Die KPD im antifaschistischen Abwehrkampf – Teil 3

Drum halte dich an deinesgleichen

Im Juni 1932 hatte die KPD auf die Notverordnungspolitik und Faschisierungstendenzen in der Weimarer Republik mit der Gründung der „Antifaschistischen Aktion“ reagiert. Ziel war die Zusammenführung aller Werktätigen im gemeinsamen Kampf gegen den Abbau sozialer und demokratischer Rechte.

Als Hauptgegner machte die KPD weniger die NSDAP als faschistische Partei als das Monopolkapital aus. Dahinter stand die bis heute gültige Erkenntnis, dass der Faschismus nicht nur als Diktatur mit faschistischer Massenbasis und entsprechender Partei zu organisieren ist. Die Erinnerung an den Kapp-Putsch 1920 war noch frisch – er zeigte deutlich, dass auch eine Militärdiktatur möglich war.

Durch die richtige Gegnerbestimmung im antifaschistischen Abwehrkampf konnte die KPD die richtige Kampforientierung geben: Die Monopole wollten und brauchten den Faschismus. Damit waren sie der primäre Gegner (und müssen es bis heute sein). Gleichzeitig galt es den Versuchen des Monopolkapitals, für seine Politik eine Massenbasis zu gewinnen, entgegenzutreten. Die KPD sah den zentralen Schritt im gemeinsamen Abwehrkampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten und den Abbau der demokratischen Rechte. Durch diese starke Massenbewegung sollte den Monopolen der Weg zur Errichtung der faschistischen Diktatur versperrt werden. In diesen Kampf sollten diejenigen Teile der Arbeiterklasse und der anderen nichtmonopolistischen Schichten einbezogen werden, die sonst Opfer der sozialen, nationalen und Friedensdemagogie der Faschisten geworden wären.

Klassenmäßige Zusammensetzung der faschistischen Massenbasis

Bereits mit Blick auf die Schwarzhemden Italiens wurde in der Kommunistischen Internationale die soziale Zusammensetzung der faschistischen Massenbewegungen erforscht. Antonio Gramsci, Palmiro Togliatti und Clara Zetkin veröffentlichten dazu in der Zeitschrift „Kommunistische Internationale“. Sie alle beobachteten, dass sich die faschistische Massenbewegung aus besonders von der Krise betroffenen Teilen der Arbeiterklasse, dem abstiegsbedrohten Kleinbürgertum und dem sich aus allen anderen Klassen und Schichten speisenden Lumpenproletariat zusammensetzte. Zentral und diesen Gruppen gemeinsam war, dass sie neben den Folgen der Krise keine eigenständige politische Haltung ausbilden und so gegen die Krisenabwälzungsfolgen vorgehen konnten. Nur dadurch, dass fehlende Orientierung und realer Abstieg beziehungsweise die gefühlte oder reale Bedrohung durch diesen Abstieg zusammenkamen, konnte die Demagogie der Faschisten bei ihnen verfangen.

Die Faschisten waren in ihrer Demagogie sehr anpassungsfähig – im heutigen Sprachgebrauch „zielgruppenorientiert“. Neben der sozialen Demagogie, die Gewerkschaften verbalradikal „von links“ anzugreifen, beherrschten sie die nationale Demagogie, die den Herrschenden beim Ruf nach einem eigenständigeren deutschen Imperialismus in die Hände spielte. Hinzu kam die Friedensdemagogie. Diese ideologischen Ansätze waren nicht allein auf theoretischer Ebene zu bekämpfen – sie mussten in der Praxis als Demagogie erfahrbar gemacht werden.

Streiks auch gegen integrative Gewerkschaftsführer

Die Streikbewegungen der letzten Jahre der Weimarer Republik stehen von bürgerlicher wie von „linker“ Seite unter besonderer Kritik. Häufig wurden sie von der „Revolutionären Gewerkschafts-Opposition“ (RGO) gegen den Willen der Sozialdemokratie und der von ihr beeinflussten Freien Gewerkschaften geführt. Damit – so die Kritik – habe die KPD die Spaltung der Arbeiterklasse vertieft. Diese Kritik geht davon aus, dass es eine Einheit der Arbeiterklasse ohne einen ihr entsprechenden Inhalt gibt. Eine Einheit, ohne den Abwehrkampf zu führen, sondern um gemeinsam mit der SPD die Stillhalteparolen bürgerlicher Politiker mitzubrüllen? Das führt zwangsläufig zu einer Einheit auf Grundlage bürgerlicher Ideologie und Politik. Das hätte weder den Hitlerfaschismus aufgehalten, noch wäre es eine reale Einheit gewesen.

4410 Bundesarchiv Bild 183 B0527 001 789 Berlin Scho╠eneberg BVG Streik - Drum halte dich an deinesgleichen - Antifaschismus, Geschichte der Arbeiterbewegung, KPD, Streik - Theorie & Geschichte
Berlin lahmgelegt. Barrikaden auf Straßenbahngleisen in Berlin-Schöneberg während der Versuche der Polizei, den BVG-Streik niederzuschlagen. (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-B0527-001-789 / CC-BY-SA 3.0)

Die RGO entstand als Fraktion innerhalb von integrativ orientierten Gewerkschaften zu einer Zeit, als alle politischen Kräfte der Arbeiterbewegung diese Fraktionen innerhalb der Gewerkschaften hatten. Die kommunistische Fraktion wurde jedoch häufig ausgeschlossen – Gewerkschaftsgliederungen, in denen kämpferische Kräfte die Mehrheit hatten, wurden aufgelöst. Eine Mitarbeit in den „Freien Verbänden“ war für eine steigende Anzahl kommunistischer und kämpferischer Arbeiter nicht mehr möglich. Die Organisation der RGO wurde dann zu eigenständigen Verbänden ausgebaut. Das entsprach der objektiven Notwendigkeit, gerade die kämpferischen Arbeiter nicht ohne gewerkschaftlichen Schutz zu lassen. Später wurde dieser Schritt als Fehler ausgewertet, denn er erleichterte die Agitation rechter Gewerkschaftsführer gegen die Kommunisten als „Feinde der Gewerkschaften“. Zusammen mit der „Sozialfaschismusthese“ waren diese linksradikalen Fehler Reaktionen der KPD auf Strategien und Taktiken der Sozialdemokratie, die fortschrittliche Arbeiter – etwa am 1. Mai 1929 in Berlin – auch als blanke Gewalt zu spüren bekamen.
Die RGO war innerbetrieblich der Hauptträger der „Antifaschistischen Aktion“.

Der BVG-Streik

Die Belegschaft der Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft (BVG) war – da es sich um einen staatsnahen Betrieb handelte – ein schwieriges Pflaster für die Arbeiterbewegung. Von den 22.000 Beschäftigten gehörten 6.000 dem „Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs“ an, 1.200 der RGO und ungefähr ebenso viele der faschistischen „Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation“ (NSBO). Im Oktober 1932 hatte die BVG gefordert, die Stundenlöhne um 14 bis 23 Pfennig zu kürzen. Der „Gesamtverband“ handelte eine Kürzung um zwei Pfennig aus – was eine massive Schlechterstellung der Arbeiter bedeutete.

Die KPD war alarmiert. Eine solche staatsnahe Belegschaft, politisch sozialisiert ohne die Arbeiterbewegung, war ein gefundenes Fressen für die soziale Demagogie der NSDAP. Das Konzept der „Antifaschistischen Aktion“ sah vor, gerade in diesen sonst orientierungslosen Bereichen den Kampf als solidarische Antwort auf die Angriffe des Kapitals zu führen. Die RGO protestierte gegen Verhandlungen des „Gesamtverbands“, weil sie ohne Mobilisierung und Aufklärung geführt wurden. Damit nahm sich die Arbeiterbewegung die Chance, aufklärend und antifaschistisch zu wirken.

Die RGO mobilisierte zu einem Kongress, auf dem die Bahnarbeiter die eigenen Interessen bekunden, den Gegensatz ihrer Interessen zu denen des Kapitals erkennen und Kampfforderungen aufstellen, vielleicht sogar schon Kampfformen entwickeln sollten. Damit trug die RGO die Hauptlast dieses objektiv antifaschistischen Kampfes. Jede Orientierung auf den Antagonismus von Kapital und Arbeit war eine Orientierung weg von der sozialen Demagogie der Faschisten.

Auf dem Kongress beschlossen 127 gewerkschaftlich organisierte wie nicht organisierte Delegierte eine Urabstimmung darüber, ob und wie der Kampf ausgefochten werden sollte. Damit war es die RGO, die eine eigentlich gewerkschaftliche Aufgabe übernahm: Die Kollegen dazu zu bringen, sich ihrer Interessen bewusst zu werden und gleichzeitig die Entwicklung von Kampfformen zu organisieren.

Verlauf des Streiks

Die Urabstimmung fand am 2. November unter der gesamten Belegschaft statt. Das war neu – vorher war es üblich, dass nur Gewerkschaftsmitglieder abstimmen durften. Bei einer Teilnahme von 85 Prozent aller Beschäftigten sprachen sich davon fast 80 Prozent für Streik aus. In die Streikleitung wurden Mitglieder des „Gesamtverbands“, der RGO und der NSBO sowie Unorganisierte gewählt. Der „Gesamtverband“ war gezwungen, den Streik mitzutragen. Während die SPD- und die offiziellen Gewerkschaftsblätter sich gegen den Streik richteten, unterstützten die KPD ernsthaft und die Nazis demagogisch den Streik. Der Aufruf zum Streik wurde am Morgen des 3. November in vollem Umfang befolgt. Keine Straßenbahn, kein Bus, keine U-Bahn fuhr.

Die RGO hatte in der Streikleitung die stärkste Stellung – sie arbeitete am organisiertesten. Viele arbeitslose Mitglieder der KPD, des „Roten Frontkämpferbunds“ und anderer Organisationen der revolutionären Arbeiterbewegung unterstützten den Streik. Den Herrschenden war klar, dass die treibende Kraft die Kommunisten waren. Entsprechend reagierten die Behörden mit dem Verbot der „Roten Fahne“, während die Nazi-Zeitungen weiter erscheinen durften.

Eine erste Schlichtung wurde auch vom „Gesamtverband“ abgelehnt. Daraufhin erklärte der Schlichter seinen Spruch für verbindlich – und den Streik damit als verboten. Der „Gesamtverband“ rief seine Mitglieder alsdann auf, zur Arbeit zurückzukehren. Dennoch dauerte der Streik an. Nachdem es am 4. und 5. November gelungen war, einzelne Bahnen und Busse unter Polizeischutz in den Einsatz zu bringen, beteiligten sich zehntausende Arbeiter an Aktionen zur Unterbindung des Streikbruchs – drei Arbeiter wurden erschossen.
Streikposten wurden von der Polizei angegriffen und willkürlich verhaftet. In dieser Situation brach die Streik­leitung den Streik am 7. November ab. Sie wollte keine Arbeiter verheizen oder Massenrepressionen aussetzen.

In den Novemberwahlen 1932 zahlte sich die klassenkämpferische Orientierung der KPD aus: Sie wurde in Berlin stärkste Kraft, die Nazis verloren absolut wie relativ. An der „Antifaschistischen Aktion“, so freute man sich im ZK, war die zweite faschistische Welle zerbrochen. Tatsächlich – so geht es aus den Briefwechseln des damaligen Gauleiters Joseph Goebbels hervor – stand die NSDAP-Gliederung in Berlin vor einem Scherbenhaufen. Große Teile der NSBO waren zerbrochen.

Lehren des antifaschistischen Kampfes

Der Faschismus ist nicht aus seinen Ausdrucksformen zu erklären, sondern in seiner Klassenfunktion zu erkennen. Genau das leistet die von der Kommunistischen Internationale ausgearbeitete und im Rahmen des VII. Weltkongresses von Georgi Dimitroff vorgetragene These. Aus dieser Klassenfunktion heraus kann der Faschismus als Bewegung wie als Herrschaftsform erklärt und verstanden werden. Die einzelnen Kleinbürger, Arbeiter und Angestellten, die sich faschistischen Gruppierungen anschließen – jeder einzelne von ihnen ist demnach ein Verlust. Bertolt Brecht schrieb den antifaschistischen Kämpfern ins Stammbuch: „Drum halte dich an deinesgleichen.“ Dieser Kampf richtet sich gegen diejenigen, die ein Interesse an Faschismus und Krieg haben, und nicht gegen diejenigen, die dies aus den falschen Gründen für eine richtige Politik halten. Die beste Abgrenzung nach rechts ist nicht die lauteste Bekundung des eigenen Gutmenschentums, sondern der klarste, organisierteste, am besten verankerte Klassenstandpunkt. Um diesen herum muss die Volksfront – also die Kampfbewegung gegen die Monopole – aufgebaut werden, damit Letzteren der Weg zur faschistischen Herrschaft verlegt wird.

Reinhard Opitz hat für die frühe VVN in einem Vortrag darauf hingewiesen, dass allein duch Aufrufe zum Kampf für den Sozialismus diejenigen Menschen nicht erreicht werden, die sonst von faschistischer Seite ansprechbar sind. Die Volksfront kann und muss also Kampfformen entwickeln, die gerade diesen Schichten den Kampf ermöglicht. Die aktuellen Krisenproteste zeigen, wie wichtig diese Erkenntnisse derzeit sind und wie sehr Proteste, die im Wesentlichen zur Abgrenzung da sind, zu linkem Schaulaufen werden. Durch faschistische Demagogie gefährdete Bevölkerungsgruppen werden damit nicht erreicht.

Teil 1 erschien in der UZ vom 16. September, Teil 2 in der Ausgabe vom 7. Oktober.

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"Drum halte dich an deinesgleichen", UZ vom 4. November 2022



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