Streiks für ein anderes (Gesundheits-)System. Eine Zwischenbilanz

Druck aus den Kliniken

Nora Hachenburg

Für das Erscheinungsdatum dieser Ausgabe von UZ haben die Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes in Bund und Kommunen ein schriftliches Angebot zu den ver.di-Forderungen angekündigt – vier Wochen nach der 2. Verhandlungsrunde. Nicht nur mit dieser Unverschämtheit dokumentieren sie, mit welchem Blick sie auf die Beschäftigten bei Stadtverwaltungen, im Nahverkehr, in Sparkassen, Pflegeheimen und Krankenhäusern und ihre Gewerkschaft ver.di schauen. Klatschen war gestern, jetzt ist Verzicht angesagt. Und: Streiks bekommt ihr – Corona sei Dank – ohnehin nicht auf die Kette.

Die Beschäftigten geben die richtigen Antworten auf diese Arroganz. Insbesondere im Gesundheitswesen und im Nahverkehr finden wirkungsmächtige Streiks statt, mit denen die Arbeitgeber nicht gerechnet haben. Die letzten Wochen sind von den Vertrauensleuten und Tarifbotschafterinnen und Tarifbotschaftern in den Betrieben intensiv zur Streikvorbereitung genutzt worden. In zehntausenden Gesprächen wurden die ver.di-Forderungen von Beschäftigten positiv aufgenommen. Deutlich mehr Kolleginnen und Kollegen, als ursprünglich auch von ver.di vermutet, signalisierten ihre Streikbereitschaft – trotz und zum Teil aber auch wegen der Corona-Pandemie.

Natürlich gibt es Verunsicherung bei den Beschäftigten darüber, wie sich die Pandemie weiterentwickelt und wie man unter diesen Bedingungen verantwortungsvoll streiken kann. In Teilen des Öffentlichen Dienstes zum Beispiel an den Flughäfen, wo Kurzarbeit angesagt ist, prägen auch Perspektivängste die Diskussion. Trotzdem durchschauen in der aktuellen Situation – auch im Kontrast zu den Erfahrungen während der ersten Corona-Welle im Frühjahr – mehr Kolleginnen und Kollegen die öffentlichen Debatten um leere Kassen und die Angemessenheit von Streiks. Sie erkennen, dass die verbale Wertschätzung für den Öffentlichen Dienst und die Corona-Helden im bestehenden System nicht zu verbesserten Einkommen führt und auch nicht zu einem Willensumschwung bei Arbeitgebern und Staat, die Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Sie erkennen, dass man dafür kämpfen und dementsprechend streiken muss – egal, wie schwierig es ist.

Die Streiks in den Krankenhäusern haben hier besonders Fahrt aufgenommen. In vielen Kliniken entscheiden sich mehr Kolleginnen und Kollegen für den Streik als in den vergangenen Tarifrunden. Sie sind sich bewusst, dass es mehr braucht als Streiks mit schönen Bildern für die Zeitung. Die harte Arbeitgeberhaltung und Ablehnung jeglicher Zugeständnisse führt zu Erkenntnisprozessen in den Belegschaften, dass Streiks Auswirkungen haben müssen, damit sie wirken. Dass die Gegenseite nur durch Druck gezwungen werden kann, Forderungen zu erfüllen. Gerade an den großen kommunalen Kliniken werden die Erfahrungswerte der Entlastungsstreiks aus den letzten Jahren intensiv genutzt, um die Streiks ökonomisch wirksam zu machen. An vielen Orten werden deshalb die Notdienstverhandlungen mit dem Ziel der Betten- und Stationsschließungen im Streik entsprechend hart geführt und anders als in der Vergangenheit mit großer Einbindung der Belegschaften durchgesetzt.

Es ist sicher kein Zufall, dass gerade im Krankenhausbereich so große Streikbereitschaft vorhanden ist. Neben den Widersprüchen zwischen Klatschen im Frühjahr und Klatsche in den Tarifverhandlungen ist es der Bereich, in dem ver.di die Verknüpfung der tarifpolitischen Forderungen mit grundsätzlicher Kritik am Gesundheitssystem mit seinen Fallpauschalen (DRGs) und der daraus resultierenden Personalnot am stärksten herausgearbeitet hat. Hier findet eine politische Kampagnenarbeit statt, die die Erfahrungswerte der Kolleginnen und Kollegen trifft und es ermöglicht, in den Teams und Belegschaften neben den Tarifforderungen grundsätzliche Systemfehler zu diskutieren und die Perspektive weitergehender Kämpfe aufzumachen – für mehr Personal, Entlastung und ein anderes (Krankenhaus-)System.

Durch das Versäumnis, die gesamte Tarifrunde in den Kontext der Frage „Wer zahlt für diese Krise?“ einzuordnen und die Folgediskussionen wie im Gesundheitswesen und zum Teil im Nahverkehr mit den Beschäftigten zu führen, wird aktuell eine Chance vertan, auch in anderen Branchen des Öffentlichen Dienstes über die Tarifrunde hinaus zu mobilisieren und weitergehende Auseinandersetzungen vorzubereiten. Gut und letztlich unverzichtbar, dass diese Dimension von Bündnissen zum Beispiel für mehr Personal und natürlich der DKP immer wieder in die Streiks getragen wird.

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"Druck aus den Kliniken", UZ vom 16. Oktober 2020



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