozialismus chinesischer Prägung öffnete. Nach der Jahrhundertwende wurde diese Strategie konsequent fortgesetzt, präzisiert und weiter entwickelt. Auf dem XVII. Parteitag der KP Chinas im Oktober 2007 wurde der Sozialismus chinesischer Prägung als wissenschaftlicher Sozialismus unter strikter Beachtung der konkreten Lage Chinas charakterisiert.
Die im Zyklus von fünf Jahren stattfindenden Tagungen des höchsten Organs der KP Chinas sind keine sensationsgefüllten Veranstaltungen, sondern Beratungen zu Grundfragen der Entwicklung Chinas auf dem sozialistischen Weg. Die Entschlossenheit, weiter diesen Weg zu gehen, hat auch dieser Parteitag mit großem Nachdruck demonstriert. Die chinesische Partei weiß sehr wohl um ihre große Verantwortung für die Zukunft des Landes und für das Schicksal des Sozialismus generell. Auf dem Parteitag wurden die von allen objektiven internationalen Beobachtern und sehr konkret vom chinesischen Volk empfundenen großen Fortschritte des Landes gewürdigt und auch die Probleme und zu lösenden Fragen mit großer Offenheit angesprochen sowie Lösungswege aufgezeigt, wenn auch für viele Dinge keine Patentlösungen angeboten werden konnten. Der von der VR China beschrittene Weg des Sozialismus ist unter den gegebenen internationalen Bedingungen, unter den Bedingungen der zwar geringer gewordenen aber immer noch deutlich sichtbaren Rückständigkeit Chinas außerordentlich kompliziert und auch nicht ohne Risiken. (…)
Das chinesische Volk ist dabei, aus der Lage eines armen Volkes herauszutreten. Es wurde die Aufgabe gestellt, bis zum Jahre 2020 eine Vervierfachung des Bruttoinlandsproduktes im Vergleich zum Jahr 2000 zu erreichen. Die Voraussetzungen dafür sind durchaus gegeben. In diesem Zeitraum wird die Industrialisierung im Wesentlichen verwirklicht sein, das soziale Sicherungssystem wird relativ vollständig und die Vollbeschäftigung im Prinzip erreicht sein. Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts soll das Modernisierungsprogramm im Wesentlichen verwirklicht und China zu einem reichen, starken, demokratischen und zivilisierten sozialistischen Staat aufgebaut werden. (…)
Die KP Chinas vertritt die Erfordernisse der Entwicklung fortschrittlicher Produktivkräfte, die fortschrittliche Kultur und die grundlegenden Interessen der überwiegenden Mehrheit des chinesischen Volkes. Damit werden die Erfahrungen und Lehren aus der Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und in den anderen europäischen ehemals sozialistischen Ländern sowie aus der inneren Krise in China Ende der 1980er Jahre gezogen. Es wird die Position vertreten, an den Grundprinzipien des Marxismus festzuhalten, aber gleichzeitig dogmatisches und falsches Verständnis des Marxismus zu überwinden, sowohl die revolutionären Traditionen fortzuführen, als auch Neues zu schaffen. Nachdrücklich wird die Forderung nach schöpferischem Handeln gestellt. Die heutige Generation bringt Neues im Vergleich zur vorangegangenen hervor, die nächste Generation wird wiederum Neues schaffen. (…)
Im Zuge der Reformen in China sind neue gesellschaftliche Schichten entstanden, wie Personal in den Unternehmen mit ausländischem Kapital, Freiberufler, selbstständige Unternehmer. Auch sie leisten einen Beitrag zum Aufbau des Sozialismus. Ihnen muss ein gebührender Platz in der Gesellschaft eingeräumt werden. In der veränderten Fassung des Statutes der Partei heißt es: „Jeder chinesische Arbeiter, Bauer, Angehörige der bewaffneten Kräfte … oder Angehörige anderer sozialer Schichten …, der das Parteiprogramm und das Statut anerkennt … bereit ist, die Parteibeschlüsse zu erfüllen … kann um Aufnahme in die KP Chinas bitten.“
Eine solche Regelung schafft Bedingungen für einen gesellschaftlichen Zusammenschluss in der gegenwärtigen Entwicklungsphase, die durch die stabile politische Position der Partei und gleichzeitig die Anfangsphase des Sozialismus mit vielen Elementen vorsozialistischer Verhältnisse gekennzeichnet ist.