Polizei verwendet Corona-Gästelisten für Ermittlungen

Durch die Hintertür

Seit Mitte Mai gilt in Bayern für die Gastronomie, Friseure, Museen sowie Frei- und Hallenbäder die Registrierungspflicht. Gäste und Besucher müssen ihre Kontaktdaten und mancherorts auch die Verweildauer in Listen eintragen, die einen Monat aufbewahrt werden. Dadurch soll eine Zurückverfolgung möglicher Infektionsherde ermöglicht werden. „Die Gästeliste ist so zu führen und zu verwahren, dass Dritte sie nicht einsehen können“, heißt es in einer Handreichung der Bayrischen Staatsregierung.

Das gilt offensichtlich nicht für Datenabfragen der Polizei. Wie jetzt bekannt geworden ist, sind zum Beispiel die Personalien von Gästen eines Restaurants in Rosenheim, eines Wirtshauses in Starnberg und einer Almwirtschaft im Allgäu von der Polizei erhoben, verarbeitet und zu Ermittlungszwecken genutzt worden. Auch aus den Polizeipräsidien in Franken ist zu hören, dass dort in ähnlicher Weise Daten aus der Gastronomie erhoben wurden. Auf Nachfrage der „Nürnberger Nachrichten“ vom 18. Juli teilte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit, das Sammeln von Daten sei geboten, denn „es geht um Leben und Tod“. Ein anschauliches Beispiel hat er auch parat: „Die Polizei geht in einem Wirtshaus einem Mordversuch nach und sucht Zeugen.“

Mit den tatsächlichen Geschehnissen hat dies wenig zu tun. Ging es doch in Rosenheim zwar um einen Versuch, aber den eines Vermögensdelikts. Ein Heranwachsender hatte den beabsichtigten Überfall auf ein Schuhgeschäft selbst abgebrochen und flüchtete. In Starnberg soll in der Gaststätte ein Rauschgiftdeal abgewickelt worden sein und im Allgäu machte man die Gäste der Almwirtschaft ausfindig, um sie nach einem dort eingekehrten vermissten Wanderer zu befragen. Der Datenschutzbeauftragte Bayerns, Thomas Petri, befürchtet, dass die Polizei auf diese Weise die Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür einführt. Auch der Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA sagt: „Das war so nicht gedacht und von der Politik anders kommuniziert.“

Von den Vorgängen völlig überrascht, „irritiert und fassungslos“ zeigt sich die Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag, Katharina Schulze. Ein rechtzeitiger Blick in das von der grün-schwarzen Landesregierung im Nachbarland Baden-Württemberg verabschiedete Polizeigesetz hätte sie vor der Überraschung bewahrt. In Paragraf 20 PolG-BW ist zu lesen, dass nicht nur bei der Verfolgung von Straftaten, sondern schon präventiv zum Schutz von Sicherheit und Ordnung Daten von unbeteiligten Zeugen erhoben und verwertet werden dürfen. Auch in NRW gilt nichts anderes: „Die Polizei darf Zugriff auf die Kontaktdaten haben, die Besucher in Gastronomiebetrieben und Co. hinterlassen müssen“, zitierte unlängst die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ das NRW-Innenministerium. Ähnliche Vorgänge in anderen Bundesländern, wie vor wenigen Wochen in Hamburg – Beschlagnahme von Gästelisten des Restaurants „Loving Hut“ zur Verfolgung einer versuchten Körperverletzung am 26. Juni – zeigen, dass es sich nicht um ein bayerisches Phänomen handelt.

Angesichts der ständigen Erweiterung der Datensammelbefugnisse von Polizei und Geheimdiensten wachsen auch die Begehrlichkeiten zum Zugriff auf jedwede vorhandene Daten. Das erwies sich schon Anfang April, als bekannt wurde, dass in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg Datensätze von Corona-Infizierten, die eigentlich für die Gesundheitsämter bestimmt waren, von Letzteren an die Polizei weitergeleitet wurden. Das von Holger Stahlknecht (CDU) geführte Innenministerium in Sachsen-Anhalt hatte sogar per Erlass die Gesundheitsämter verpflichtet, sämtliche Corona-relevanten Gesundheitsdaten den Polizeidienststellen zu übermitteln.

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"Durch die Hintertür", UZ vom 24. Juli 2020



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