Vor gut zwei Monaten, am 16. September, gab es ein Wetterleuchten am US-Geldmarkt. Die Zinsen für die sogenannten „Fed-Funds“ schossen kräftig nach oben. Am Geldmarkt kaufen und verkaufen die Banken gegeneinander kurzfristigen Kredit (von einem Tag Laufzeit bis zu zwei Jahren), je nachdem, ob sie als Resultat der über sie geleiteten Zahlungsströme Bedarf oder einen Überschuss an Geld haben. Kredit bester Qualität sind die kurzfristigen Schuldpapiere, ebenjene Fed-Funds der US-Notenbank Fed, die als Schöpferin des Dollars per Definition nicht pleite gehen kann und den Zins für diese Papiere im angekündigten Korridor hält – dem „Leitzins“ von aktuell 1,5 bis 1,75 Prozent. Normalerweise findet dieser Geldhandel mit oft riesigen Beträgen geräusch- und problemlos statt. Dass es an diesem Tag und den folgenden zunächst nicht gelang, zeigt, dass zumindest einige Banken nicht mehr bereit waren, anderen kurzfristigen Kredit zu geben. Sie misstrauten einander, ganz so wie an jenem 9. August 2007, als die große Finanzkrise einsetzte. Ähnlich wie im August vor zwölf Jahren spendete die US-Notenbank Extraliquidität von einigen 70 Mrd. Dollar und wiederholte den Vorgang täglich.
Fed-Chairman Jerome Powell hat mittlerweile angekündigt, dass die Extraliquidität von der Notenbank zur Dauereinrichtung werden wird. Zusätzlich hat die Fed am 14. November weitere Liquiditätsspenden von jeweils mehreren Zehnmilliarden Dollar und Extrakredit über den Jahreswechsel und Bilanztermin hinweg angekündigt. Powell behauptet, dass diese Maßnahmen nicht dem Zweck dienen, die Kreditvergabe und die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen. Vielmehr brauche der Finanzmarkt die Zusatzmilliarden. Wozu? Man kann nur schlussfolgern, um dem drohenden Crash zu entkommen. Das Finanzkapital schwimmt zwar in Liquidität. Zugleich herrscht die Angst vor jenem Moment, wenn das viele Geld plötzlich verschwindet.
Der IWF (Internationale Währungsfonds) berichtete schon im Frühjahr in warnendem Ton, dass die Unternehmen in vielen kapitalistischen Ländern, von den USA über Westeuropa bis China und Japan, ihre Verschuldung in den letzten dreizehn Jahren dramatisch erhöht haben. Wie das? Haben nicht die Unternehmen – zumindest in Ländern wie USA, Deutschland und China – seit 2013 satte Gewinne gemacht und andererseits – besonders in Deutschland – die hohen Überschüsse nur zögernd investiert? Wo ist das überschüssige Geld jetzt? Es liegt gewissermaßen auf der hohen Kante. Es ist zwar investiert, aber im Finanzsektor untergebracht oder, im Alltagsdeutsch gesprochen, gespart. Der IWF hatte von der Bruttoverschuldung gesprochen. Netto sind die Unternehmen weniger verschuldet als früher. Das heißt, sie schwimmen in Liquidität, sind aber zugleich hoch verschuldet. Die Unternehmen bringen ihre Überschussliquidität als kurzfristige Einlage oder längerfristiges Darlehen bei den Banken (und Schattenbanken) unter, sie kaufen Geldmarkt- und andere Fondsanteile sowie noch stärker als früher eigene Aktien zurück. Die Banken, Schattenbanken und Fonds ihrerseits kaufen Aktien und geben das Geld weiter als Kredit an traditionelle Unternehmen, Häuslebauer und Staatsinstitutionen sowie immer mehr an spekulativ tätige Hedge- und Private Equity Fonds.
Der IWF warnt, dass im Fall eines konjunkturellen Abschwungs Unternehmenskredite im Wert von 19 Billionen (19000 Mrd.) Dollar gefährdet seien, was 40 Prozent der Gesamtschulden der acht größten Industrienationen entspreche. Natürlich werden Kredite dieser Summe nicht auf einen Schlag faul. Die Angst geht aber um, dass ein, zwei oder drei größere Schuldner ihre Kredite nicht mehr bedienen können, dass daraufhin die Kreditgeber der betroffenen Branche ihr Geld schnell zurückfordern und damit weitere Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten bringen. Um ihre Schulden zu begleichen, fordern die klammen Unternehmen ihrerseits das von ihnen bei Banken und Fonds deponierte Geld zurück. So bringt, zusätzlich zu den faul gewordenen Kreditsummen, der Rückfluss der Forderungen einige Banken in Schwierigkeiten. Und die vorher üppige Liquidität ist plötzlich weg.