Die Gewerkschaften haben sich bei der Bundestagswahl einmal mehr mit der Rolle des Zuschauers zufriedengegeben. Die Bundestagswahlen sind gelaufen und Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), stellt ernüchtert fest: das Ergebnis sei „erschütternd“ und „kein gutes Ergebnis für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land“. Jetzt müssten „grundlegende Zukunftsfragen beantwortet werden“.
Kommt es tatsächlich zur Jamaika-Koalition, so sitzen fast alle Kapitalfraktionen gemeinsam am Regierungstisch. Die SPD spielt Opposition und sorgt dafür, dass die Gewerkschaften weitgehend die Füße stillhalten. Wie konnte es dazu kommen? Auch jetzt, mehr als zwei Wochen danach, immer noch kein Wort der Selbstkritik der Gewerkschaften. Mit ihrem Festhalten an der kapitalistisch-nationalistischen Standortlogik sind sie doch z. B. mit Schuld daran, dass 19 Prozent ihrer Mitglieder die rechte AfD für eine Alternative zum herrschenden Sozialabbau hielten. Statt selbstbewusst die gesellschaftlich relevanten Themen Frieden, Lohn/Mindestlohn, Arbeitsbedingungen, Renten, Wohnungen usw. in den Wahlkampf einzubringen, tuckerten sie fast unsichtbar im Fahrwasser der SPD hilf- und wirkungslos durchs Meer der veröffentlichten Meinung.
Ein Grund dafür ist das von den Gewerkschaften längst über Bord geworfene und jetzt schmerzlich fehlende Klassenbewusstsein. Das war auch schon anders. Otto Brenner, legendärer IG-Metall-Vorsitzender und Mitbegründer des DGB, war führender Kopf einer einst selbstbewussten Gewerkschaftsbewegung. Nahm er das Wort Streik in den Mund, wusste die Kapitalseite, dass es ihm ernst damit war. In den Lohnkämpfen der 1950er und 1960er Jahre bildete die Brenner-IG-Metall die Speerspitze der Gewerkschaftsbewegung. Anders als viele seiner Nachfolger machte der gelernte Orthopädiemechaniker Brenner nie seinen Frieden mit (Standort-)Wettbewerb und Kapitalismus. „Soziale Marktwirtschaft“ war für ihn nur ein anderes Wort für Lug und Trug. Brenner analysierte die gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen der Republik in den Begriffen von „Klasse“ und „Kampf“. Unternehmerprofite waren für ihn keineswegs notwendige Voraussetzungen für weitere Investitionen, Arbeitsplätze und Wohlfahrt, sondern Raub von gerechtem Lohn. Brenner hielt auch nichts davon, Lohnforderungen allein am Produktivitätszuwachs zu orientieren. Eine solche Selbstbeschränkung bedeutete für ihn nur, den Status quo ungerechter Verteilungsverhältnisse zu zementieren.