Nach Wahlsieg kündigt Erdogan neue Offensive im Norden Syriens und schärferes Vorgehen gegen Kurden an

Durchmarsch des Despoten

Von Rüdiger Göbel

Alle Hoffnung ist dahin: Recep Tayyip Erdogan hat am 24. Juni in der Türkei einen Doppelsieg errungen. Er sichert sich gleich im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl mit 52,6 Prozent eine weitere Amtszeit. Seine Allianz aus islamistischer AKP und faschistischer MHP erringt zudem die absolute Mehrheit im Parlament. Der Durchmarsch des Despoten ist perfekt. Der seit fast zwei Jahren geltende Ausnahmezustand wird mit dem neuen Präsidialsystem zum Normalzustand verewigt. Nach den Verfassungsänderungen ist das Parlament entmachtet, Erdogan kann für mindestens fünf Jahre mit noch mehr Macht herrschen, als Staatschef übernimmt er die Leitung der Regierung. Es ist daher eine Witznummer, wenn Bundesaußenminister Heiko Maas und der Außenpolitische Sprecher von CDU/CSU, Jürgen Hardt, meinen, eine Aufhebung des Ausnahmezustands sei ein „wichtiges Signal“ und könne „das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland, aber auch zwischen der Türkei und Europa“ verbessern.

Erdogan zeigt gleich am Tag nach der Wahl Härte und kündigt eine Ausweitung der Militäroffensive im Norden Syriens an. Die türkische Armee soll dort an der Seite islamistischer Terrorgruppen weitere Gebiete erobern und besetzen. Auch in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei droht Erdogan mit einer neuen Eskalation. Das hindert NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nicht, Erdogan die Glückwünsche des westlichen Militärpakts zu übermitteln – wie sie auch am gleichen Tag aus Russland und Iran kommen.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn kündigen schließlich an, mit Erdogan und dem türkischen Parlament zusammenzuarbeiten, „um die vielen gemeinsamen Herausforderungen, die vor uns liegen, gemeinsam anzugehen“. Erdogans Manipulationen im Vorfeld der Wahlen werden im Schonprogramm weiß gewaschen: „Die Wähler hatten eine echte Wahl, aber die Bedingungen für den Wahlkampf waren nicht gleich“, verharmlost das EU-Duo die weitgehende Gleichschaltung der türkischen Medien, die Erdogan-Propaganda nun in Endlosschleife senden. Ein Hohn auch angesichts Inhaftierung Tausender Oppositionspolitiker der prokurdischen HDP. Allen voran Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtas, der aus der Zelle Wahlkampf machen musste. Der HDP-Spitzenmann sitzt seit November 2016 wegen hanebüchener Terrorvorwürfe in Untersuchungshaft. Demirtas sagte am Tag nach der Wahl, die „Legitimität der Ergebnisse“ werde noch „zu Recht diskutiert werden.“

Angesichts der Repression ist das Ergebnis der HDP mehr als beachtlich. Ein „großer Erfolg“, wertet es Demirtas. Die Demokratische Partei der Völker überspringt am Ende mit 11,7 Prozent die Zehn-Prozent-Hürde deutlich und zieht mit 66 Abgeordneten in die Große Türkische Nationalversammlung ein – wenn diese nicht vorher wie ihre Kollegen in der vergangenen Legislaturperiode wegen „Terrorpropaganda“ oder unter anderen fadenscheinigen Vorwänden weggesperrt werden.

Muharrem Ince, Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei, der kemalistischen CHP, muss sich mit 30,64 Prozent geschlagen geben. Die Bilder von den CHP-Massenkundgebungen mit Millionen in türkischen Metropolen haben bei vielen die Hoffnung keimen lassen auf eine Ablösung Erdogans.

Es habe bei der Wahl Unregelmäßigkeiten gegeben, die hätten das Wahlergebnis aber nicht entscheidend beeinflusst, so Ince. „Haben sie Stimmen gestohlen? Ja, bestimmt haben sie das. Aber haben sie zehn Millionen Stimmen gestohlen? Nein. Und ich erkenne das Wahlergebnis an.“ Die Differenz zwischen Erdogan und Ince liegt bei knapp elf Millionen Stimmen. Bei der Parlamentswahl ist die CHP unter ihrem letzten Wahlergebnis von 25 Prozent geblieben.

Nach den ersten Reaktionen kann man davon ausgehen, dass sich NATO und EU wie auch die Bundesregierung weiter mit Erdogan arrangieren. Der hat freie Fahrt bei der Repression nach innen und neuer Aggression nach außen.

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"Durchmarsch des Despoten", UZ vom 29. Juni 2018



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