Radikalengesetz-Anhörung im Innenausschuss des Brandenburger Landtages

Druck auf „Verfassungstreue-Checker“

Martin Hornung

Am 30. November fand im Innenausschuss des Landtags in Potsdam die zweite Anhörung von neun „Verfahrensbeteiligten“ zum sogenannten „Verfassungstreuecheck“-Gesetzentwurf mit Regelanfrage beim Inlandsgeheimdienst statt. Die geänderte Fassung war am 15. September in erster Lesung durch den Landtag gegangen und in den Ausschuss überwiesen worden. Die Anhörung ging über vier Stunden und war im Internet zu verfolgen.

Die Vertretungen von Städte- und Gemeindetag, Landkreistag, Deutschem Beamtenbund (dbb/Tarifunion) hielten sich kurz und sahen keine grundsätzlichen Einwände, überraschend auch die Landesdatenschutzbeauftragte. Bedenken gab es von Seiten des Deutschen Richterbundes Brandenburg: Ein Gesetz mit Regelanfrage zur Überprüfung der Verfassungstreue bei Bewerbungen sei das „falsche Signal“, „Generalverdacht“ unangebracht. Die Behörden könnten sich in Vorbereitungsdienst und Probezeit ein Bild über die Eignung Beschäftigter machen.

Rechtsanwalt Roland Hartwig, bis 2021 für die AfD Bundestagsabgeordneter, sprach sich aus Eigen- und Parteiinteresse gegen das Gesetz aus. Die Meinungsfreiheit werde außer Kraft gesetzt: Wer sich zum Beispiel an Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen beteilige oder „Staats-“ und „Verfassungs-Skeptiker“ sei, laufe Gefahr, nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt oder entfernt zu werden. Seine Parteifreundin schwadronierte über „Ideologie verbreitende Lehrer“ und behauptete, „Linksextremisten“ würden verschont.

Benjamin Rusteberg, Lehrbeauftragter für öffentliches Recht an der Ruhr-Universität Bochum, war gegen eine Verabschiedung des Gesetzes. Er verwies auf die demokratieschädlichen Erfahrungen aus der Adenauerzeit und mit dem Radikalenerlass der 1970er/1980er Jahre, die im kollektiven Gedächtnis geblieben seien. Die Rolle des Verfassungsschutzes habe sich beim NSU-Skandal und dem Mord an Walter Lübcke gezeigt. Dass der Geheimdienst entscheide, was an „Erkenntnissen“ an die Einstellungsbehörden weitergegeben werde und die Deutungshoheit habe, wer als sogenannter „Verfassungsfeind“ gelte, sei nicht akzeptabel.

Jerzy Montag, Rechtsanwalt, Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof und Mitglied der Grünen, erinnerte ebenfalls an die negativen Wirkungen des Radikalenerlasses. Ausgangspunkt der heutigen Debatte sei eine Innenministerkonferenz von 2019. Sie habe auf Grund zunehmender rechter Skandale im Polizeidienst beschlossen, in diesem Bereich gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Inzwischen gebe es in NRW, Hamburg und Bremen bereits Regelanfragen bei der Polizei, andere Länder würden dies planen.

Montag berichtete von seiner Tätigkeit in einem Untersuchungsausschuss in Hessen, in dem 46 Nazi-Chat-Protokolle mit über 100 beteiligten Polizisten und Polizistinnen aufgedeckt worden seien. Da die Polizei Waffen trage und staatliche Gewalt ausübe, halte er hier eine Überprüfung per Regelanfrage für vertretbar. Wenn man dies aber bei der Polizei einführen wolle, müssten für den Verfassungsschutz auch geheimdienstliche Mittel erlaubt sein. Nur allgemein zugängliche Quellen, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, würden nichts bringen. Dafür, dass Brandenburg aber nun Vorreiter werden und die Regelanfrage für alle Beamtinnen und Beamte beschließen wolle, gebe es laut Montag keine Gründe. Er sei daher gegen eine allgemeine Regelanfrage.

Matthias Schlenzka betonte für den DGB Berlin-Brandenburg, der Radikalenerlass und die Berufsverbote hätten auch gegen Kernnormen des Internationalen Arbeitsrechts (Übereinkommen Nr. 111) und das Verbot politischer Diskriminierung im Beruf verstoßen. Die Bundesrepublik sei deshalb 1987 von der ILO im Sinne des Völkerrechts verurteilt worden. Dass nun erneut nicht auf Grund nachweisbaren Fehlverhaltens, sondern im Zuge von durch den Inlandsgeheimdienst vorgenommenen Gesinnungsprognosen Beschäftigung im öffentlichen Dienst verwehrt werden solle, sei rechtlich nicht haltbar. Der Verfassungsschutz sei „keine Visitenkarte der Demokratie“. Wie beim Radikalenerlass sei zu befürchten, dass das Gesetz gegen Linke angewandt werde. Der DGB sehe keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. Das Ziel, extreme Rechte aus dem Dienst fernzuhalten, sei mit Mitteln des Beamten- und Disziplinarrechts, notfalls schärferer Praxis möglich.

In einem einen Tag vor der Anhörung im „Tagesspiegel“ und den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ veröffentlichten Interview hatte auch der ehemalige Brandenburger Justizminister Volkmar Schöneburg (Partei „Die Linke“) noch einmal auf die Folgen des Radikalenerlasses hingewiesen. Auch das geplante Gesetz ziele wieder auf Linke, Mitglieder der VVN-BdA oder heutige angebliche „Klima-Terroristen“. Er appellierte eindringlich an die Grünen als Regierungspartei, das Gesetz zu verhindern.

Nach über zwei Jahren hat CDU-Innenminister Michael Stübgen sein Steckenpferd „Verfassungstreue-Check“ noch nicht durch den Landtag gebracht. Insbesondere die Arbeit der bundesweiten Initiativgruppen gegen Berufsverbote und der Gewerkschaften anlässlich des 50. Jahrestags des Radikalenerlasses hat Wirkung gezeigt. Auch die am 30. November angehörten „Verfahrensbeteiligten“ ließen überwiegend die wortkargen Gesetzesbefürworter ziemlich alt aussehen. „Tagesspiegel“ und „rbb24“ berichteten anschließend von „umstritten“, viel „Kritik“ und „grundsätzlichen Bedenken“. Ob aber Abgeordnete von CDU, SPD und BVB/Freien Wählern von der angekündigten Zustimmung ihrer Parteien abrücken, ist fraglich.

Während von einem Nein der Linken auszugehen sein dürfte, war dies der Stellungnahme der Grünen-Vertreterin Marie Schäffer erneut eher nicht zu entnehmen. Ihr schien es hauptsächlich um „im Detail andere Gesetzesformulierungen“ wie „bessere Information bei Ablehnungen von Beschäftigten“ zu gehen. Die Vorlage ihres Parteifreundes Montag griff sie jedenfalls nicht auf. Das Abstimmungsverhalten der Grünen in der vermutlich ins neue Jahr verschobenen zweiten Lesung im Landtag könnte durchaus noch entscheidend werden, da SPD, CDU und BVB/Freie Wähler auf dem Papier 45 von 88 Stimmen haben.

Unser Autor ist Berufsverbotsbetroffener und aktiv im „Arbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und zur Verteidigung demokratischer Rechte“

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"Druck auf „Verfassungstreue-Checker“", UZ vom 9. Dezember 2022



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