Der russische Binnentourismus floriert

Durch EU-Niedertracht gefördert

Kolumne von Gert Ewen Ungar

Was die Urlaubssaison in Russland angeht, ist sie pünktlich zum 1. September vorbei. Dann beginnt nicht nur das Schuljahr, sondern damit verbunden auch die Nachsaison. Die Preise sinken und die Urlaubsorte sind nicht mehr überlaufen.

Ich verbrachte meinen Urlaub im September in der südrussischen Republik Dagestan. Dagestan liegt am Kaspischen Meer und ist die östlichste Republik des Nordkaukasus. Die Entfernung von Moskau zur Republikhauptstadt Machatschkala beträgt etwa 1.900 Kilometer. Sie ist damit von Moskau ungefähr so weit entfernt wie Madrid von Frankfurt am Main. Dagestan grenzt im Westen an die autonome russische Republik Tschetschenien und im Süden an Aserbaidschan. Hier mischen sich die Einflüsse: In der drei Millionen Einwohner zählenden Republik gibt es 13 offizielle Sprachen. Das Russische verbindet alle dort lebenden Völker und Kulturen. Das Klima ist mild, das Meer lädt zum Baden ein.

Vor einigen Jahren war ich schon einmal in Dagestan. Auch damals hatte ich einen positiven Eindruck. Inzwischen hat sich jedoch viel getan. Das liegt vor allem daran, dass die Entwicklung des Binnentourismus von der russischen Regierung im Jahr 2021 offiziell zum Projekt von nationaler Bedeutung erhoben wurde. Ursache dessen war vermutlich Corona. Während der Pandemie betrieb Russland eine in weiten Teilen andere Politik als Deutschland. Während die Deutschen nicht reisen durften, förderte Russland das Reisen mit einem staatlichen Bonus. Ziel waren der Erhalt der touristischen Infrastruktur und gleichzeitig die Förderung der Verbreitung des MIR-Zahlungssystems – der russischen Alternative zu SWIFT. Wer die Bezahlung seiner Reise über MIR abwickelte, dem erstattete der russische Staat bis zu 30 Prozent der Reisekosten. Aus diesem Programm zur Rettung der touristischen Infrastruktur in Russland wurde im Dezember ein offizielles Programm, das die Entwicklung des Binnentourismus bis 2024 mit 724 Milliarden Rubel (etwa sieben Milliarden Euro) fördert.

In Dagestan ist schon deutlich sichtbar, was dieses Programm bewirkt. In Machatschkala entstand unweit des Strands eine Flaniermeile mit kleinen, modern gestalteten Restaurants und Cafés. Der Strand wurde um eine Promenade ergänzt, die Stadt hat sich auf Touristen eingestellt. Noch deutlicher sichtbar ist dies in der weiter südlich gelegenen Stadt Derbent. Schon bei meinem ersten Besuch vor einigen Jahren vermittelte die Stadt den Eindruck eines großen Freiluftmuseums. Im Jahr 2015 feierte sie ihr 2.000-jähriges Bestehen. Deutlich sichtbar sind die arabischen Einflüsse. Die Festung oberhalb der Stadt geht auf arabische Präsenz zurück. Die Araber trugen auch den Islam nach Dagestan, der dort wie an vielen Orten im Kaukasus den Alltag prägt. Dessen ungeachtet gibt es im Gegensatz zur Nachbarrepublik Tschetschenien kein Alkoholverbot – vielmehr wird in Dagestan Wein angebaut und man sollte ihn unbedingt probieren.

Durch das Programm zur Entwicklung des Binnentourismus wurde aus der ohnehin schon sehenswerten Stadt ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Ein großer Stadtpark mit Brunnenanlagen, Fontänen und Wasserspielen beeindruckt den Besucher. Nach Einbruch der Dämmerung zaubert eine gut abgestimmte Beleuchtung eine märchenhafte Atmosphäre um die alte Stadtmauer und die historischen Anlagen. Auch in Derbent gibt es eine neue Fußgängerzone mit Cafés, kleinen Läden und Restaurants.

Unterstützt wird die Entwicklung des russischen Binnentourismus ausgerechnet von der EU. Schon mit den immer strengeren Regeln für die Vergabe eines Schengen-Visums für russische Staatsbürger schreckte die EU viele russische Touristen wirkungsvoll ab. Kürzlich eskalierte die EU weiter. Nun müssen Russen, die mit ihrem Auto in die EU fahren, damit rechnen, dass ihr Fahrzeug konfisziert wird. Nach der aktuellen Auslegung des Sanktionsregimes gegen Russland können zudem Kosmetikartikel, Koffer, Handys und Elektronik von Bürgern mit russischem Pass bei Einreise konfisziert werden. In eine derart feindlich gesinnte Region fährt man natürlich nicht, um Urlaub zu machen. Der Vorteil der ihrem Geist nach niederträchtigen Maßnahmen der EU besteht letztlich ironischerweise darin, dass sie den russischen Binnentourismus fördern. Ein weiterer Pluspunkt: Das Geld bleibt im Land und trägt so zusätzlich zur Entwicklung der Regionen bei. Russland müsste der EU für ihren offenen Rassismus also fast dankbar sein.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Durch EU-Niedertracht gefördert", UZ vom 22. September 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit