Zu Joachim Jahns’ Buch „Anmerkungen zu Reinhard Heydrich“

Ein Attentat, ein gefundener Bericht und die Gegenwart

Der Verleger und Pädagoge Joachim Jahns, der nach dem Vorbild Johannes Schlafs, der seine Geburtsstadt Querfurt als „Dingsda“ bezeichnete, den Dingsda-Verlag in Querfurt gründete, hat mehrere aufregende, historische Einsichten vermittelnde Bücher geschrieben. Sie lassen sich als investigativ bezeichnen. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er dabei NS-Verbrechen, aber auch der Zeit nach 1989, in der sich Bürgerrechtler als willfährige Werkzeuge für die Vernichtung der sozialistischen Intelligenz und der Künstler hergaben (vgl. „Die Kirschs oder Die Sicht der Dinge“, 2016). Sein Ziel war, unabhängig vom Zeitabschnitt Vergessen aufzuhalten und Heroisierungen zu verhindern, aber auch Verbrechen aufzudecken. Aufsehen erregte er dabei mit seinem Buch „Der Warschauer Ghettokönig“, in dem er nicht nur falsche oder verschwiegene Details der Nazi-Verbrechen korrigierte oder enthüllte, sondern Zusammenhänge, verleugnete Biografien und verdrängte Beweise bekannt machte. Bereits in diesem Buch wurden Reinhard Heydrich und Ludwig Hahn, „der mächtige Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Warschau“ und zudem „ein typischer Heydrich-Mann“ (Jahns), genannt. Beide sind Zentralgestalten in dem neuen Buch.

Der Verfasser weist Mystifizierungen der Verbrechen zurück. So will er die Person Heydrich nicht erklären mit Nietzsches „blonder Bestie“ und auch nicht mit dem Gesicht des Bösen, frei nach Hannah Arendts „Banalität des Bösen“. Vielmehr bietet Jahns historisch nüchterne Analysen der NS-Verbrechen, die bewusst politisch eingesetzt wurden von einem skrupellosen Nationalsozialisten als Ausweis seiner bürgerlichen Existenz. Damit wird deutlich: Eine Heydrich-Biografie ist es nicht, obwohl der Name im Titel genannt wird; vielmehr ist der Begriff „Anmerkungen“, im Kontext einer Biografie, zutreffend.

Dazu wurde eine Verdrängung aufgearbeitet. Der SS-Obersturmführer Heinz Pannwitz, er gehörte „ohne Zweifel zu Reinhard Heydrichs Elite“ (Jahns), bekam als Leiter der „Sonderkommission Attentat H.“ den Auftrag, die Attentäter ausfindig zu machen und festzunehmen; danach schrieb er seinen „Schlussbericht“. Er kam in sowjetische Gefangenschaft, kehrte 1955 nach Deutschland zurück und arbeitete seit 1956 beim Bundesnachrichtendienst (BND), womit Kontinuität hergestellt wurde. Sein Bericht wurde vor fünfzig Jahren, 1972, unter einem Dachsparren der Dorfkirche in Nimritz bei Pößneck (Thüringen) zufällig gefunden. Er wurde 1984 gemeinsam mit anderen Materialien in Australien und der BRD sowie 2012 von einem Prager Historiker in einer dreibändigen Dokumentation veröffentlicht, fand aber erstaunlich wenig Aufmerksamkeit. Das war der Anlass für Jahns zu dem aufwendigen Vorhaben, den Bericht aus dem Jahre 1942 „erneut zu veröffentlichen“ und ihn mit weiteren Kapiteln, eben den im Titel genannten „Anmerkungen“, zu versehen. Jahns erkannte die Brisanz des Berichtes – der Bericht habe nicht nur einen Ablauf des Attentats dokumentiert, sondern auch, „wie die Deutschen als Besatzer und Unterdrücker dachten und handelten“ – und schuf so das Zentrum für sein enthüllendes Buch.
Sein Anliegen ist, der Behauptung von der Bedeutungslosigkeit des Pannwitz-Berichtes entgegenzutreten, die von unterschiedlichen politischen Kräften – auch in der DDR – angemerkt wurde, Einschätzungen des Attentats – es sei inszeniert worden, „um die breite patriotische Widerstandsbewegung im Protektorat Böhmen und Mähren zu zerschlagen“ – als „vollkommen absurd“ nachzuweisen und zu Attentat und Heydrich ein umfangreiches Panorama zu entrollen. Dabei wird beschrieben, wie nicht nur der SS-Obersturmführer Pannwitz nahtlos im BND weiterarbeitete, sondern sich auch andere ähnliche Lebensläufe problemlos nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der BRD politisch fortsetzten.

Jahns bestätigte bekannte Feststellungen im Zusammenhang mit Verbrechen des Nationalsozialismus: 1980 erschien Alfred Anderschs berühmte Erzählung „Der Vater eines Mörders“; ein Alter Ego des Autors besucht das Gymnasium, dessen Direktor Himmler heißt und der „Vater des Mörders“ ist, des Massenmörders Himmler, dessen engster Mitarbeiter Heydrich war. Direktor eines Gymnasiums – humanistische Bildung sollte unterstellt werden, aber: „Schützt Humanismus denn vor gar nichts?“ fragt Andersch im Nachwort zu seiner Erzählung geradezu verzweifelt. Was Jahns über Heydrich mitteilt, bestätigt das nachdrücklich: „Reinhard Heydrich war … eine Künstlernatur“, hochbegabt dazu und aus einer Künstlerfamilie stammend. Er beherrschte mehrere Fremdsprachen und war ein „virtuoser Geigenspieler, der auch das Cello und Klavier meisterlich zu spielen verstand“. Er spielte, unter anderem mit der Frau des Chefs der deutschen Militärspionage Canaris, Cello in einem Quartett, das öffentlich auftrat, und war dabei „weich und sanft“. Übrigens galt Gleiches für Heydrich als Sportler, wobei er dort herausragte und als „Einzelkämpfer“ besonders auffiel. Aber dahinter drängte in ihm ein Vernichtungsdrang und wurde bestimmend; Heydrich stieg zur „einflussreichsten Führungsgestalt“ in der SS neben Heinrich Himmler auf, ehe er am 4. Juni 1942 an den Folgen des Attentats vom 27. Mai starb. Am 9. Juni wurde aus Rache das Dorf Lidice dem Erdboden gleichgemacht.

Den Bereichen Sport und Kunst widmet Jahns in seinem Buch die „Anmerkungen“: dem SS-Mitglied und Sportkameraden Dr. Dr. Gerhard Stabenow, „Heydrichs Fechtlehrer, Kamerad und Freund“, der engagierte politische Journalist, war SS- sowie SD-Mann; er hatte bis 1966 hohe Funktionen in bundesdeutschen Sportverbänden inne. Ähnliche Aufmerksamkeit galt dem Juristen Dr. Hahn, SS-Obersturmbannführer und Oberregierungsrat. Hier beziehen sich Jahns Bücher zum Warschauer Ghetto und zu Heydrich aufeinander und ergänzen sich.

Verfolgt werden das Begräbnis Heydrichs und Ehrungen nach seinem Tod, aber auch der Anspruch seiner Witwe in der BRD auf „einen Versorgungsanspruch als Kriegsopfer“, da den auch ihr Mann gehabt hätte. Obwohl sie in einem Gerichtsverfahren in der Tschechoslowakei 1948 wegen Mordes in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war, lieferte die britische Besatzungsmacht sie nicht aus, und 1949 wurde sie vor dem Entnazifizierungshauptausschuss in Holstein „entlastet“.

Ein besonderes Augenmerk richtet Jahns auf die Beziehung geschichtlicher NS-Verbrecher zu herausragenden Gestalten des deutschen Geistes. So geht er einmal der Thematisierung der Gestalt Heydrichs im Schaffen Heinrich Manns („Lidice“, 1943) und Brechts (gemeinsam mit John Wexley und Fritz Lang „Hangmen Also Die!“, 1943) nach. Im Falle Heydrich ging Jahns der Beziehung zu Thomas Mann nach, da Heydrich „offensichtlich die treibende Kraft (war), die befahl, gegen Thomas Mann derart rigoros vorzugehen“ (Jahns), weil er in diesem einen „Gegner der nationalen Bewegung und Anhänger der marxistischen Idee“ (Heydrich) sah. Es entwickelte sich ein „Duell im Nebel“ zwischen Thomas Mann und Heydrich, wobei Mann den Gegner nicht nur namentlich nicht kannte und unter dieser Situation schwer litt. Aber er behielt das letzte Wort: Als der deutlich jüngere Heydrich nach dem Attentat starb, sprach Thomas Mann im Juni 1942 im Londoner Rundfunk seinen „Nachruf auf einen Henker“ und nannte Heydrich „Bluthund“ und „Mordknecht“.

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Joachim Jahns
Mein lieber Kamerad Heydrich. Anmerkungen zu Reinhard Heydrich.
Querfurt: Dingsda-Verlag 2021, 288 S., 34,99 Euro

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"Ein Attentat, ein gefundener Bericht und die Gegenwart", UZ vom 26. August 2022



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