Duldung light

Markus Bernhardt im Gespräch mit Michael Lukas

Der Bundestag beschloss am vergangenen Freitag das umstrittene „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“. Es ist Teil eines Pakets aus acht Gesetzentwürfen zum Thema Migration. „Bündnis 90/Die Grünen“ und die Partei „Die Linke“ verlangten die Absetzung der entsprechenden Tagesordnungspunkte, weil das Paket im Eilverfahren durch die Anhörungen gepeitscht worden sei und die Zeit für eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Einschätzungen der Experten nicht ausgereicht habe. Insbesondere das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ sei in Teilen „verfassungsrechtlich höchst bedenklich“. In namentlicher Abstimmung stimmten 372 Abgeordnete dafür, 159 dagegen und 111 Parlamentarier enthielten sich. UZ sprach mit Michael Lukas, Sozialarbeiter beim Düsseldorfer Flüchtlingsverein „Stay!“.

UZ: Am Freitag haben CDU/CSU und SPD im Bundestag das sogenannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ beschlossen. Wie bewerten Sie das Gesetz?

Michael Lukas

Michael Lukas

Michael Lukas: Unserer Meinung nach zielt das Gesetz auf Ausgrenzung ab und verstößt gegen Grund- und Menschenrechte. Es beinhaltet unverhältnismäßige Sanktionen, kriminalisiert die Betroffenen, weitet zum Beispiel die Haftgründe massiv aus und verhindert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dauerhaft. Leistungen können nun erheblich gekürzt oder sogar komplett gestrichen werden. Das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts, welches das Menschenrecht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz betont und ausdrücklich untersagt, das Existenzminimum migrationspolitisch zu relativieren, wird von der Bundesregierung schlichtweg ignoriert.

UZ: Schon bei früheren Gesetzesverschärfungen im Asylbereich wurde aber doch von Flüchtlingsorganisationen kritisiert, dass das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft worden sei. Was gilt denn nun?

Michael Lukas: Durch die Änderung des Grundgesetzes 1993 erhielten in den vergangenen Jahren nur noch etwa 3 Prozent der Asylsuchenden Asyl nach Artikel 16 GG. Der Großteil der Geflüchteten erhielt Aufenthalt als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konventionen, als subsidiär Schutzberechtigte oder aufgrund von Abschiebeverboten. Betroffen vom „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ sind eben genau die Menschen, die bereits durch frühere Gesetzesverschärfungen kein Aufenthaltsrecht bekommen haben. Insofern erleben wir nun die konsequente Fortführung einer menschenverachtenden Asylpolitik.

UZ: Welche Konsequenzen ergeben sich denn ganz konkret für Sie als Flüchtlingsberater aus dem neuen Gesetz?

Michael Lukas: War es zuletzt schon schwierig, mit unseren lediglich geduldeten Klientinnen und Klienten Lebensperspektiven in Deutschland zu entwickeln, so wird dies durch die Einführung der „Duldung light“ nahezu unmöglich. Menschen, die keinerlei Möglichkeit haben, ihre Identität nachzuweisen, werden weitgehend entrechtet mit zwingenden Arbeitsverboten, Residenzpflicht und Integrationsverboten. Zudem wird durch die drastische Kürzung von Sozialleistungen eine Verelendung herbeigeführt.

UZ: Können Sie vor diesem Hintergrund dann überhaupt noch eine sachgerechte und vor allem von staatlichen Stellen unabhängige Asylverfahrensberatung durchführen?

Michael Lukas: Durch die zwingende Lagerunterbringung von Asylsuchenden in Landeseinrichtungen, den sogenannten Ankerzentren, wird ein Großteil der Betroffenen unsere Beratungsstelle gar nicht mehr erreichen können, was unserer Einschätzung nach auch der Sinn von dauerhafter Unterbringung in Lagern sein dürfte. Die dort angebotene Beratung, unter anderem durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wird immer von staatlichen Interessen geprägt sein.

UZ: Also sind Flüchtlinge nun noch mehr auf sich allein gestellt?

Michael Lukas: Es ist sogar weitaus schlimmer. Sie haben nicht nur keinen Zugang mehr zu unabhängiger Beratung, sondern werden in Ankerzentren unter unwürdigsten Bedingungen und unter massiver Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit festgehalten. Ein zivilgesellschaftliches Engagement für diese Menschen, wie wir es in den vergangenen Jahren erlebt haben, wird dann kaum noch möglich sein.

UZ: Welchen Grund vermuten Sie hinter der Gesetzesverabschiedung? Ein Zugehen auf die AfD und ihre Anhänger?

Michael Lukas: Nicht nur auf die AfD und ihre Anhänger. Allen Wählern soll suggeriert werden, dass Menschen, die ihre Identität nicht nachweisen können oder wollen, potentielle Straftäter sind und dieses Gesetz dafür sorgt, dass sie umgehend das Land verlassen müssen. Zudem soll durch die Verschärfungen signalisiert werden, dass Deutschland unattraktiv für Geflüchtete geworden ist.

UZ: Dass die SPD wieder einmal für massive Beschränkungen in Sachen Asyl gestimmt hat, dürfte eher Kontinuität und weniger ihr politischer Neuanfang sein, oder?

Michael Lukas: Die SPD versucht, ihre Zustimmung zu diesem Gesetz als guten Kompromiss zu verkaufen. Doch schon im Kabinettsbeschluss hat sich die SPD auf eine Reihe von Verschärfungen eingelassen, wie zum Beispiel das Inhaftierungsprogramm oder den Versuch der Kriminalisierung gesellschaftlicher Solidarität. Das Ganze gipfelte in einem unwürdigen und inakzeptablen parlamentarischen Schnellverfahren, das kaum Zeit für Kritik und Diskussion ließ und dem sich die SPD nicht widersetzt hat. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die SPD vor mehr als einhundert Jahren schon mal weiter war, als Karl Liebknecht 1907 beim Parteitag der SPD in Essen „die Abschaffung aller Beschränkungen, welche bestimmte Nationalitäten oder Rassen vom Aufenthalte im Lande und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen“, forderte. Vielmehr müsse das Ziel sein „die „völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in Bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inland. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!“.

UZ: Gesetze, die einmal verabschiedet wurden, sind meist nicht mehr zurückzuholen und bleiben bestehen. Sehen Sie trotzdem noch Chancen, gegen das Gesetz mobil zu machen?

Michael Lukas: Es war eine gezielte Strategie der Bundesregierung, eine kritische Debatte über die Gesetzesverschärfungen im Vorfeld zu verhindern und Fakten zu schaffen. Dies zeigt sich im Schnellverfahren, in dem die Gesetze verabschiedet wurden, ebenso wie in der kürzlichen Äußerung von Horst Seehofer: „Man muss Gesetze komplizierter machen. Dann fällt das nicht so auf.“ Dennoch haben sich zahlreiche Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsinitiativen vehement gegen die Gesetzesverschärfungen ausgesprochen. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich jetzt auch gegen die Auswirkungen der menschenverachtenden Asylpolitik der Bundesregierung zur Wehr setzen.

UZ: Sehen Sie juristische Möglichkeiten, das Gesetz noch zu Fall zu bringen?

Michael Lukas: Es gibt zahlreiche Stimmen in der parlamentarischen Opposition und der Zivilgesellschaft, die das Gesetz in Teilen für verfassungs- und europarechtswidrig halten. Erfahrungsgemäß sind entsprechende Klageverfahren aber langwierig. In der Zwischenzeit braucht es zivilgesellschaftlichen Protest und eine konkrete Unterstützung für all diejenigen, die von diesem Gesetz ausgegrenzt und entrechtet werden. Zudem wird noch der Bundesrat dem Gesetz zustimmen müssen. Bislang ging die Bundesregierung davon aus, dass das Gesetz nicht zustimmungspflichtig sei. Doch durch einen kurzfristig eingebrachten Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen enthält der Gesetzentwurf nun mehrere Regelungen, die absehbar mit Mehrausgaben für die Bundesländer verbunden sein werden – was in diesem Fall eine Zustimmungspflicht begründen würde.

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"Duldung light", UZ vom 14. Juni 2019



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