Druck und Manipulationen

Manfred Ziegler im Gespräch mit Karin Leukefeld

Karin Leukefeld

Karin Leukefeld

Die Journalistin Karin Leukefeld ist seit 2000 freie Korrespondentin im Nahen Osten und ist seit 2010 in Syrien akkreditiert.

Im April 2018 stand die syrische Armee vor den Toren der Stadt Duma in der Nähe von Damaskus. Trotz eines Waffenstillstands wurde Damaskus am Abend des 6. April von Duma aus beschossen. Die syrische Armee reagierte mit Artilleriebeschuss, darauf hieß es dann, es habe einen Chemiewaffenangriff gegeben. Die Informationen kamen von den „Weißhelmen“ mit entsprechenden Videos, Handyaufnahmen und so weiter, die dann rasch in aller Welt von Medien aufgegriffen wurden. In der Folge wurde Syrien von den USA, Frankreich und Britannien angegriffen. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffe (OPCW) führte eine Untersuchung vor Ort durch, die den Einsatz von Chlorgas bestätigte.

Vor kurzem gab es ein Seminar mit einem Whistleblower, der über interne Kenntnisse der Duma-Untersuchung verfügt. Die Person traf sich am 15. Oktober in Brüssel mit einem kleinen Kreis von Personen aus vier Ländern, um über das „regelwidrige, unethische und betrügerische Verhalten“ der OPCW gegenüber dem Untersuchungsteam und auch der internationalen Öffentlichkeit zu sprechen. UZ sprach darüber mit Karin Leukefeld.

UZ: Karin, du warst auf diesem Seminar, wer hat es veranstaltet und wer war der Whistleblower?

Karin Leukefeld: Eingeladen hatte die Courage Foundation, eine Stiftung, die Whistleblower wie Julian Assange und Edward Snowden unterstützt. Es waren außer mir nur zwei weitere Journalisten als Beobachter eingeladen. Das Forum bestand aus ehemaligen UN-Diplomaten, Wissenschaftlern, ehemaligen Militärs und US-Geheimdienstoffizieren. Aus Deutschland waren zwei Wissenschaftler vertreten. Die Quelle nannte sich „Alex“ und war eine Person mit langjähriger Berufserfahrung innerhalb der OPCW-Untersuchungsteams. Sie verfügte über interne Kenntnisse des Duma-Untersuchungsteams.

UZ: Und wie wurden die Vorwürfe begründet?

Karin Leukefeld: Die Person lieferte eine sehr ausführliche Präsentation, in der interner Schriftverkehr, E-Mails, Textnachrichten, Berichtsentwürfe gezeigt wurden. Seit 2014 gibt es eine speziell für Syrien zuständige Unterabteilung, die „Fact-Finding-Mission“. Die unterliegt einem gesonderten Kontrollmechanismus innerhalb der OPCW und berichtet nur dem Führungskreis, drei Personen. Dann wurden die zentralen Säulen eines Untersuchungsvorgangs erläutert: Es werden Proben analysiert, die Ballistik, die Toxikologie untersucht und Augenzeugen befragt. In allen vier Fällen traten bei der Duma-Untersuchung Manipulationen auf. Weder Zwischen- noch Abschlussbericht wurde von dem eigentlichen Untersuchungsteam verfasst. Abweichende Analysen und Beobachtungen wurden nicht aufgenommen.

UZ: Die OPCW war also zumindest in diesem Fall keineswegs unparteiisch und auf eine rein technische Untersuchung fokussiert, sondern in höchstem Maße politisiert. Es gab Kritik auch an anderen OPCW-Untersuchungen, du selbst hast ja schon vor Jahren Zweifel an der offiziellen Darstellung solcher Berichte geäußert. Gibt es konkrete Hinweise auf eine Politisierung anderer Untersuchungen?

Karin Leukefeld: Die Quelle „Alex“ betonte, dass es nicht um die gesamte Organisation der OPCW geht, sondern um Strukturen, die beispielsweise abweichende Beobachtungen des Duma-Untersuchungsteams nicht zuließen, obwohl es ausdrücklich in der Chemiewaffenkonvention vermerkt ist. Die präsentierten Informationen deuteten eher darauf hin, dass politischer Druck ausgeübt wurde, um eben eine vorbestimmte Schlussfolgerung zu begünstigen. Ich hatte den Eindruck, dass insbesondere die „Fact-Finding-Mission“-Teams in Syrien besonderem Druck und offenbar auch Manipulationen ausgesetzt sind. Auch die Untersuchung der Ereignisse in Chan Scheichun im April 2017 ist nicht schlüssig und es gibt Widersprüche. Syrien ist 2013 der Chemiewaffenkonvention beigetreten und hat alle entsprechenden Waffen zur Vernichtung abgegeben. Auch in Deutschland wurden chemische Waffen Syriens zerstört. Dennoch hält sich auch in Deutschland in Politik und Medien die Anschuldigung, Syrien setze solche Waffen ein. Sogar die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien werden damit begründet.

UZ: Die Medien hatten über den angeblichen Chemiewaffenangriff in Duma und die angebliche Verantwortung der syrischen Regierung ausführlich berichtet. Im Mai 2019 wurde ein technischer Bericht geleakt, wonach der Abschlussbericht der OPCW zur Frage der Herkunft der Behälter offensichtlich nicht die tatsächlichen Untersuchungsergebnisse wiedergab. Darüber haben die Mainstream-Medien mit Ausnahme des britischen „Independent“ überhaupt nicht berichtet. Es bleibt also weiterhin schwer, die Mauer des Schweigens zu durchdringen?

Karin Leukefeld: Die beiden deutschen Teilnehmer des Forums, Helmut Lohrer von IPPNW und Dr. Günter Meyer von der Universität Mainz, haben zahlreichen Medien Interviews und Hintergrundgespräche angeboten. Es wäre wichtig, die Informationen einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Das Duma-Untersuchungsteam war von der syrischen Regierung angefordert worden, auch zu Chan Scheichun forderte Syrien eine Untersuchung. Viele Medien, die Politik und Organisationen der Zivilgesellschaft haben ihre Berichterstattung, ihre politischen Forderungen und ihr politisches Handeln auf den angeblichen chemischen Waffen aufgebaut, die die syrische Regierung eingesetzt haben soll. Die angeblichen chemischen Waffen Syriens gehören quasi zum politischen Argumentationsgerüst gegenüber Syrien.

Die beiden Whistleblower zur Duma-Untersuchung sind Wissenschaftler. Der Techniker, dessen ballistischer Bericht durchgesickert ist – er wurde übrigens aus der OPCW entfernt und gegen ihn läuft ein Verfahren – und nun die Quelle „Alex“. Sie wollen die Wahrheit über bestimmte Vorgänge wissenschaftlich erforschen, das macht sie außerordentlich glaubwürdig.

Das Forum, das eingeladen war, veröffentlichte eine Stellungnahme. In der heißt es, man habe den Eindruck gewonnen, dass „zentrale Informationen über chemische Analysen, toxikologische Untersuchungen, ballistische Studien und Zeugenaussagen unterdrückt wurden, anscheinend um eine vorbestimmte Schlussfolgerung zu begünstigen.“ Auch der erste Generaldirektor der OPCW, José Bustani, hat diese Erklärung unterzeichnet. Das hat Gewicht.

Das Forum fordert in seiner Erklärung, dass das Duma-Untersuchungsteam bei der nächsten Konferenz der Vertragsstaaten der Chemiewaffenkonvention, Ende November, seine abweichenden Untersuchungsergebnisse ohne Angst vor Repressalien und Zensur den Vertragsstaaten vortragen kann.

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"Druck und Manipulationen", UZ vom 1. November 2019



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