Interview mit der Betriebsratsvorsitzenden einer Pflegeeinrichtung

„Du kommst nicht mehr nach“

Nadja K., die eigentlich anders heißt, ist Vorsitzende des Betriebsrates in einer Pflegeeinrichtung eines privaten Trägers.

UZ: Ist es in der Pandemie überhaupt noch möglich für den Betriebsrat (BR) einer Pflegeeinrichtung, die Interessen der Beschäftigten zu schützen?

Nadja K.: Das ist total schwierig. Natürlich sind die Kollegen für Betriebsratsarbeit freizustellen – aber wir müssen gucken, dass wir die normale Arbeit auf den Stationen auf die Kette kriegen. Da ist es schon schwierig, eine BR-Sitzung zu machen.

UZ: Bei euch gibt es noch keine Covid-19-Ansteckung. Sorgt dein Arbeitgeber dafür, dass die Beschäftigten sich selbst und die Patienten vor einer Infektion schützen können?

Nadja K.: Ja, es gibt ja auch Verordnungen der Gesundheitsämter. Die Leitung versucht, Schutzmaterial zu besorgen. Atemschutzmasken nähen wir selbst, die Versorgung ist dürftig. Die Leitung versucht, alles sinnvoll zu verteilen. Aber alle zu schützen bringt natürlich einen höheren Arbeitsaufwand mit sich. Zum Beispiel die Abstandsregeln – da kommen Verordnungen vom Gesundheitsamt, aber mit der Umsetzung ist das Team auf der Station alleine.

UZ: Durch die Pandemie habt ihr mehr Arbeit, aber nicht mehr Kolleginnen und Kollegen.

Nadja K.: Genau. Die Logistik ist aufwändig, die Kollegen stehen unter psychischem Stress. Es gibt einen Mangel an Handschuhen und Desinfektionsmitteln, auch das vergrößert den Stress. Wir haben eine Quarantänestation eingerichtet, die Leute dafür sind aus ihren Teams abgezogen worden. Sollten wir die erste Corona-Infektion haben, wird es noch viel stressiger. Und bald ist Urlaubszeit. Bisher sagt die Leitung, wir sollen unseren Urlaub nehmen, weil niemand weiß, was kommt.

UZ: Haben sich eure Arbeitszeiten verändert?

Nadja K.: Manche Einrichtungen haben auf Zwölf-Stunden-Schichten umgestellt, das steht bei uns nicht zur Debatte. Der Arbeitgeber wollte, dass wir Minusstunden machen, um anschließend mehr arbeiten zu können. Das hat er aber auf der Corona-Sondersitzung von Wohnbereichsleitungen und Therapeuten nicht durchbekommen. Da mussten wir als BR nichts machen. Bisher schickt die Leitung auch keine Leute ins Frei, damit sie ad hoc einspringen können. Wir vermuten aber, dass das bald kommt – auf unserer nächsten Sitzung beraten wir das.

UZ: Wenn Kollegen und Bewohner sich mit dem Virus anstecken, ist es dann überhaupt noch möglich, die Arbeitszeiten zu verteidigen?

Nadja K.: Bis zu einem gewissen Grad schon. Nur sind wir in der Pflege ja auch körperlich sehr nah am Bewohner. Wenn es einen Fall auf einer Station gibt, könnte die ganze Station sehr schnell befallen sein. Das könnte der Punkt sein, an dem Leute aus dem Frei geholt werden.

UZ: Gleichzeitig näht ihr in der Dienstzeit Masken.

Nadja K.: Eigentlich ist das eine Schande für ein Industrieland. Es ist doch absurd, dass wir in einer Pflegeeinrichtung selbst Stoffmasken nähen müssen. Der Arbeitgeber hat zwar auch externe Näherinnen beauftragt, die kommen aber nicht nach.

UZ: Was müsste passieren, um die Belastung zu verringern?

Nadja K.: Zusätzliche Kräfte wären super – Hauswirtschaftskräfte, Reinigungspersonal –, der Aufwand für Hygienemaßnahmen ist extrem gestiegen. Alle machen sauber und verteilen Sachen, aber du kommst mit der Arbeit nicht mehr nach. Aber der Arbeitgeber wird sich natürlich nicht darauf einlassen, mehr Leute einzustellen.

Interview: Olaf Matthes

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"„Du kommst nicht mehr nach“", UZ vom 1. Mai 2020



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