Parteiprominenz will Palästina-Aktivisten aus der „Linken“ ausschließen. Dahinter steckt eine politische Agenda

„Ein Angriff auf die gesamte Parteilinke“

Der ehemalige Vorsitzende der Partei „Die Linke“, Martin Schirdewan, und das frühere Parteivorstandsmitglied Katina Schubert wollen den Berliner Palästina-Aktivisten Ramsis Kilani aus der Linkspartei werfen lassen. Um den Palästina-solidarischen Flügel der „Linken“ zu bekämpfen, scheint jedes Mittel recht. Kilani muss sich immer wieder gegen Fälschung von Zitaten, Veröffentlichung von Privatgesprächen und substanzlose Antisemitismusvorwürfe wehren. Mit dem Ausschlussverfahren gegen ihn könnte nun auch der Streit zwischen dem rechten und dem linken Flügel der Partei eskalieren. Ramsis Kilani engagiert sich seit vielen Jahren für die Palästina-solidarische Bewegung in Deutschland. Im Jahr 2014 ermordete die israelische Armee bei einem Bombenangriff in Gaza insgesamt elf Mitglieder seiner Familie. Zu den Opfern gehörten sein Vater, dessen Frau und fünf Halbgeschwister von Kilani. Die Täter wurden für dieses Kriegsverbrechen nie zur Rechenschaft gezogen. UZ sprach mit Ramsis Kilani über das laufende Ausschlussverfahren, den Umgang mit Antisemitismusvorwürfen und die Strategie des rechten Flügels der Linkspartei.

UZ: Vor zwei Wochen wurde durch Berichte in der bürgerlichen Presse öffentlich bekannt, dass in deiner Partei „Die Linke“ ein Ausschlussverfahren gegen dich eröffnet wurde. Wann hast du davon erfahren und wie wird der Ausschlussantrag begründet?

Ramsis Kilani: Ich wurde Ende Oktober per Mail und per Brief informiert. Die Presse hat davon „aus Parteikreisen“ erfahren, wie man etwa im „Tagesspiegel“ nachlesen konnte. Es ist schon länger bekannt, dass der rechte Parteiflügel gute Kontakte zum „Tagesspiegel“ und auch zu verschiedenen Springer-Medien hat und immer wieder Informationen durchsticht, wenn ihm das politisch genehm ist.

Mir wird vorgeworfen, dass ich öffentlich gegen die Grundsätze der Partei verstoßen hätte. Dabei hatte ich nie eine Funktion in der „Linken“ und habe mir auch nie angemaßt, für die Partei zu sprechen. Sie sagen, dass ich mich nicht öffentlich zum Existenzrecht Israels bekennen würde, sondern im Gegenteil von einer kolonialen Frage spreche. Dazu kommen verschiedene andere Behauptungen und Unterstellungen. Begründet wird das zumeist mit selektiven Zitaten von mir, die oft aus bürgerlichen Medien übernommen werden. Diese Zitate werden aus dem Kontext gerissen oder teilweise auch ganz gefälscht, um mich zu diskreditieren.

UZ: Warum geht die hohe Parteiprominenz ausgerechnet jetzt gegen dich vor?

Ramsis Kilani: Ich denke, der Versuch, mich jetzt auszuschließen, dient dem Wahlkampf. Das eigentliche Ziel ist es, Antikriegspositionen innerhalb der Partei „Die Linke“ anzugreifen. Da geht es natürlich um Palästina, da geht es aber auch um die Ukraine und die NATO. Es ist ja kein Zufall, dass der Antrag von Katina Schubert gestellt wurde, die schon mehrfach öffentlich Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert hat.

Man muss das Verfahren gegen mich im Gesamtkontext sehen. Antiimperialistische und antimilitaristische Positionen stehen in Deutschland gerade massiv unter Beschuss. Zugleich will der rechte Flügel eine Regierungsperspektive für „Die Linke“ zusammen mit den Grünen und der SPD entwickeln. Die dabei störenden Kräfte innerhalb der Linkspartei sollen an den Rand gedrängt und isoliert werden.

UZ: Du stehst auch immer wieder im Fokus der bürgerlichen Presse. Die gefälschten und aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate, von denen du gesprochen hast, wurden oft genutzt, um dir öffentlich Antisemitismus zu unterstellen. Wie gehst du damit um?

Ramsis Kilani: Ich bin schon seit vielen Jahren eine führende Figur in der Palästina-Bewegung. Das wissen die Medien natürlich auch und deswegen versuchen sie, mich und die ganze Bewegung mit Dreck zu bewerfen.

Gegen einige Behauptungen bin ich rechtlich vorgegangen. Sowohl die „Neue Zürcher Zeitung“ als auch der „Tagesspiegel“ sind daraufhin schon zurückgerudert und mussten Artikel ändern, in denen ich bewusst falsch zitiert worden war. Manchmal wurden Teile meiner Aussage einfach weggelassen. Auch aus meinen Privatchats wurde schon zitiert, also aus Texten, die nie zur Veröffentlichung gedacht waren – ohne mein Wissen oder Einverständnis. Das ist illegal, aber mit diesen Mitteln wird gegen mich vorgegangen.

Ich habe selbst viele Richtigstellungen veröffentlicht und den vollen Kontext der Zitate klargestellt. Mal ein Beispiel: Ich habe mit jemandem diskutiert, der behauptet hat, dass es beim palästinensischen Befreiungskampf nur um den Mord an Israelis ginge. Ich habe ihn zitiert und ihm geantwortet, dass es mehr brauche als einen „Mord an Israelis“, nämlich internationale Unterstützung für einen antikolonialen Befreiungskampf. Es muss doch um eine viel grundsätzlichere Bewegung gegen das System gehen anstatt um irgendwelche individuellen Tötungsakte. Das wurde völlig verdreht. In der Presse wurden die Anführungszeichen einfach weggelassen, so dass gar nicht deutlich war, dass ich an dieser Stelle meinen Gesprächspartner zitiert habe. Da stand dann nur noch, ich hätte geschrieben: „Es wird mehr als einen Mord an Israelis brauchen.“

Gegen solche Behauptungen habe ich immer veröffentlicht. Aber natürlich bin ich als einzelner Aktivist oder Privatperson nicht in der gleichen Machtposition wie die bürgerlichen Medien. Mir ist klar, dass ich kaum dagegen ankomme. Aber mir ist wichtig, dass ich mich davon nicht unterkriegen lasse. Ich weiß genau, dass hinter diesen Verdrehungen politische Absichten stecken.

UZ: Nicht nur in deinem Fall wird der Antisemitismusvorwurf instrumentalisiert, um die Solidaritätsbewegung mit Palästina zu diskreditieren. Ein neuer Höhepunkt dieses Vorgehens war vor Kurzem der Bundestagsbeschluss über die vermeintliche „Antisemitismusresolution“. Die Gruppe „Die Linke“ hat sich bei der Abstimmung enthalten. Siehst du einen Zusammenhang zwischen dem Ausschlussverfahren gegen dich und diesem Abstimmungsverhalten?

Ramsis Kilani: Ja, das hängt auf jeden Fall zusammen. Im Kern schafft es „Die Linke“ nicht mehr, sich polarisierend zu äußern. Die wollen nicht in einen grundsätzlichen Konflikt mit der Bundesregierung geraten. Die Antisemitismusresolution hat zwar keinen rechtlichen Charakter, auch weil sie einfach rechtswidrig ist. Aber sie wird zur Verschärfung der Repression missbraucht werden, wie es ja auch schon im Beschluss angekündigt ist. Da geht es um einen ganz fundamentalen Angriff auf die Palästina-Solidarität, aber auch auf demokratische Grundrechte, auf die Meinungsfreiheit, die Wissenschaftsfreiheit und so weiter. Und das weiß eigentlich auch jeder. Ich finde, es sagt alles über den Zustand dieser Partei aus, dass sich „Die Linke“ dazu nicht einmal positionieren kann.

Mit dem Kampf gegen Antisemitismus haben die Resolution und das Ausschlussverfahren gegen mich nichts zu tun. Es geht vielmehr um das, was die Rechten als Antisemitismus bezeichnen. Und damit meinen sie einfach die Solidarität mit Palästina und den Wunsch, dass Menschen dort gleichberechtigt leben dürfen – unabhängig davon, ob sie jüdisch oder palästinensisch sind.

Mir Antisemitismus vorzuwerfen ist auch besonders unehrlich, wenn man sich meine Historie anschaut. Seit über einem Jahrzehnt arbeite ich eng mit verschiedenen jüdischen Gruppen, mit jüdischen Genossinnen und Genossen zusammen. Ich habe mich auch immer gegen die Gleichsetzung von Israel, Zionismus und Judentum gestellt und lehne jede antisemitische Argumentation konfrontativ ab. Insofern findet man auch keine Aussagen von mir, die so etwas irgendwie belegen würden. Der Vorwurf ist einfach absurd.

Aber ich glaube auch: Viele schlucken das nicht mehr. Zumindest die, die sich schon ein bisschen damit beschäftigt haben, wie schnell dieser Antisemitismusvorwurf politisch instrumentalisierend rausgeschossen wird, können das kaum noch ernst nehmen.

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Schon auf dem Parteitag in Halle redete Katina Schubert ganz im Sinne der „Staatsräson“. Nun versucht sie, Kritiker aus der Partei zu drängen. (Foto: UZ)

UZ: Erfährst du denn auch Solidarität aus deiner Partei und von außerhalb?

Ramsis Kilani: Außerhalb der Partei sowieso. Die Bewegung ist stark präsent, hält trotz aller Repressionen weiter durch und steht hinter mir. Aber auch aus der Partei gibt es viel Solidarität. Einige Leute haben sogar gesagt, dass sie auch austreten wollen, wenn ich ausgeschlossen werden sollte. Auch der Bundesarbeitskreis Klassenkampf der Linksjugend Solid hat sehr früh ein Solidaritätsstatement veröffentlicht, das auch viel Resonanz gefunden hat. Ganze Kreisverbände haben sich hinter mich gestellt und ich denke, das fängt jetzt erst so richtig an. Das ist kein Angriff nur auf mich, sondern ein Angriff auf die gesamte Parteilinke. Und das wissen sie auch. Die Rechten wollten sich sozusagen das leichteste Opfer raussuchen mit einem Palästinenser, der tief verankert ist in der Palästina-Bewegung, die ja ohnehin schon sehr scharf angegriffen und isoliert wird. Aber wir werden das nicht einfach schlucken.

UZ: Mit Klaus Lederer und einigen anderen hat ein Teil dieses rechten Parteiflügels die Partei ja schon verlassen. Siehst du denn auch die Chance, dass das Verfahren gegen dich ein Anlass sein kann, um die inhaltliche Auseinandersetzung weiterzuführen und den linken Flügel noch ein bisschen enger zusammenrücken zu lassen?

Ramsis Kilani: Ich glaube, es wird nicht möglich sein, die Kräfteverhältnisse grundlegend zu ändern. Das Zentrum und die neue Führung der Partei paddeln weiter auf dem Kurs: Bloß nicht anecken! Und das ist eine Strategie für die Niederlage der Partei „Die Linke“. So wird sie nicht aus ihrer Krise kommen, sondern sich als linke Partei überflüssig machen. Ich glaube trotzdem, dass die Kampagne gegen meine Person dem linken Parteiflügel helfen kann, sich wieder politisch klarer zu werden. Dahinter steckt eine Auseinandersetzung, die für alle Linken – ob innerhalb oder außerhalb der Partei – wichtig ist.

Ich denke im Übrigen, dass der rechte Rand um Klaus Lederer und die anderen Ausgetretenen ein taktisches Spiel spielt. Die haben bewusst ihre Mandate behalten, obwohl das eigentlich gegen die Grundsätze der Partei und die dazu gefassten Beschlüsse verstößt. Das ist denen auch egal. Und gleichzeitig werden sie immer wieder eingeladen, doch bitte zurückzukommen. Die organisieren jetzt außerhalb der Partei Druck, der auch innerhalb der Partei wirkt, ohne an eine Fraktionsdisziplin oder ähnliches gebunden zu sein. Und sie steigen tröpfchenweise aus im Sinne einer Salamitaktik. Jeder einzelne Austritt wird dann in den Medien hochgekocht. Die wollen das Thema präsent halten und Druck auf „Die Linke“ ausüben. Zum Beispiel eben mit dem Ziel, mich auszuschließen oder Unvereinbarkeitsbeschlüsse durchzusetzen. Das wird auch mit mir nicht enden, das muss man klar haben. Die treiben weiter vorwärts und wollen da so viel „bereinigen“ wie möglich ist.

UZ: Wie geht es mit deinem Verfahren jetzt weiter?

Ramsis Kilani: Am 7. Dezember findet um 10 Uhr eine mündliche Anhörung statt. Wann dann genau entschieden wird, weiß ich noch nicht. Aber ich denke, die versuchen so schnell wie möglich den Sack zuzumachen, um das Verfahren als begleitende mediale Kampagne für ihren Wahlkampf nutzen zu können. Das ist der Plan der Parteirechten. Wir werden von unserer Seite aus auch Solidarität organisieren und versuchen, einen politischen, öffentlichkeitswirksamen Kampf zu führen. Es darf nicht nur um bürokratische Hinterzimmerentscheidungen gehen.

UZ: Man darf gespannt sein, wie groß der Wahlerfolg sein wird, wenn der Kampf gegen dich zur Wahlkampftaktik gehört …

Ramsis Kilani: Sie werden wieder auf einen Lagerwahlkampf orientieren und sich als Juniorpartner für SPD und Grüne anbieten. Nach dem Motto: „Die Linke“ ist besser als die FDP. Das ist schon 2021 schiefgegangen. Wenn sie Glück haben, erreichen sie ein paar Direktmandate und kommen rein. Wenn nicht, dann nicht mal das. Dass die Prozentzahlen deutlich nach oben gehen werden, glaube ich nicht.

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"„Ein Angriff auf die gesamte Parteilinke“", UZ vom 29. November 2024



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