Material zu Willi Bleicher
– Ulrich Huber: „Willi Bleicher (1907–1981) durch die Benennung eines repräsentativen Gebäudes und durch Aufnahme in die Ehrenbürgerliste ehren!“ (Hrsg. DKP Baden-Württemberg) Broschüre, 2015.
– Hermann G. Abmayr: Buch „Wir brauchen kein Denkmal“. 1991/1992. Film: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“ 2007 (DVD mit elfstündigem Tonbandinterview von 1973)
– Georg Benz, Kurt Georgi, Leonhard Mahlein, Willy Schmidt (Hrsg.): „Willi Bleicher – ein Leben für die Gewerkschaften.“ 1983/1984
– Rainer Fattmann: „Und wenn die Welt voll Teufel wär“. (Hrsg. IG Metall Baden-Württemberg) 2007/2011
– Hannes Karnick, Wolfgang Richter (docfilm): „Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken.“ 1977
– Zacharias Zweig/Stefan Jerzy Zweig: Tränen allein genügen nicht. 2005/2006 (www.stefanjzweig.de)
Das Stuttgarter Gewerkschaftshaus wird nach längerem Umbau am 30. April neu eröffnet und nach Willi Bleicher (1907–1981) benannt. Damit wird das Anliegen einer Unterschriftensammlung umgesetzt, ein repräsentatives Gebäude in der baden-württembergischen Landeshauptstadt nach dem legendären IG-Metall-Bezirksleiter, der er von 1959 bis 1972 war, zu benennen. Als kämpferischer, geradliniger Gewerkschafter und Antifaschist ist er hoch angesehen. Das Personenbündnis für die Unterschriftensammlung umfasste auch DKP-Mitglieder und wurde von der Partei mit ihren Kräften unterstützt.
Willi Bleichers Bild hängt in vielen Gewerkschaftsbüros. Er führte nicht nur legendäre Arbeitskämpfe (1963, 1971) in einem der wichtigsten Tarifbezirke. Er hatte auch eine außergewöhnliche, glaubwürdige Ausstrahlung. Unvergessen ist seine Rolle im KZ Buchenwald bei der Rettung eines Kindes, romanhaft verarbeitet in dem mehrmals verfilmten Roman „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz. Deutlich bezog Willi Bleicher Stellung gegen alte Nazis, Remilitarisierung, Notstandsgesetze und den „Radikalenerlass“.
Den aus einer Familie von Daimler-Arbeitern stammenden gelernten Bäcker traf nach Aushilfsjobs zunächst die Jugendarbeitslosigkeit. Gewerkschaftlich bei „Nahrung und Genuss“, dann bei den Metallarbeitern organisiert, fand Bleicher früh den Weg in den Kommunistischen Jugendverband und die KPD, ab 1928 die KPD-Opposition. Unterschiedliche Herangehensweisen an Gewerkschaftsarbeit, SPD, den vermeintlich vor dem Zusammenbruch stehenden Kapitalismus benannte er später als die politischen Differenzen. Unermüdlich bildete er sich politisch fort. 1933 begab er sich in die Emigration: Schaffhausen, Besançon. Wie ein Keulenschlag traf ihn, von der KPO zeitweise als Spitzel verdächtigt und isoliert zu werden. Er fuhr nach Stuttgart zurück, fand ein Jahr lang Arbeit, gliederte sich in den kommunistischen Untergrund ein. Von Spitzeln an die Gestapo ausgeliefert, wurde er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt.
Im KZ Buchenwald, in der Effektenkammer, war er einer der „roten Kapos“. „Nicht das innegehabte·Parteibuch wurde zum Kriterium des guten oder bösen Kumpels, sondern seine Haltung gegenüber den SS-Banditen und anderen Strolchen. Solidarität war die hervorragendste Eigenschaft, die in Buchenwald von den politischen Häftlingen stündlich, täglich, jahrelang demonstriert und gelebt wurde. Dass die Kommunisten, als der zahlreichste Teil der politischen Häftlinge, auch die vorbildlichsten waren, wer wollte das bestreiten?“, schrieb er 1975 dem Sozialdemokraten Ernst Thape. Die früheren politischen Differenzen hinderten Bleicher nicht, 1944 im Lager eine illegale Gedenkfeier für den ermordeten KPD-Vorsitzenden Thälmann zu organisieren. Sie wurde verraten, Bleicher zu Folter-Verhören nach Weimar und auf einen Häftlingstransport gebracht.
Nach Stuttgart zurückgekehrt, beteiligte er sich am Neuaufbau, trat in die KPD ein, kandidierte für sie zum Gemeinderat. Er baute die Metallgewerkschaft mit auf, wurde in den zentralen Vorstand gewählt. Vieles kam Ende der 1940er Jahre zusammen: Kalter Krieg, Spaltung Deutschlands, unter der Regie der westlichen Besatzungsmächte die Restauration alter Besitz- und Machtverhältnisse. Die Gewerkschaften wurden entsprechend auf Linie gebracht. Eine später als sektiererisch eingeschätzte Politik der damaligen KPD in Gewerkschaftsfragen, verbunden mit einem Klima des Misstrauens, machte es nicht einfacher. Willi Bleicher trat im April 1950 aus der KPD aus (und erst 1953 in die SPD ein). Es bewahrte ihn nicht vor einem antikommunistischen Tiefpunkt der westdeutschen Gewerkschaftsgeschichte: Während des IGM-Gewerkschaftstags im September 1950 peitschten die sozialdemokratischen Delegierten einen Initiativantrag durch, den neuen Vorstand um drei Personen zu verkleinern: die Kommunisten Fritz Salm, Karl Küll – und Willi Bleicher. Eine „miese Sache“ sei der von langer Hand vorbereitete Coup gewesen, meinte später Eugen Loderer.
Der hauptamtliche Vollblutgewerkschafter fing wieder ganz unten an. Ende 1951 wurde er als IGM-Bevollmächtigter in Göppingen gewählt, weil er ein überzeugender, keiner Frage ausweichender, konsequenter, integrer Kandidat war – weil er alle die Qualitäten aufwies und weiter entwickelte, die man ab 1959 als Bezirksleiter an ihm schätzte. Dass er als solcher ausgerechnet mit dem hochbelasteten früheren SS-Mann Hanns-Martin Schleyer – als Vertreter der Metallarbeitgeber – die Tarifverhandlungen führen musste, gehörte zur Bürde seines Amtes.
Untrennbar zu Willi Bleichers Geschichte gehört Stefan Jerzy Zweig, das „Buchenwald-Kind“. Seit 1964 stand er mit der Familie Bleicher in Verbindung, konnte eine Kameramann-Ausbildung in der DDR absolvieren. Dank des Berichts seines Vaters über die Geschehnisse in Buchenwald wurde Bleicher eine hohe Ehrung in Israel zuteil. Zweig kämpft publizistisch und juristisch gegen heutige Verunglimpfungen derer, die ihn in Buchenwald retteten.