Über 2 500 Menschen sind – nach offiziellen Angaben – bislang in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken. Wenn die vielen Seenotretter und andere Helfer nicht wären, gäbe es weitaus mehr Tote.
Am Sonntag erklärten „Save the Children“ und „Sea Eye“, sie müssten ihre Rettungseinsätze im Mittelmeer vorerst aussetzen. Bereits am Tag zuvor hatte „Ärzte ohne Grenzen“ die Einsätze gestoppt. Das bedeutet: Die Organisationen werden ihre Aktionen nicht fortsetzen, ehe nicht die Sicherheit der Helfer und ihrer Schiffe garantiert wird. „Proactiva Open Arms“ will wie „SOS Mediterranee“ vorerst weitermachen. Für die Bundesregierung ist das alles kein Problem. Man müsse die Lage erst mal prüfen, hieß es am Montag auf der Bundespressekonferenz.
Seit Wochen gibt es Schikanen der EU und der italienischen Behörden gegen Schiffe der NGOs. Diese müssen teilweise lange, bis zu 72 Stunden, warten, ehe sie sichere Häfen anlaufen dürfen. Helferinnen und Helfer an Land werden unter Druck gesetzt, Besatzungen fürchten geheimdienstliche Ausforschung. Die italienische Regierung fordert zudem von den Hilfsorganisationen einen Verhaltenskodex zu unterschreiben, der sie unter anderem verpflichtet, Polizei an Bord zu nehmen und ihre Schützlinge nicht an größere Schiffe für die Fahrt in den nächsten Hafen weiterzugeben. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags stellte jedoch Ende Juli in einem Gutachten fest, dass die Seenotrettung „tief verankert in der Jahrhunderte alten maritimen Tradition“ und „gemeinhin als ungeschriebenes Völkergewohnheitsrecht“ anzusehen sei. Dieses Recht gelte auch für „Seefahrer, die aufbrechen, um gezielt nach Schiffbrüchigen zu suchen (wie im Falle der privaten Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer)“. Die EU oder einzelne ihrer Mitglieder dürften nichts unternehmen, um Rettungsaktionen zu blockieren oder ins Leere laufen zu lassen und hätten auch keine Kompetenz, „den (italienischen) Verhaltenskodex für NRO (NGO – N. H.) rechtswirksam zu verabschieden“.
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, erklärte am Montag dagegen lapidar, es gebe halt „Regeln“, die einzuhalten seien. Was das bedeutet, erlebte „Jugend rettet“. Die Organisation verweigerte die Unterschrift. In der vorigen Woche wurde eines ihrer Schiffe durch die italienischen Behörden beschlagnahmt. Francesca Mapelli, eine der Sprecherinnen der italienischen Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“, erklärte dem Berliner „Tagesspiegel“, die Arbeit der Hilfsorganisationen sei legal, es gebe keine Unterschiede zwischen denen, die unterschrieben, und denen, die das nicht getan hätten: „Wir alle befolgen die Gesetze, die Italiens und die des Seerechts.“ Wenn sie aber zugleich meint, nun sei eine Maschinerie „in Gang gekommen, die darauf abzielt, die Zahl derer zu verringern, die nach Europa kommen“, irrt sie. Und vergisst völlig, dass die Abschottung der EU schon lange Politik ist. Nur einige der aktuellen Maßnahmen sind neu.
Seit der vergangenen Woche eskaliert die Situation: Libyen erklärte, die Such- und Rettungszone für Flüchtlinge rund um die Küste des Landes für ausländische Schiffe zu sperren – auch weit über die 12-Meilen-Grenze hinaus, was internationalen Abkommen widerspricht. Das war eine offenbar mit den EU-Staaten abgestimmte Aktion. Die EU hofft, dass Libyen die „Arbeit“ macht. Einen „dreckigen Deal“ nannte das am Dienstag der Berliner „Tagesspiegel“.
Es gab nicht nur Drohungen gegen Helfer. Ein Schnellboot der libyschen Küstenwache feuerte in der vorigen Woche Warnschüsse auf ein Schiff der spanischen „Proactiva Open Arms“, das sich weit außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer befand. Gedroht wurde, künftig ohne Vorwarnung zu schießen, falls es in nationale Hoheitsgewässer eindringe. Und die sollen bekanntlich – auch ein Bruch internationaler Abkommen – ausgeweitet werden. Auf bis zu 70 Seemeilen.
Das libysche Schnellboot gehört übrigens zu dem Dutzend Schiffe, die von Italien an die libysche „Einheitsregierung“ geliefert worden waren. „Ausgebildet und finanziert durch die EU“, stellte „Proactiva Open Arms“ fest. Der Sprecher des Auswärtigen.Amtes sagte, man wolle die libysche Küstenwache „ertüchtigen“. Steffen Seibert betonte, das gemeinsame Ziel sei, die „Schlepperverbrecher zu bekämpfen“. Nicht nur Libyen hat inzwischen den durch nichts zu belegenden Vorwurf erneuert, dass die Hilfsorganisationen mit Schleppern zusammenarbeiten.