Gegenwärtig zeigt das Kölner Museum Ludwig die Ausstellung „Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR“. Ein prominentes Exponat ist das „Massaker in Korea“ aus dem Pariser Musée Picasso. Anfang 1951 entstand das Bild als Reaktion auf den Krieg der USA gegen Nordkorea. Unmittelbarer Anlass war ein Massaker zwischen dem 17. Oktober und 7. Dezember 1950. Das „Museum amerikanischer Kriegsgräuel“ in Sinchon zählt 35.383 Zivilisten, die durch US-amerikanische Streitkräfte und deren südkoreanische Unterstützer in diesem Ort getötet worden sind. Damals wurde das Land vor allem durch Luftangriffe verwüstet.
Ein Waffenstillstandsabkommen bestätigt drei Jahre später, am 27. Juli 1953, die vormalige Demarkationslinie auf dem 38. Breitengrad. Die Bilanz des Krieges: Der Zahl von 37.000 getöteten US-Amerikanern steht die von 4,5 Millionen koreanischer und chinesischer Opfer gegenüber. Die meisten wurden von Napalm- und anderen Bomben getroffen.
Korea war 1945 nach dem Sieg über Japan in eine sowjetische und eine amerikanische Besatzungszone aufgeteilt worden. Zwar hatten die Alliierten in Jalta die Wiedervereinigung des Landes beschlossen. Aber die USA verhinderten sie. Stattdessen wurde ein Regime unter Rhee Syng-man installiert, das brutal gegen die Volkskomitees für Unabhängigkeit und Einheit vorging und schließlich am 15. August 1948 die Republik Korea ausrief. Der Norden zog am 9. September nach. Es entstand die „Demokratische Volksrepublik Nordkorea“. Präsident wurde Kim Il Sung, der ehemalige Anführer der antijapanischen Partisanenverbände.
Es kommt in der Folge ständig zu Zwischenfällen und Provokationen an der Demarkationslinie. Schließlich überschreiten am 25. Juni 1950 nordkoreanische Truppen die Grenze. Der UN-Sicherheitsrat verurteilt unverzüglich den „Bruch des Friedens“ und autorisiert am 30. Juli UNO-Truppen, diesen Konflikt militärisch zu regeln. Sie bestehen zu 90 Prozent aus US-Amerikanern. Die Welt ist alarmiert.
Picasso war seit Oktober 1944 Genosse, Mitglied der Französischen Kommunistischen Partei. „Ein Kommunist bin ich geworden, weil unsere Partei mehr als andere sich darum bemüht, die Welt zu verstehen und zu bauen, und darum, dass Menschen klarer denken, freier und glücklicher sind. Ein Kommunist bin ich geworden, weil die Kommunisten in Frankreich, in der Sowjetunion wie in meinem eigenen Land, Spanien, am tapfersten sind.“
Er engagiert sich in der Weltfriedensbewegung. Seine Lithografie „Die fliegende Taube“ vom 9. Juli 1950 wird für den Warschauer Friedenskongress (16. bis 22. November 1950) genutzt. Picasso ist Teilnehmer. Die Tagung des Weltfriedensrats vom Februar 1951 fasst eine „Entschließung über einen Beschluss der UNO, die Volksrepublik China ungerechterweise als Aggressor in Korea zu bezeichnen“ sowie eine weitere „zur friedlichen Lösung der Koreafrage“.
Picassos Bild handelt die Ereignisse allegorisch ab. Einer Gruppe von Kindern, unterschiedlich ängstlich, und Frauen, schwangere darunter, stehen nackt vor Soldaten, die weder national noch historisch einzuordnen sind. Die merkwürdigen Gewehre, eckigen Helme und Rüstungen funktionieren allenfalls als überzeitliche Zeichen. Nur der Kommandeur ist vollständig bekleidet, er unterstreicht seine Befehle mit dem Schwert in der einen, dem Knüppel in der anderen Hand. Die Gesichter der Schützen bleiben verborgen. Die graue Farbe deutet ein Relief an. Beide Gruppen stehen parallel zur Bildfläche im Vordergrund. Zwischen ihnen ist karge Landschaft mit einer Ruine zu sehen, ein brennendes Gehöft zu erahnen, vielleicht ein Bombeneinschlag.
Die Grube hinter den Frauen erinnert an Hinrichtungen wie die von Babij Jar („Weiberschlucht“) nahe Kiew, als Einsatzgruppen von Sicherheitspolizei und SD am 29. und 30. September 1941 innerhalb von 48 Stunden mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordeten.
Motivbestand und Aufteilung der Fläche ähnelt indes zwei sehr bekannten Werken der Kunstgeschichte. Das ist einmal das Bild von Francisco de Goya (1746 bis 1828). Es heißt: „Der 3. Mai 1808, Die Erschießung der Aufständischen“ und ist 1814 entstanden. Beide Daten markieren Anfang und Ende eines brutalen Bürgerkriegs in Spanien.
Am 23. März 1808 wird Madrid von Truppen des französischen Generals Joachim Murat besetzt. König Karl IV. hatte abdanken müssen. Sein Sohn Ferdinand wähnt sich als Nachfolger. Beide werden aber von Napoleon in Bayonne festgehalten. Denn es ist sein Bruder, Joseph Bonaparte, den er für den spanischen Thron vorgesehen hat. Allerdings sollen zuvor auch Ferdinands Geschwister außer Landes gebracht werden. Die Anhänger des Königshauses verweigern zunächst die Zustimmung zur Abreise der Infanten. Volk sammelt sich vor dem Königsschloss in Madrid. Französische Soldaten dringen ins Schloss ein.
Daran entzündet sich der Aufstand. Goya schildert ihn in einem weiteren Bild, „Kampf mit den Mamelucken am 2. Mai 1808 in Madrid“. Aber die Madrilenen sind allenfalls mit Messern und anderen ungeeigneten Geräten bewaffnet. Und die spanischen Militäreinheiten bleiben in ihren Quartieren. So haben die französischen Besatzer bald die Oberhand. Es folgt ein Verbot von öffentlichen Versammlungen. Alle Waffen, ob Stoß- oder Schusswaffen, sind abzugeben. Erschossen wird, wer auch nur mit einem Messer angetroffen wird. Der 3. Mai 1808 ist Fanal des Bürgerkriegs gegen Napoleon und für König Ferdinand VII. Die Grausamkeiten dieses Guerilla-Kriegs hat Goya in dem Grafikzyklus „Desastres de la Guerra“ geschildert.
Der „Kampf mit den Mamelucken am 2. Mai 1808 in Madrid“ ebenso wie „Die Erschießung der Aufständischen“ sind erst nach der Niederlage Napoleons gemalt worden, pünktlich zum Einzug des Königs Ferdinand in Madrid. Vielleicht wurde sogar ein Triumphbogen damit geschmückt. Danach benötigte das Königshaus 40 Jahre, um die beiden Bilder der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Heute hängen sie als nationales Symbol im Prado. Sinnbild eines Aufstands, der die Rückkehr der gewohnten Knute erzwang.
Aber Goya wird für Picasso zum Zeugen: Die militärische Brutalität, die anonymen Erschießungskommandos können gegen das Volk nicht siegen.
Auf eine etwas andere Weise bezieht sich Édouard Manet (1832 bis 1883) mit seinem Werk „Die Erschießung Kaiser Maximilians“, 1868/69, auf Goya.
Dem rechtmäßigen Staatspräsidenten von Mexiko, Benito Juárez, gelingt 1861 der Sieg im Bürgerkrieg. Er verweigert daraufhin den Schuldendienst. Frankreich, das von Napoléon III. regiert wird, hat besonders viel Kapital in den Bergbau investiert. Es interveniert. Nur militärisch sind die Profite noch zu sichern und eine Schuldenkrise abzuwenden.
Erzherzog Maximilian, der jüngere Bruder des österreichischen Kaisers Franz Joseph, ist jung, tatendurstig, vertrauensselig und beschäftigungslos. Geblendet von der Aussicht, wie sein Bruder als veritabler Kaiser regieren zu können, gibt Maximilian dem Drängen Napoléons III. nach, der in ihm eine leicht lenkbare Marionette sieht. Maximilian verabschiedet sich 1864 von Wien, überquert den Ozean, benötigt aber noch ein Jahr, um nach der Landung in Mexiko militärisch die Oberhand zu bekommen. Ein fragiler Sieg. Denn Juárez schlägt immer wieder die französischen Invasionstruppen. Auch die USA mischen mit. Napoléon ist schließlich gezwungen, seine Truppen zurückzuholen. Maximilian bleibt ohne Schutz und wird am 19. Juni 1867 zusammen mit seinen mexikanischen Generälen Miramon und Mejia erschossen.
Die französische Staatskasse wird durch das mexikanische Abenteuer mit insgesamt 363 Millionen Francs belastet. Die Hinrichtung eines Angehörigen des höchsten europäischen Adels erschüttert ganz Europa. Vor allem macht der Tod Maximilians das Scheitern des französischen Kaisers offenkundig. Im Januar 1869 erhält Manet vom Innenministerium einen Brief, der ihm Zensurmaßnahmen mitteilt. Das Ministerium verbietet ihm, „Der Tod des Maximilian“ als Lithographie zu drucken und zu verbreiten. Ferner wird ihm angekündigt, dass sein Bild im nächsten Salon nicht ausgestellt werde. Wohl auf Anraten Émile Zolas wendet sich Manet an die Öffentlichkeit. Trotzdem bleiben die Zensurmaßnahmen bestehen. Die Lithographie kann erst 1884, nach dem Tode Manets, gedruckt werden.
Auch nach dem Ende des zweiten Kaiserreichs wird das Bild in Frankreich nicht beliebter. Vor 1905 ist keine der Fassungen des Gemäldes in Frankreich ausgestellt worden. Die große Manet-Retrospektive von 1884 in Paris mit 189 Bildern, Zeichnungen und Lithographien enthält ebenfalls keine Spur von Manets Arbeit am Maximilian-Thema. Alle Fassungen des Bildes befinden sich bezeichnenderweise heute im Ausland. Sie sind zwischen 1909 und 1918 aus Frankreich verkauft worden.
Der Zeitpunkt des mexikanischen Desasters kann für Bonaparte kaum ungünstiger sein. Denn das mexikanische Abenteuer scheitert, als alle Welt in diesem Sommer 1867 den Höhepunkt der aufwendig inszenierten Weltausstellung auf dem Pariser Marsfeld erwartet. Just am 1. Juli, dem Tag der Preisverleihungszeremonie, erreicht Napoleon III. die Nachricht von der Erschießung Maximilians. Sie platzt in die Feierlichkeiten. Anwesend sind der Sultan des Osmanischen Reiches, der Vizekönig von Ägypten sowie eine ganze Schar von Fürstlichkeiten aus ganz Europa. Das Fest wird von Rossinis bombastischer „Hymne an den Kaiser“ samt Kanonendonner und Glockengeläut begleitet. Alles wartet auf Bonapartes Rede. Darin hebt er die nützliche Wirkung der Weltausstellung hervor, prahlt von der fortschrittlichen und friedlichen Rolle Frankreichs in der Welt, verliert aber kein Wort über das mexikanische Desaster.
Rossinis Kanonendonner nimmt den preußisch-französischen Krieg samt Aufstand der Pariser Kommune vorweg. Aber das ist ein anderes Thema.
Auch für Manet ist Goyas Erschießungsbild Zeuge für die Unausweichlichkeit der Niederlage der Aggressoren. Ebenso wie der erste Napoléon konnte der dritte nach seinem imperialistischen Abenteuer nur verlieren. Indes ist nicht sicher, ob Picasso Gelegenheit hatte, von Manets Gemälde Kenntnis zu nehmen.
Museum Ludwig, Köln
September 2021 bis Januar 2022
Der geteilte Picasso
Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR
kurzelinks.de/picasso
1955, kurz vor der großen Picasso-Retrospektive in München, Köln und Hamburg, empfahl das Auswärtige Amt der Ausstellungsleitung den Verzicht auf politische Werke. Zu ihnen zählt auch das Gemälde Massaker in Korea (1953), das den Einsatz der US-Army im Koreakrieg (1950 bis 1953) anklagt. Zwar zeigte man das Gemälde, es rief jedoch keine nennenswerte Diskussion hervor. Zur selben Zeit wurde in der DDR um Picasso gerungen. In der Fachzeitschrift Bildende Kunst warf man dem Künstler vor, Gemälde wie das Massaker in Korea seien karikaturhaft und beleidigten die Opfer. Der Künstler neige zum „Formalismus“. Picassos Verteidiger wiesen unter anderem darauf hin, dass die in der Moderne veränderte Wahrnehmung eine veränderte Form bedinge.