Herbert Becker zur SPD

Düstere Aussichten

Nach dem quälend langen und langweiligen Verfahren, dem sich die SPD unterzog, gab es eine – wenn auch nur kleine – Überraschung: Nicht Olaf Scholz, der staubtrockene Bundesfinanzminister, wurde von den SPD-Mitgliedern für den neuen Vorsitzendenjob gewählt, sondern der nicht minder charismatische ehemalige Finanzminister einer rot-grünen Landesregierung in NRW, der Genosse Norbert Walter-Borjans. Er soll, gemeinsam mit seiner Mitaspirantin Saskia Esken, die dem Abgrund entgegentaumelnde „Alte Dame“ auffangen und für bessere Wahlergebnisse sorgen. Der SPD-Parteitag am kommenden Wochenende soll das Votum der Mitgliederentscheidung formal bestätigen. Spannend wird sein, wie die mächtigen Männer und Frauen der Parteigremien die angekündigten politischen Schritte des neuen Duos durch wohl formulierte Anträge verlangsamen oder sogar ausbremsen. Die Bundestagsfraktion der Partei will die Regierungskoalition weiter am Ruder lassen, die großen Landesverbände haben auch kein Interesse am Bruch mit der CDU. Streit wird es schon geben, ob „Nachverhandlungen“ des Koalitionsvertrages oder sogar „Neuverhandlungen“ machbar sind. Für uns ist klar: Die SPD hat in dieser Koalition nichts mehr zu verlieren außer noch die letzten Reste ihres sozialdemokratischen Anspruchs. Die CDU will die SPD weiterhin in das Prokrustesbett zwingen, um sie völlig platt zu machen. Kramp-Karrenbauer hat bereits an jenem Schraubstock gedreht, zwischen dessen Backen sich der sozialdemokratische Partner begeben hat. Die Ansage lautet: Falls die Genossen die ihnen so wichtige Grundrente haben wollen, dann müssen sie auf ihrem Parteitag ein klares Zeichen zur Fortsetzung der Koalition abgeben. Der Umkehrschluss ist nicht besonders schwierig zu ziehen: Gibt es dieses Zeichen nicht, gibt es auch keine Grundrente, ein Lieblingsprojekt der SPD ist vom Tisch und die Partei geht offenen Auges in die Versenkung.

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"Düstere Aussichten", UZ vom 6. Dezember 2019



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