Am Nachmittag des 28. Oktober beschlossen Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder per Videoschalte neue bundesweite Einschränkungen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) gab die Losung aus: „Es geht jetzt darum, dass wir Weihnachten retten.“ Kaum war der Beschluss bekannt, analysierte SPD-„Rechtsexperte“ Johannes Fechner treffsicher: „Das sind erhebliche und genau zu prüfende Grundrechtseingriffe, die am Mittwoch beschlossen wurden“ und führte Klage, dass das Parlament außen vor gelassen wurde. Die SPD sorge sich um die Gesetzgebungskompetenz des Bundestags. Zweierlei hatte Fechner dabei vergessen: Sämtliche SPD-Ministerpräsidenten und auch SPD-Bundesministerien hatten dem neuesten Corona-Dekret am Vortage ohne Murren zugestimmt. Die SPD sah zuvor im März dieses Jahres auch kein Problem darin, das Infektionsschutzgesetz (IfSG) mit weitreichenden Ermächtigungen für die Gesundheitsminister durchzuwinken. Es ist bereits das dritte Verordnungspaket „zum Schutz der Bevölkerung“, nachdem bereits am 27. März und 19. Mai zahlreiche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossen wurden.
Kennzeichnend für alle Regelungen ist die Berufung auf einen krisenhaften gesundheitlichen Ausnahmezustand, der zu einer weitgehenden Entmachtung der Parlamente und zu einer Zentralisierung der Entscheidungen bei der Exekutive (Bundes- und Länderministerien) geführt hat. Inhaltliche Stoßrichtung: Die Aufrechterhaltung der Produktion solle um fast jeden Preis sichergestellt werden. Der künstlich geschaffene Hype um die Auslagerung der Büroarbeit ins „Home-Office“ ist mittlerweile verpufft – es geht nun darum, Arbeitszeiten zu flexibilisieren und durch die Weiterführung des Schul- und Kitabetriebs die Teilnahme der Eltern an der Produktion zu ermöglichen. Die Exekutive geht dazu an die Grenze: Anstatt Pflegekräfte einzustellen, eröffnen in einigen Bundesländern Verordnungen sogar die Arbeitspflicht für infizierte Pflegekräfte. So erlaubt die Bremer Corona-Verordnung, dass „in begründeten Härtefällen oder zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit“ die Pflege durch positiv getestete Pflegekräfte durchgeführt werden darf, sofern die Bewohner ebenfalls positiv getestet wurden.
Doch nicht das Virus ist daran schuld, es ist lediglich ein Katalysator der Klassenverhältnisse im Staat. Nachdem sich der Bundestag im März per Neufassung des Infektionsschutzgesetzes selbst entmachtet hatte und den Bundes- und Ländergesundheitsministerien umfassende Ermächtigung zum Durchregieren durch Rechtsverordnungen erteilte, bestimmen allein die Gremien der Exekutive: Bundeskabinett, Innenministerkonferenz, Ministerpräsidentenkonferenz und Gesundheitsministerkonferenz. Keines davon ist ein Verfassungsorgan im Sinne des Grundgesetzes. Auch eine besondere Zuständigkeit der Exekutive im Falle eines Gesundheitsnotstands kennt das Grundgesetz nicht. Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee und der Parlamentarische Rat lehnten eine solche Konstruktion 1948/49 mit Blick auf den Notverordnungsartikel 48 der Weimarer Reichsverfassung ab.
Das Regieren per Erlass von Rechtsverordnungen stellt der Exekutive einen Blankoscheck aus, der alles ihrer Definitionsmacht überlässt. Befreit von der Bindung an das Grundgesetz, erscheinen auch Vorschläge wie der des selbsternannten Epidemie-Experten Karl Lauterbach (SPD), die Polizei zu Gesundheitskontrollen in Privatwohnungen zu schicken, nicht mehr ausgeschlossen. Die Hoffnung, die Verwaltungsgerichte würden es schon regeln, ist mehr als trügerisch. Diese entscheiden stets nur den Einzelfall. Die Urteile fallen daher im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der jeweils fraglichen Maßnahme höchst unterschiedlich aus. Für das Handeln der Exekutive stellen sie keine ernsthafte Gefahr dar.