„Das ist eine Kampfansage an die gesamte IG Metall!“, so bewertete Jürgen Wechsler, Bezirksleiter der IG Metall Bayern das Angebot der „Arbeitgeber“ von 0,9 Prozent Lohnsteigerung und 0,3 Prozent Einmalzahlung. Die von den Unternehmerverbänden als „Scheinkonjunktur“ heruntergespielten Gewinnsteigerungen haben allein den Aktionären einen Dividendenregen von 11,2 Milliarden Euro beschert, eine Erhöhung der Entgelte der Beschäftigten um ein Prozent würde die Unternehmen dagegen nur rund 0,9 Milliarden Euro jährlich kosten. Ein im Grundsatz ähnliches Bild zeichnet sich bei den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst ab. Angesichts der aktuellen Haushaltsüberschüsse bezeichnet Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di und Verhandlungsführer in der Tarifrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen die angebotenen 0,6 Prozent Lohnsteigerung für 2016 und 1,2 Prozent für das kommende Jahr „dreist und provokativ“. Tatsächlich wären in beiden Fällen durch die historisch niedrigen Einstiegsgebote massive Reallohnverluste der Beschäftigten vorprogrammiert.
Zum Teil mag das Gejammer der Unternehmerverbände über die schlechten Konjunkturaussichten ebenso wie die bei Lohnverhandlungen stets leeren Kassen der Öffentlichen Hand zum Ritual gehören, handelt es sich doch um „die alte Platte, immer neu aufgelegt“ (Willi Bleicher). Allerdings dürften auch der sich verschärfende Wettbewerb auf dem Weltmarkt, Unwägbarkeiten angesichts enormer Schübe in der Produktivkraftentwicklung und nicht zuletzt die unbewältigten Schwierigkeiten im Kernbereich der deutschen Industrie, der Automobilindustrie, mit dazu beitragen, dass Unternehmerverbände und Politik gerade jetzt einen so harten Konfrontationskurs fahren.
Für die gewollte Konfrontation sprechen auch die unverhohlenen Drohungen mit Produktionsverlagerung und dem Abbau von Arbeitsplätzen, wie sie insbesondere von Dr. Wolf, Vorsitzender Südwestmetall, oder von Frau Renkhoff-Mücke, Verhandlungsführerin der Bayerischen Metallarbeitgeber, seit Wochen in den Medien gestreut werden. Geradezu orchestriert folgten die Ankündigungen von Stellenabbau in großen Konzernen: Mitte März bei Siemens 2 000, bei VW 3 000, Anfang April bei GE 1 700, Mitte April folgte Nokia mit 1 400, Ende April nun noch Bombardier mit 930. Damit wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut, das die Tarifverhandlungen insgesamt schwer belastet.
Zu einem immer bedeutenderen Feld der Auseinandersetzung werden nun auch die politischen Forderungen der Gewerkschaften nach Eindämmung und Regulierung prekärer Beschäftigung. ver.di fordert aktuell den Ausschluss sachgrundloser Befristungen, um die Praxis sogenannter Kettenverträge zu beenden. Und die IG Metall fordert im Bereich der Leiharbeit und der Werkverträge deutlich mehr Mitbestimmungsrechte. Industrie und Teile der Politik lehnen diese Forderungen rundweg ab, sehen gar „die Wirtschaftsordnung auf den Kopf gestellt“. So erklärt die bayerische Metall- und Elektroindustrie sachgrundlose Befristungen zum „Ausdruck der Unternehmerfreiheit“, die nicht in Frage gestellt werden dürfe. Der zur Diskussion stehende Gesetzentwurf von Andrea Nahles zu Leiharbeit und Werkverträgen weite die „bereits jetzt verfassungsrechtlich maximal ausgereizte Mitbestimmung“ unzulässig aus, so der BDA. Auch die CSU meldet zahlreiche Bedenken an, z. B. weil LeiharbeiterInnen künftig nicht mehr als Streikbrecher eingesetzt werden könnten.
Hier zeichnen sich gemeinsame Interessen der Gewerkschaften ab, die eine künftige stärkere Zusammenarbeit nicht nur erforderlich, sondern auch möglich erscheinen lassen. Dabei geht es in der Metall- und Elektroindustrie um die Tarife für immerhin 3,8 Millionen Beschäftigte, im Öffentlichen Dienst wird für rund 2,2 Millionen Tarifbeschäftigte verhandelt, keine Kleinigkeiten also. Sollte beim Verhandlungstermin für den Öffentlichen Dienst Ende April in Potsdam kein Ergebnis erzielt werden, wird ver.di die Urabstimmung über Erzwingungsstreiks durchführen müssen, während zeitgleich die IG Metall ab 29. April in Warnstreiks geht.