Schweizer stoppten fremdenfeindliches Volksbegehren

Ein Anfang, kein Umschwung

Von Patricia D‘Incau, Bern

Die Schweizerische „Volkspartei“ (SVP) ist mit ihrem Versuch, Ausländer wegen Bagatelldelikten des Landes zu verweisen, gescheitert. Am 28. Februar hat das Stimmvolk die sogenannte „Durchsetzungsinitiative“ bachab geschickt. Eine Gesetzesverschärfung gibt es trotzdem.

Der rote Pass: Wer ihn nicht hat, kann trotz Ablehung der „Durchsetzungsinitiative“ für Vergehen mit Abschiebung bestraft werden.

Der rote Pass: Wer ihn nicht hat, kann trotz Ablehung der „Durchsetzungsinitiative“ für Vergehen mit Abschiebung bestraft werden.

( Itern/ wikimedia.org/ Schweizerpass.png/ CC-by-sa 3.0/de)

Noch bis zum Abstimmungssonntag am 28. Februar hatte es danach ausgesehen, als könnte die rechtsnationale SVP ihren nächsten ausländerfeindlichen Coup landen. Mit der sogenannten „Durchsetzungsinitiative“ hatte sie angestrebt, dass „kriminelle Ausländer“ künftig automatisch und unabhängig von der Höhe des Strafmaßes ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren.

Mehr als 40 verschiedene Delikte hatte die „Volkspartei“ zusammengetragen, die zu einem automatischen Landesverweis führen sollten. Zimperlich zeigte sie sich dabei nicht. Bei denjenigen Delikten, die zu einer sofortigen Ausweisung führen sollten, schmissen die Populisten etwa minder schwere Vergehen wie Sozialhilfebetrug und den Verkauf von Drogen kurzerhand in denselben Topf wie vorsätzliche Tötung, Menschenhandel oder gar Genozid. Daneben benannte der Initiativtext auch eine Reihe von Punkten, die nicht sofort, sondern „erst“ bei wiederholter Zuwiderhandlung zum Landesverweis geführt hätten. Dazu gehörten unter anderem Hausfriedensbruch, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte oder „falsche Anschuldigung“. Ein solches Bagatelldelikt hätte sich ein Ausländer – kulant, wie sich die SVP zeigt – einmal innerhalb von zehn Jahren zu Schulden kommen lassen können, bevor er, bei einem zweiten Fehltritt, für eine Dauer von fünf bis 15 Jahre das Land hätte verlassen müssen. Und zwar ohne Wenn und Aber – Ausnahmen hätten die Richter keine machen dürfen.

Schließlich waren es 58,9 Prozent der Abstimmenden, die am vergangenen Sonntag zu diesem Vorhaben „Nein“ sagten und damit verhinderten, dass tausende Menschen, die in der Alpenrepublik leben, aber nicht über den roten Pass verfügen, der permanenten Gefahr eines dauerhaften Landesverweises ausgesetzt sind. Es war das erste Mal seit der Annahme der Anti-“Minarettinitiative“ (2007), der „Ausschaffungsinitiative“ (2010) und der „Masseneinwanderungsinitiative“ (2014), dass eine ausländerfeindliche Vorlage der SVP von den Wählern zu Grabe getragen wurde.

Zurückzuführen ist der Abstimmungserfolg gegen die SVP in erster Linie auf die breite Front der linken sowie „zivilgesellschaftlichen“, aber auch bürgerlichen Gegenkomitees, die sich im ganzen Land gebildet hatten. Kaum je zuvor hatte einem Vorhaben der SVP ein solch heftiger Wind entgegengeblasen wie in den vergangenen Wochen. Einig war man sich vor allem in einem Punkt: Dass das Vorhaben der „Volkspartei“ mit Rechtsstaatlichkeit herzlich wenig am Hut hatte. So hätte die Vorlage etwa die Gewaltenteilung aufgehoben. Der restriktive Initiativtext des „Durchsetzungsvorhabens“ hätte dem Parlament, das für die Umsetzung von angenommenen Volksbegehren zuständig ist, keinen Handlungsspielraum für Anpassungen geboten. Weiter wären Gerichte durch den in der SVP-Initiative geplanten „Ausschaffungs-Automatismus“ nicht mehr befugt gewesen, Abschiebungen aufzuheben, wodurch die SVP-Gegner die Verhältnismäßigkeit eingeschränkt sahen.

„Bei Annahme der Initiative sind 200 000 Menschen ohne Schweizer Pass von der Ausweisung bedroht“, warnte etwa das „Komitee für den Rechtsstaat“, zu dem sich linke Parteien, Organisationen und Gewerkschaften zusammengefunden hatten. Für letztere

Die Initiative hätte auch für Gewerkschafter

zum Problem werden können.

hätte die „Durchsetzungsinitiative“ auch für die eigene Arbeit zu einem Problem werden können. Ein Großteil der Gewerkschaftsangestellten, insbesondere in der Unia, der größten Massenorganisation des Landes, hat Migrationshintergrund. Die Teilnahme an Demonstrationen und Streiks hätte ihnen daher künftig zum Verhängnis werden können. Entsprechend erleichtert zeigte sich die Gewerkschaft am Abstimmungssonntag: „Das Resultat zeigt, dass es mit vereinten Kräften gelingt, die Fremdenfeinde zu stoppen“, schrieb die Gewerkschaft in einer Mitteilung.

Gemeinsam, das hieß in diesem Fall unter anderem mit dem „NGO-Komitee gegen die Durchsetzungsinitiative“, dem 56 Nichtregierungsorganisationen, darunter Amnesty International und Human Rights, angehören. Angeführt wurde die Allianz von einem Newcomer, der „Operation Libero“, die sich aus jungen Akademikern rekrutiert. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, der zuletzt bei der „Masseneinwanderungsinitiative“ einen Machtkampf gegen die „Volkspartei“ ausgefochten hat, blieb derweil außen vor. Man hatte dem diesmaligen Abstimmungskampf bereits im Dezember eine Absage erteilt, denn im Gegensatz zu einer Einreisebeschränkung für ausländische Arbeitskräfte, erschien die drohende Ausweisung von tausenden Migranten dem Wirtschaftsriesen wenig gefährdend für den „Wirtschaftsstandort Schweiz“. So blieb Platz für „Operation Libero“, um unter dem Motto „Wir verknüpfen gesellschaftsliberale und wirtschaftsliberale Werte“, zum gefeierten Shootingstar des Abstimmungskampfes zu werden. Die Schweizer Zeitung „Tages-Anzeiger“ schrieb das Jungunternehmen kurzerhand zum „Albtraum der SVP“ hoch.

Vielleicht nicht ganz zu unrecht. Denn es dürfte durchaus stimmen, dass die neuen Liberalen sowie die traditionellen bürgerlichen Parteien bei der Abstimmung um die „Durchsetzungsinitiative“ das Zünglein an der Waage waren. Den Sieg hätten die Linken allein nicht erringen können.

Schon darum nicht, weil wesentliche Teile der Arbeiterklasse ihr nicht folgen. „Die SVP ist die neue Arbeiterpartei“, titelte der Zürcher Tagesanzeiger noch am 8. Februar. Da hatte eine Studie gerade belegt, was zu befürchten stand: Wählten 1975 nur acht Prozent der Arbeiter die SVP, waren es 2011 bereits 40 Prozent. Mit der Entwicklung verbunden ist, dass nur noch wenige Beschäftigte die Sozialdemokratie wählen. 16 Prozent waren das 2011–1975 lag der Wert noch bei 38 Prozent.

Wie gelang es einer Partei der Milliardäre,

sich als Arbeiterpartei darzustellen?

Wie es einer Partei der Multimilliardäre – SVP-Übervater Christoph Blocher gehört zu den Vermögendsten der Schweiz – gelang, sich als Arbeiterpartei zu gerieren, lässt sich nicht abschließend beantworten. Ein Aspekt dürfte sein, dass sie sich stets gegen einen Beitritt zur Europäischen Union sträubte. Als 1992 darüber abgestimmt wurde, war die SVP eine der wenigen wahrnehmbaren Kräfte, die sich für ein Nein einsetzten. Eine knappe Mehrheit sah es ähnlich. Mittlerweile ist die Europäische Union gerade unter den Schweizer Arbeitern verhasst. Dazu beigetragen hat das Freizügigkeitsabkommen der Schweiz mit der EU. Infolge der Vereinbarung stieg gerade in den Grenzkantonen die Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse, der Lohndruck nahm zu. Staatliche Maßnahmen, dem entgegenzuwirken, blieben bestenfalls halbherzig.

Wie geht es nun weiter, nach dem Nein zur SVP-Vorlage? Trotz des Votums tritt nun spätestens ab 2017 eine härtere Gesetzgebung gegen Straffällige ohne Schweizer Pass in Kraft. Dabei sollen „kriminellen Ausländer“ ebenfalls aufgrund eines Deliktkatalogs ausgewiesen werden, ein Richter kann im „Härtefall“ jedoch davon absehen. Zurückzuführen ist diese Regelung auf die Vorgängervorlage der „Durchsetzungsinitiative“, die sogenannte „Ausschaffungsinitiative“ die im Jahr 2010 an der Urne angenommen und nun vom Parlament umgesetzt wurde. Bis zu 4 000 Menschen pro Jahr – und damit vier mal mehr als bisher – sollen dadurch künftig die Schweiz verlassen müssen. Darauf hatten insbesondere die bürgerlichen Mitteparteien gespielt, die sich ebenfalls gegen die SVP-“Durchsetzungsinitiative“ gestellt hatten. Zwar haben diese Kreise mit Abschiebungen von Ausländern kein Problem, sind jedoch nicht bereit, die rechtsstaatlichen Grundsätze dafür so radikal zu opfern, wie es die SVP im Sinne hatte.

So dürfte es nur die „Mitte“ gewesen sein, die ob des Abstimmungsresultats ihre uneingeschränkte Freude hatte. Für die parlamentarische und radikale Linke liegt über dem Ergebnis der Schatten des neuen Gesetzes. Doch: Eine andere Wahl als das „Nein“ gegen die „Durchsetzungsinitiative“ hatte es am vergangenen Sonntag nicht gegeben. Die Möglichkeit des großes Umschwungs, die hat man bereits vor fast sechs Jahren, im Abstimmungskampf um die „Ausschaffungsinitiative“, verpasst.

Unsere Autorin ist Redakteurin des Schweizer „Vorwärts“.

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"Ein Anfang, kein Umschwung", UZ vom 4. März 2016



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