Börsencrash? – Der deutsche Export droht auf Grund zu laufen

Dunkle Ahnungen

Von Klaus Wagener

Die „Süddeutsche“ glaubt: „China steht vor dem Abstieg“. Das Handelsblatt sorgt sich: „Dax schließt unter 10 000 Punkten“. Und in Bild fragt der unsägliche Roland Tichy: „Haut China unserem Wachstum die Beine weg?“

In ihrer Neujahrsansprache hatte Merkel noch die „Schwarze Null“ als höchsten Triumph von schwarzrosa Wirtschaftspolitik abgefeiert, als „Schluss mit dem Leben auf Pump“. Was nun, wenn „China unserm Wachstum die Beine weghaut?“

Was ist passiert? Die Börsen in Shanghai und Shenzen hatten in der letzten Woche nach Kursstürzen von jeweils sieben Prozent zweimal den Handel aussetzen müssen. Soweit normal. Wer ins Casino geht, darf nicht auf Vernunft und rationale Ergebnisse hoffen. Das ist in China nicht anders als in New York oder London. Zwar haben die großen Zentralbanken der Welt den Finanzmärkte genannten Großzockern im Krisenverlauf mit insgesamt 11 Billionen Dollar unter die Arme gegriffen, die Finanzwerte sind in einer dahindümpelnden Realwirtschaft geradezu durch die Decke geschossen, aber eine Garantie, dass Kurse immer nur steigen, ist auch das nicht.

Nun können uns die Sorgen der Zocker herzlich egal sein, die Frage ist allerdings, ist das Ganze nur einer der üblichen Börsenschwindel oder gibt es realwirtschaftliche Ursachen, und wenn ja, welche? Natürlich versucht uns Herr Tichy, und nicht nur er, näherzubringen, dass das ganze Übel in der Planwirtschaft und den unrentablen Staatsbetrieben zu suchen sei. In die gleiche Kerbe haut auch ein Stefan Schultz im Spiegel. Dort wird gleich der Kontrollverlust der Regierung attestiert. „Die Allmacht der kommunistischen Partei gerät ins Wanken.“ Und als Rezept wird wie üblich angeboten: Die Regierung „müsste die Regulierung des Finanzmarkts lockern, damit sich das Geld gleichmäßiger verteilt.“ So in etwa wie im glorreich deregulierten Westen, wo sich das Geld auch schön gleichmäßig verteilt und es nur die Intervention von schlappen elf Billionen brauchte, um den Totalabsturz abzuwenden.

Zurück zur Realität. Bekanntlich strömt das entgrenzte Finanzkapital in die profitabelsten Anlagen – und bei Anzeichen von Schwäche auch wieder heraus. Diese Boomtowns lagen in der Vergangenheit zu einem erheblichen Teil in der Volksrepublik. Wachstumsraten von 11 Prozent sorgten für Goldgräberstimmung. Aber für solch ein Wachstum gibt es Grenzen. China ist in zentralen Industriesparten, wie z. B. im Automobilbau, zur Weltmarktführerschaft aufgestiegen. Enorme Kapazitäten sind entstanden – allerdings bei weitgehend stagnierenden Exportmärkten. Um nicht in eine gewaltige Blasenbildung zu laufen, muss die Volksrepublik das Wachstum drosseln, die Exportabhängigkeit ab- und den Binnenmarkt ausbauen. Eine hochkomplexe Aufgabe, an der schon mancher gescheitert ist.

Aber wenn solch ein polit-ökonomischer Großumbau gelingt, dann einer Wirtschaft mit funktionsfähigem Steuerungspotential, also mit einem streng regulierten Finanzsektor, mit einem relevanten Planwirtschaftsanteil und leistungsfähigen Staatsbetrieben. Also ziemlich exakt dem Gegenteil dessen, was die neoliberalen Glaubenskrieger trotz ihres offenkundigen Scheiterns ungerührt weiter empfehlen.

Der Anstieg der Bruttoanlageinvestitionen in China hat sich in 2015 wieder deutlich, auf aktuell plus 10,2 Prozent, abgeschwächt. 2010 waren es noch plus 34 Prozent. Was in 2015 absolut allerdings beeindruckende acht Billionen Dollar bedeutet. (Der Vergleichswert für Deutschland: etwa 600 Mrd. Euro.) Auch das Wachstum der Industrieproduktion schwächte sich ab, von fast plus 20 Prozent in 2010 auf aktuell plus 6,2 Prozent. Was beispielsweise die Produktion von 2,55 Mio. Autos, allein im November 2015 bedeutet. (Der Vergleichswert für Deutschland: 550 000 Autos)

Der von den großen Notenbanken inszenierte Abwertungswettlauf um die besten Exportkonditionen, die deutsche Wirtschaft profitiert dazu massiv von der Schwäche der Euro-Peripherie, ließ auch die People’s Bank of China (PBoC) nicht untätig. Gegen den US-Dollar hat der Renminbi im letzten Halbjahr etwa um sechs Prozent abgewertet. Auch sind die Währungsreserven der PBoC nach einem atemberaubend steilen Anstieg nun deutlich geschrumpft. Vom Allzeithoch 3,99 Bio. Dollar im Juni 2014 auf aktuell 3,33 Bio. Dollar. Unter der Hochglanzoberfläche wird international mit zunehmend härteren Bandagen gekämpft.

Wirklich spannend wird es allerdings bei den Außenhandelsdaten. Während das Exportvolumen in 2014 noch um 6,1 Prozent auf 2 342 Mrd. Dollar stieg, sank es in 2015 insgesamt um etwa 3 Prozent, allein im November 2015 um 6,8 Prozent zum Vorjahresmonat. Wesentlich deutlicher sind allerdings die chinesischen Importe eingebrochen: minus 15,1 Prozent in den ersten elf Monaten 2015. Dies dürfte, nachdem das Russlandgeschäft mit minus 33 Prozent gecrasht ist, für einige Panik bei der deutschen Exportindustrie (und dümmlichen Kommentatoren wie Herrn Tichy) sorgen.

Das Geschäftsmodell der deutschen Exportindustrie mit China besteht in der materiell-technischen Ausstattung der nachholenden chinesischen Indus­trialisierung und der Bereitstellung von Luxusgütern für die neu entstandene chinesische Elite. Dieses Geschäftsmodell findet dort seine Grenze, wo diese Aufholjagd zum Erfolg wird. Wo der weitere Kapazitätsausbau gebremst werden muss und mehr und mehr aus eigenen Kräften bewerkstelligt werden kann. Und ja, die Volksrepublik kann auch immer bessere, luxuriösere Autos bauen und ist nicht unbedingt auf solch dubiose Firmen wie Volkswagen angewiesen.

Die Aufholjagd der „Schwellenländer“ hat sich spürbar verlangsamt. Der globale Bedarf an neuen billigen Produkten und Rohstoffen hat sein Maximum gesehen. Die Rohstoffpreise, insbesondere die Rohölpreise, sind geradezu abgestürzt. Der Baltic Dry Index, ein Preisindex auf Schiffsfrachtraten für Massenfrachtgüter, ist auf 445 Punkte, dem tiefsten Punkt seit Beginn seiner Aufzeichnung 1985, gefallen. Der Baltic Dry gilt als zuverlässiger Konjunktur-Frühindikator. Es ist nicht die KP Chinas, die für deutsche Wirtschaft verantwortlich ist. Es wäre für letztere an der Zeit, wie es China tut, die extreme Außenorientierung zu überdenken und statt eine „Schwarzen Null“ zu bejubeln etwas in Infrastruktur, Bildung und Binnenkaufkraft zu investieren. Aber diesen Gedanken darf man wohl getrost im Ordner „Irreales“ ablegen.

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"Dunkle Ahnungen", UZ vom 15. Januar 2016



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